Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Drittes Kapitel.

Höre Gottes Wort in Demut und bewahre es mit aller Treuen

Meine Sohn / höre meine Worte / denn sie haben an Süße und Lieblichkeit nicht ihresgleichen und übertreffen an Weisheit alles / was die Gelehrten und Weisen dieser Welt gelehrt haben. Meine Worte sind Geist und Leben / und wer ihres wahren Gehalts inne werden will / der darf sie nicht auf die Wagschale menschlichen Dünkels legen. Wer sie verstehen will / darf sie nicht nach dem Ausspruch seiner eitlen Regungen verdolmetschen / sie wollen in der Stille des Geistes gehört und mit aller Demut und Inbrunst des Herzens aufgefaßt werden.

Da sagte ich: Selig / den du unterweisest / o Herr / den du dein Gesetz verstehen lehrest / damit er in den heißen Tagen der Not Kühlung finde und im dürren Land nicht verschmachte. Ich bin es / spricht der Heer / der die Menschen vom Anfang her zu Propheten gemacht hat / und noch bis jetzt höre ich nicht auf / zu allen Menschen zu reden. Aber viele haben für mein Wort nichts als taube Ohren und verschlossene Herzen. Die meisten hören die Welt lieber als Gott / leben mehr nach den Lüsten ihres Fleisches als nach dem Wohlgefallen Gottes. Die Welt verheißt nur zeitliche und unbedeutende Güter und hat doch die eifrigsten Diener / ich verheiße das allerhöchste und ewige Gut / und die Herzen der Menschen bleiben kalt und träge dabei. Wer dient und gehorcht mir in allem / was ich gebiete / mit dem treuen Eifer / den die Kinder der Erde im Dienst der Welt und ihrer Herren beweisen! Erröte / Sidon / ruft das Meer; und wenn du nach der Ursache fragst / so höre / die Ursache ist diese: Einer kleinen Gabe wegen läuft man weit und breit umher / und um des ewigen Lebens willen mögen viele nicht einmal einen Fuß von der Erde aufheben.

Für nichtswürdige Dinge laufen sie sich müde / zanken sich und streiten um einen Groschen auf niederträchtige Weise / mühen und plagen sich Tag und Nacht / um irgendeine verheißene Kleinigkeit / ein täuschendes Nichts zu erhaschen; und / o Schande  / für ein Gut / das ewig währt / für eine Belohnung / die unschätzbar ist / für die höchste Ehre / für eine Herrlichkeit / die kein Ende nimmt / sich auch nur ein wenig zu bemühen / ach / dazu sind sie viel zu träge. Erröte also / du fauler und mürrischer Knecht / vor dir selbst / daß jene weit geschäftiger an ihrem Verderben arbeiten / als du an deinem ewigen Heile. Jene haben mehr Freude an der Eitelkeit / als du an der Wahrheit. Zwar schlägt ihre Hoffnung ihnen manchmal fehl / aber meine Verheißung täuscht keinen einzigen / und wer mir sich anvertraut / den läßt sie nicht leer ausgehen. Was ich versprochen habe / das werde ich geben / was ich gesagt habe / das werde ich erfüllen / wenn je einer in Liebe mir treu bleiben wird bis ans Ende. Ich bin es / der alle Guten reichlich belohnt / ich / der alle Andächtigen streng prüft.

Schreibe meine Worte dir ins Herz und erwäge sie fleißig / denn zur Zeit der Versuchung werden sie dir willkommen und nicht gut entbehrlich sein. Was du in der Stunde / wo du es liesest / noch nicht verstehst / das wirst du am Tage / wo ich dich heimsuche / schon verstehen. Heimsuchungen für meine Freunde hab ich zweierlei: eine heißt Versuchung / die andere Tröstung. Ich habe auch zweierlei Vorlesungen für sie / die ich ihnen täglich halte: die eine / indem ich ihre Fehler ihnen verweise / die andere / indem ich sie zum Fortschreiten in allen Tugenden ermahne. Wer mein Wort hat und es verachtet / der hat schon seinen Richter am jüngsten Tage.

Gebet um die Gnade der Andacht.

Du mein Gott und Herr / all mein Gut bist du / und was bin ich / daß ich mich unterstehe / mit dir zu reden? Ich bin dein ärmster Knecht / ich krieche auf der Erde wie ein verworfener Wurm / weit ärmer und verachtungswürdiger / als mein Verstand es denken kann / und meine Zunge es auszusprechen wagen darf. Doch du weißt alles / weißt am besten / daß ich nichts bin / nichts habe / nichts vermag. Du allein bist gut / gerecht und heilig. Du vermagst alles / gibst alles / erfüllst alles; den Sünder allein lassest du leer ausgehn. Sei deiner Erbarmungen eingedenk / erfülle mit deiner Gnade mein Herz. Deine Gefäße / die du gemacht hast / wirst du doch nicht leer lassen wollen?

Wie könnte ich in diesem elenden Leben mich ertragen / wenn deine Erbarmung mich nicht stärkte / deine Gnade mich nicht hielte? Wende dein Angesicht nicht von mir / laß deine Heimsuchung nicht länger ausbleiben / entzieh mir deine Tröstungen nicht / daß meine Seele nicht vor dir werde wie ein dürstendes Land ohne Regen. Herr / lehre mich deinen Willen tun / lehre mich / wie es vor deinem Auge sich ziemt und in Demut vor dir zu wandeln; denn du bist meine Weisheit / du kennst mich / was und wie ich bin / und kanntest mich / ehe ich geboren wurde / ehe noch die Welt geschaffen war.


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