Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Achtes Kapitel.

Vom vertrauten Umgang mit unserm Herrn Jesus Christus.

Ist Christus bei dir daheim / so ist alles gut und alles leicht. Ist aber Christus nicht bei dir / so ist alles bitter und hart. Wenn dir Jesus keinen inneren Trost einspricht / so ist alle andere Tröstung kraftlos. Aber ein einziges Wort aus seinem Munde bringt großen Trost in dein Herz. Ist nicht Maria Magdalena sogleich von der Stelle / wo sie weinte / aufgestanden / als Martha ihr sagte: der Meister ist da und ruft dich? Selige Stunde / wenn Jesus ruft vom Tränenbrot zur Geistesfreude! O Mensch / wie bleibt doch alles in dir so dürr und kalt ohne Jesus! Wie bist du doch so eitel und töricht / wenn du etwas außer ihm suchst! Ach / ihn nicht haben / das ist ein größerer Verlust / als die ganze Welt verloren haben.

Was kann denn die ganze Welt dir geben ohne ihn? Ohne Jesus sein / das ist eine ganze Hölle voll Angst. Bei Jesus sein / das ist ein Paradies voll lieblicher Früchte. Ist Jesus bei dir / so kann kein Feind dir schaden. Wer ihn findet / der hat einen köstlichen Schatz gefunden / ein Gut / besser als alles Gute. Wer aber ihn verliert / der hat viel verloren und mehr als die ganze Welt. Wer ohne Jesus lebt / der ist von allen Armen der ärmste. Wer bei Jesus wohl geduldet ist / der ist unter allen Reichen der Reichste. Es ist aber eine große Kunst / in Jesu Gesellschaft leben zu können. Es ist eine große Weisheit / Jesum bei sich zu behalten wissen. Sei demütig und friedsam / und Jesus ist bei dir. Sei andächtig und still / und Jesus bleibt bei dir. Du kannst ihn schnell vertreiben von dir und seine Gnade verlieren / du brauchst nur nach außen dich zu neigen dem zu / was unter dir sein soll. Und wenn du ihn vertrieben / ihn verloren hast / zu wem wirst du dann deine Zuflucht nehmen? Wo wirst du wieder einen Freund finden? Ohne Freund kann dir nicht wohl sein / und wenn Jesus nicht dein erster Freund ist / so wirst du immerzu nur traurig und wie verlassen sein. Du handelst also töricht / wenn du auf einen andern baust oder in einem andern Freude suchst. Man soll lieber die ganze Welt zum Feinde haben / als das zarte Auge Jesu betrüben. Unter allen deinen lieben Freunden soll dir also Jesus dein liebster Freund sein.

Du sollst alle Menschen um Jesu willen lieb haben / aber Jesus um seinetwillen. Christus ist vor allen andern Freunden gut und treu gefunden worden / er ist es also vor allen andern wert / geliebt zu sein. Seinetwegen und in ihm sollen dir alle / Freunde und Feinde / lieb sein. Für alle sollst du zu ihm bitten / daß alle ihn erkennen und lieb haben möchten. Laß dich nie danach gelüsten / daß du vor andern geliebt und gelobt werden möchtest. Denn das steht allein Gott zu / der nicht seinesgleichen hat. Auch sollst du nie die erste Stelle in eines Menschen Herzen / die Gott allein geweiht sein soll / einnehmen wollen / noch einen andern Menschen diese Stelle in deinem Herzen einnehmen lassen. Jesus nehme diese Stelle ein in dir und in jedem guten Menschen!

Sei rein und frei in deinem Inwendigen / und laß kein Geschöpf dich gefangen nehmen. Du mußt dein Herz nackt und bloß vor Gott bringen / wenn du dessen inne werden willst / wie süß der Herr sei. Und dazu kommst du nicht / wenn seine Gnade nicht zuvor dich ruft und an sich zieht / daß du von allen Dingen losgelöst werden und / geschieden von allen / dich einzig mit dem Einzigen vereinigen kannst. Denn kommt die Gnade Gottes in den Menschen / so vermag er alles; scheidet sie aber von ihm / so ist er wieder der arme / schwache Mensch wie vorher und taugt fast zu nichts / als seinen Rücken den Geißelhieben hinzugeben / die von allen Seiten eindringen. Das muß dich aber nicht mutlos machen / noch viel weniger dich zur Verzweiflung bringen. Lerne vielmehr / gleichmütig festzustehen / bereit zu allem / was Gottes Wille anordnet / und alles / was über dich kommt / zur Ehre Jesu zu ertragen. Denn sieh / nach dem Winter kommt der schöne Frühling / auf die Nacht der liebliche Morgen / und nach dem Sturmwetter der heitere Himmel wieder.


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