Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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II. Buch

Ermahnungen / die uns in uns hineinwerfen und zum Leben in uns anleiten.

Erstes Kapitel.

Vom inneren Leben des Menschen.

Das Reich Gottes ist in euch / spricht der Herr. So wende dich denn zu Gott / dem Herrn / und wende dich von ganzem Herzen zu ihm und verlaß diese elende Welt / und deine Seele wird Ruhe finden. Lerne verschmähen / was dich außer dir umhertreibt / lerne hochachten / was dich in dir zurechtsetzt / und du wirst das Reich Gottes in dein Herz kommen sehen. Denn das Reich Gottes in uns ist Friede und Freude im heiligen Geiste / und dieses Reich ist kein Reich für die Gottlosen. O gewiß kommt Christus zu dir und läßt dich seine Tröstungen genießen / wenn du ihm in deinem Innern eine würdige Wohnstätte wirst bereitet haben. Alle seine Schönheit und Herrlichkeit stammt von innen / im Innern hat er seine Lust. Der innere Mensch ist es / den er oft heimsucht / da wohnt er gern / mit ihm hält er freundliche Gespräche / ihm schenkt er lieblichen Trost und die Fülle des Friedens / mit ihm geht er so vertraulich um / daß Himmel und Erde nicht genug darüber sich wundern können.

Wohlan / treue Seele / bereite dein Herz für diesen Bräutigam / denn er will zu dir kommen und in dir Herberge nehmen / wie er selbst sagt: Wer mich lieb hat / der hält mein Wort / und wir werden zu ihm kommen und Herberge bei ihm nehmen. So mache denn Platz für Christus / und damit er Platz habe / so wehre allen übrigen Dingen den Eingang in dein Herz. Hast du ihn selbst / so bist du reich und hast genug an ihm. Er wird für dich sorgen und in allen Dingen dein treuer Behüter sein / daß du nicht erst nötig hast / auf Menschen zu bauen. Denn schnell ändert sich des Menschen Sinn / und der Mensch ist schnell dahin. Christus aber bleibt ewig und bleibt ewig dein treuer Freund / er weicht nie von deiner Seite. Auf einen Menschen / er sei dir noch so lieb und nützlich / sollst du kein großes Vertrauen setzen; denn er ist ein Mensch / gebrechlich und sterblich. Auch sollst du es nicht so tief dir zu Herzen gehen lassen / wenn dir ein Mensch widerspricht und zuwiderhandelt. Die heute für dich stehen / können morgen wider dich auftreten / und umgekehrt. Die Menschen ändern sich wie der Wind. Baue du deine ganze Zuversicht auf Gott. Er sei deine Furcht / er sei deine Liebe. Er wird für dich antworten  / er wird alles wohl machen / wie es für dich am besten sein wird. Hier hast du keine bleibende Stätte / und wo immer du sein magst / bist du ein Pilger / ein Fremdling und wirst nirgends Ruhe finden als in der innigen Vereinigung mit Christus.

Was siehst du hier so viel umher? Es ist hier kein Land der Ruhe für dich. In himmlischen Dingen sollst du deine Ruhestätte haben und alle die irdischen Dinge nur so wie im Vorbeigehen anschauen Denn sie vergehen alle / und du mit ihnen. Laß das Vergängliche dich nicht in sein Netz ziehen / sonst möchtest du davon gefangenwerden / daran hängen bleiben und darin zugrunde gehen. Dein Gedanke sei bei dem Allerhöchsten / und dein Gebet höre nicht auf / bei Christus anzuklopfen. Kannst du deinen Geist nicht erheben zu hohen / zu himmlischen Betrachtungen / so suche deine Ruhestätte in dem Leiden Christi und wohne gern in seinen heiligen Wunden. Denn sobald du im lauteren Triebe der Andacht zu den köstlichen Wundmalen Jesu deine Zuflucht nimmst / so wirst du darin wider alle Leiden / die dich mutlos machen könnten / neue Stärke finden und / neugestärkt / die verächtlichen Blicke der Menschen nicht mehr so hart empfinden und ihre beißenden Worte leicht ertragen.

Denn sieh / Christus ward in der Welt von den Menschen auch verschmäht / ward in seiner größten Not unter Spott und Hohn von all seinen Bekannten und Freunden verlassen. Christus wollte leiden / Christus wollte sich schmähen lassen; und du wagst es / den Mund aufzutun / um über deine geringen Leiden zu klagen? Christus hatte seine Widersprecher und Widersacher / und du willst alle Menschen zu Freunden und Wohltätern haben? Wofür sollte auch wohl deine Geduld gekrönt werden / wenn sie nichts Widriges zu erdulden hätte? Wenn du nicht Unangenehmes leiden willst / wie kannst du denn ein Freund des leidenden Christus werden? Lerne vielmehr mit Christus und für Christus leiden / wenn du mit Christus herrschen willst.

Wärest du nur einmal in das Allerheiligste unseres Herzens / in Jesus / tief eingedrungen / hättest du nur ein Fünklein von seiner brennenden Liebe aufgefangen / o es würde dir nicht mehr um deinen eigenen Vorteil oder Nachteil zu tun sein / du würdest vielmehr Freude daran haben / dich um des Guten willen lästern zu lassen. Denn die Liebe zu Jesus lehrt den Menschen die große Kunst / sich selbst zu verschmähen. Wer Jesum und die Wahrheit liebt / wer in sich wohnte und dadurch ganz innig und von allen ungeordneten Neigungen frei geworden ist / der kann ungehindert sich zu seinem Gott erheben / kann über sich selbst hinaus im Geist sich schwingen / kann in Gott seligen Genuß / und im Genusse Gottes Ruhe finden.

Wer so weise ist / daß er alle Dinge für das halten kann / was sie sind / und nicht für das / wofür sie von andern gehalten und ausgegeben werden / der hat die rechte Weisheit und hat seine Weisheit mehr von Gott als von den Menschen gelernt. Wer in sich lebt und deshalb den Wert der Dinge nicht nach ihrer Außenseite bestimmt / der fragt nicht nach besonderen Orten und wartet nicht auf besondere Zeit / um sich in den Gefühlen der Andacht zu üben. Ein inniger Mensch sammelt sich geschwinde wieder in sich / weil er sich nie ganz verloren und ausgegossen hat in die Dinge um sich. Ihn kann keine äußere Mühe und Beschäftigung / die im Bereich der Arbeit von Zeit zu Zeit wohl auch notwendig ist / im Guten hindern. Wie die Dinge kommen / so weiß er in die Dinge sich zu schicken. Wer im Innern fest gestellt und wohl geordnet ist / den zerstreut das törichte und verkehrte Treiben der Menschen nicht. Der Mensch wird von den Dingen nur insofern gehindert und zerstreut / als er die Dinge an sein Herz kommen und sich daranhängen läßt. Wenn du im Innern gut und rein genug wärest / so müßten alle Dinge dir zum Guten dienen und zum Fortschritt im Guten helfen. Nur deshalb findest du überall so viel Widriges und gerätst so leicht in Verwirrung / weil du noch nicht vollkommen dir abgestorben und vom Irdischen noch nicht ganz losgelöst worden bist. Nichts befleckt und verstrickt das Herz des Menschen so sehr als seine unlautere Liebe zu den Geschöpfen. Wenn du den äußeren Tröstungen entsagen könntest / so würdest du himmlische Dinge schauen und im Innern einen Jubel nach dem andern feiern können.


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