Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Vierunddreißigstes Kapitel.

Gott / das höchste Gut dessen / der Gott mehr als alles andere und in allem andern liebt.

Mein Gott und mein alles: Was will ich mehr und was kann ich Seligeres wünschen? Mein Gott / mein alles: O ein Wort voll Süße und Lieblichkeit / aber süß und lieblich nur dem / der das ewige Wort lieb hat und nicht die Welt und nicht die Güter der Welt: Mein Gott / mein alles: Es ist mit diesem Worte genug gesagt dem / der es versteht / und wer die Liebe hat / der hört es immer gern / wenn es wieder und wieder gesagt wird. Denn wenn du / mein Gott / da bist / so ist alles lieblich und süß / bist du fern / so ist alles bitter und ekelhaft. Du machst das Herz still und schaffst großen Frieden und festliche Freude. Du gibst es uns ins Herz / daß wir alle Dinge gut finden und dich in allen Dingen loben. Ohne dich kann nichts auf die Dauer uns gefallen. Und wenn uns irgend etwas angenehm und schmackhaft werden soll / so darf deine Gnade nicht fehlen / so muß es durch deine Weisheit gewürzt werden. Wer an dir Geschmack findet / dem schmeckt alles wohl. Und wer an dir keinen Geschmack findet / was soll ihm Freude schaffen? Alle die / welche nur an der Weisheit der Welt oder an der Lust der Sinne Geschmack finden / erliegen fern von deiner Weisheit auf ihrer mühsamen Bahn / weil sie in der Weisheit der Welt nichts als Eitelkeit und Eitelkeit / und in den Freuden der Sinne nichts als Tod und Tod finden können. Die aber / welche durch Verschmähung der Weltfreuden und durch Ertötung der sündhaften Lüste des Fleisches dir nachfolgen / diese beweisen / daß sie die rechte Weisheit besitzen / weil sie von der Eitelkeit zur Wahrheit  / vom Fleisch zum Geiste durchgedrungen sind. O diese haben Geschmack an Gott / und was sie in den Geschöpfen Gutes finden / das legt einen neuen Lobgesang auf ihren Schöpfer ihnen in den Mund. Und dieser Geschmack an dem Schöpfer / an der Ewigkeit und an dem unerschaffenen Lichte / wie ist er doch so verschieden / so durchaus verschieden von dem Geschmack an den Geschöpfen / an der Zeit und an dem erschaffenen Licht:

O ewig leuchtendes Licht / über alles erschaffene Licht erhaben / sende deinen Strahl aus der Höhe wie einen Blitz in mein Herz / und laß ihn das Allerinnerste meines Herzens durchdringen: Reinige / erhelle / belebe und erfreue meinen Geist und alle seine Kräfte / daß sie dir in dem Jubel der Entzückung ewig anhängen. O wann wird sie denn kommen / die heilige / sehnenswürdige Stunde / daß deine Gegenwart mich sättige / daß du mir werdest alles in allem: Ohne diese Gabe fehlt noch immer mir die Fülle der Freuden. Ach / noch lebt der alte Mensch in mir / noch ist seine Kreuzigung nicht vollendet / seine Ertötung nicht vollbracht. Noch ist er stark genug / mit seinen Lüsten wider den Geist sich zu empören / Krieg über Kriege zu erregen und das Reich der Seele zu beunruhigen.

Aber du / der du Gewalt hast über die Gewalt des Meeres und sänftigest die wild tobende Flut / mache dich auf und hilf mir: Zerstreue die Völker  / die Krieg wollen / und zermalme sie mit deiner allzermalmenden Kraft. Zeige / zeige diese deine Allmacht und laß deine gerechte Hand in ihrer Herrlichkeit uns sehen / denn all meine Hoffnung / all meine Zuflucht bist du / mein Gott und mein Herr / du allein:


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