Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Fünftes Kapitel.

Von der Betrachtung seiner selbst.

Wir dürfen uns selbst nicht zu viel trauen / denn oft fehlt uns die Gnade und rechte Erkenntnis der Dinge. Es flimmert ein Licht in uns / und dieses kleine Licht ist bald ausgelöscht / wenn wir es nicht mit besonderer Treue pflegen. Oft nehmen wir´s nicht einmal wahr / daß wir im Innern gar so blind sind. Oft tun wir Böses und machen das Böse / das wir getan haben / durch Entschuldigungen noch böser. Oft treibt uns Leidenschaft / und wir glauben / es sei frommer Eifer / was uns bewege. Geringe Fehler strafen wir an andern sehr scharf und lassen große Fehler an uns selbst ungestraft. Was wir von andern auszustehen haben / das empfinden wir schnell genug und rechnen es hoch an. Aber was andere von uns auszustehen haben / das nehmen wir nicht zu Herzen. Wer Lust hätte / das Seine immer genau abzuwägen / dem würde alle Lust vergehen / das Fremde hart zu richten.

Wer in sich für Gott zu leben weiß / der setzt die Sorge / in sich für Gott zu leben / allen anderen Sorgen voran. Und wer auf sich selbst ein wachsames Auge hält / dem wird es nicht schwer / bei fremden Fehlern stumm zu sein. Du wirst nie ein innerer / andächtiger Mensch werden / wenn du nicht bei allem / was dich nicht angeht / stumm und für alles Fremde blind werden kannst / wenn du nicht immer auf dich selber siehst. Wenn aber dein ganzes Gemüt am liebsten nur in sich hinein und von da zu Gott aufschaute / dann würde das / was du von außen wahrnimmst / einen schwachen Eindruck auf dich machen. Sage mir / wo bist du denn / wenn du nicht bei dir selbst daheim bist? Und wenn du alle Welt durchlaufen und darüber dein Heil versäumt hättest / was nützte dir all dies Laufen und Rennen? Wenn du Frieden haben und wahrhaftig eins mit dir werden willst / so mußt du alles übrige fahren lassen und dich allein im Auge behalten.

Du wirst viel / viel gewinnen / wenn du aller zeitlichen Sorgen dich entledigen und in dieser Abgeschiedenheit von allen zeitlichen Sorgen dich halten kannst. Wenn du aber etwas Zeitliches deiner Sorge würdig erachtest / so wirst du ohnmächtig zum Guten werden. Nichts soll in deinen Augen groß / nichts erhaben / nichts lieblich / nichts angenehm sein außer Gott allein / oder was nicht Gott ist / nur um Gottes willen / von dem alles Gute kommt. Halt allen Trost / den ein Geschöpf dir darreichen kann / für eitel / für nichtig. Eine Seele / die ihren Gott lieb hat / hält im Hinblick auf ihren Gott alle Dinge für nichts. Gott allein / der Ewige / der Unermeßliche / der Allerfüllende / Gott allein ist der wahre Seelentrost / er allein die wahre Freude des Herzens.


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