Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Elftes Kapitel.

Wie man Frieden in sich haben und besser werden kann.

Wir könnten viel Ruh und Frieden haben / wenn wir Kopf und Herz nicht so sehr marterten mit dem / was andere reden und tun / und was doch unser Gewissen gar nicht berührt. Wie kann der lange in Frieden leben / der sich so gern in fremde Geschäfte mischt / der von außen so viele Anlässe sucht / der so selten oder nur flüchtig sich in sich sammelte? Selig die / welche die rechte Einfalt des Herzens besitzen / denn sie werden viel Frieden haben!

Warum sind doch einige Heilige zu einer so reinen Vollkommenheit und zu einer so hohen Beschaulichkeit gelangt? Weil sie von allen irdischen Begierden sich loszumachen strebten / deswegen konnten sie mit ihrem innersten Gemüte Gott allein anhangen und frei und eins mit sich in sich verbleiben. Uns beherrschen die Leidenschaften in uns / die dem armen Herzen so viel zu schaffen geben / und die vergänglichen Dinge außer uns / die dasselbe Herz in steter Bewegung halten und von einer Empfindung zur andern jagen. Wir erkämpfen auch selten über ein einziges Laster einen vollkommenen Sieg und es fehlt uns durchaus an dem verzehrenden / heiligen Eifer / täglich besser zu werden; deshalb bleiben wir immer so lau oder werden am Ende gar kalt. Wären wir uns selbst ganz abgestorben / wäre unser Innerstes nicht im geringsten in das geheime Spiel der Neigungen verflochten und darin gebunden / o dann könnten auch wir göttlicher Dinge inne werden und von der himmlischen Beschaulichkeit schon hier einen Vorgenuß bekommen. Das größte / das einzige Hindernis sind wir uns selbst / wir sind nicht frei von Leidenschaft und Lüsternheit und haben nicht Mut genug / den schönen Lebensweg der Heiligen zu betreten. Es braucht nur eine kleine Plage an unsre Tür zu klopfen / sogleich ist all unser Mut dahin / und wir sehen wieder nach menschlichen Tröstungen uns um.

Hätten wir den entschlossenen Mut / wie tapfere Kriegsmänner auf dem Schlachtfeld zu stehen / schnell würden wir die Hilfe des Herrn über uns vom Himmel kommen sehen. Denn er will denen / die streiten und auf seine Gnade trauen / so gewiß Hilfe senden / als gewiß ist / daß er uns Anlaß zum Streite werden ließ / damit wir siegen lernen sollen. Wenn wir unsere Fortschritte im Guten nur immer in jene äußerlichen Übungen setzen / so wird unsere Andacht bald zu Ende sein. An die Wurzel müssen wir die Axt legen / damit wir von den ungeordneten Neigungen rein werden und einen stillen Sinn und ungetrübten Seelenfrieden bekommen mögen.

Wenn wir in jedem Jahr nur ein Laster ausrotteten / so würden wir bald vollkommene Männer werden. Aber jetzt zeigt nicht selten sich das Gegenteil: wir müssen gestehen / daß wir in den ersten Tagen unsrer Bekehrung besser und reiner waren / als wir jetzt nach vielen Jahren es sind. Der Eifer im Guten und das Gute selbst sollten mit jedem Tage in uns zunehmen; und jetzt wird es schon als eine Seltenheit angesehen / wenn jemand nur noch einen Funken des ersten Eifers in sich erhalten konnte. Wenn wir nur anfangs ein wenig Gewalt uns antun möchten / so würde in der Folge alles noch einmal so leicht und mit Freude getan sein.

Es ist schwer / wider seine Angewöhnung zu handeln / aber noch schwerer / wider seinen eigenen Willen anzugehen. Doch wenn du geringe / leichte Hindernisse nicht zu beseitigen vermagst / wie wirst du große / schwere Hindernisse aus dem Weg schaffen? Tu deinen Neigungen Widerstand gleich in ihrem Entstehen und mache dich durch frühe Entwöhnung von aller bösen Angewohnheit los / damit aus einer geringen Beschwernis nicht nach und nach eine größere werde. O könntest du begreifen / wieviel du selbst an innerem Frieden gewinnen / und was für große Freude du andern bereiten würdest / wenn du von ganzem Herzen gut sein und recht tun möchtest: o ich denke / du würdest mehr Sorge darauf wenden / immer größere Fortschritte in dem Leben des Geistes zu machen.


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