Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zwanzigstes Kapitel.

Sei gern einsam und still!

Suche oft eine schickliche Zeit aus / wo du bei dir selbst ganz allein mit dir sein kannst. Und wenn du so ganz allein bei dir selber bist / so bedenke das Gute / das du von der Hand Gottes empfangen hast. Entzieh dich all dem / was nur deine Neugier reizt. Lies immer und wieder in solchen Büchern / die / statt deine Gedanken nach allen vier Winden zu zerstreuen / vielmehr dein Herz in dir sammeln und das Gesammelte zu Gefühlen der Reue erwecken. Wenn du von dem unnötigen Geschwätz / dem eitlen Umherlaufen und dem geistlosen Jagen nach Neuigkeiten dich losmachtest / so würdest du Zeit genug übrig haben / heilsame Betrachtungen zu pflegen. Die großen Heiligen sind dem geräuschvollen Umgang mit andern / so viel sie konnten / ausgewichen / und es war ihnen weit lieber / Gott in der Stille zu dienen.

Jemand sagte sehr wahr: So oft ich unter Menschen gewesen bin / war ich beim Heimgehen weniger Mensch. Dies erfahren wir fast immer / wenn wir uns müde plaudern. Es ist leichter / sich im Hause verborgen zu halten / als sich außer dem Hause rein zu bewahren. Wer also zum innern / geistlichen Leben gelangen will / der muß sich mit Jesus von der Menge entfernen. Niemand kann sich sicher öffentlich sehen lassen / der nicht gern ungesehen daheim bleibt. Niemand sicherer befehlen als der / welcher gelernt hat / gehorsam zu sein.

Niemand hat sichere Freude / als wer das Zeugnis des guten Gewissens für sich hat. Und selbst diese Sicherheit war bei den größten Heiligen immer mit einer Fülle von Gottesfurcht vereint. Und obgleich ihre großen Tugenden und ihre Gnade bei Gott in hellem Glanz vor den Augen der Menschen leuchteten / so nahm doch ihre Wachsamkeit und Demut nicht im geringsten ab. Nicht so die Gottlosen / ihre Sicherheit entspringt aus Stolz und vermessenem Vertrauen und endet mit dem Selbstbetrug. Lieber! versprich dir doch in diesem Leben keine volle Sicherheit / wenngleich die andern dich für einen guten Ordensmann oder andächtigen Einsiedler halten.

Nicht selten sind gerade die / welche in den Augen der Menschen die besten waren / in die größte Gefahr geraten / weil die Zuversicht / mit der sie auf sich selbst ruhten / viel zu groß war. Deswegen ist es für viele nützlicher / daß sie von Versuchungen nicht gänzlich frei bleiben / sondern oft noch davon angegriffen werden; denn sonst möchten sie sich in das täuschende Gefühl der Sicherheit einwiegen lassen oder in stolzen Einbildungen sich verlieren oder die Zügel abwerfen und äußern Tröstungen nachlaufen. Wie rein und ruhig würde der sein Gewissen erhalten / der keiner vergänglichen Freude nachjagen und mit der Welt nichts mehr zu tun haben möchte! Und wer den Mut hätte / alle eitle Sorge abzuschütteln / nur an das zu denken / was heilsam und göttlich ist / nur sein ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen / der müßte in einer unaussprechlichen Fülle des Friedens und der Ruhe wohnen.

Es ist kein Mensch einer himmlischen Tröstung wert / der nicht zuvor in der Schule der heiligen Zerknirschung fleißig sich geübt hat. Soll dein harter Sinn erweicht / dein verschlossenes Herz wieder aufgetan werden / so geh in deine Kammer und laß den Tumult der Welt nicht herein; wie die Schrift sagt: In euern Kammern redet mit euren Herzen / bis sie wund und weich werden. In der Zelle wirst du wiederfinden / was draußen verloren geht. Wenn du oft darin bist / so wirst du gern darin sein; wenn du aber selten darin bist / so wirst du nicht ohne Gram und Überdruß darin sein können. Gewöhne dich gleich im Anfang deiner Besserung / die Zelle fleißig zu besuchen / dann wird sie nach und nach eine liebe Freundin deines Herzens und deine liebliche Trösterin werden.

Still und ruhig sein / das bringt die andächtige Seele im Guten weiter / das lehrt sie / die Geheimnisse der Schrift zu verstehen / das schließt ihr Bäche von Tränen auf / in denen sie alle Nächte sich wäscht und reinigt / damit sie mit ihrem Schöpfer desto vertraulicher umgehen könne / je weiter sie sich von dem Getümmel der Welt entfernt hat. Wer also von seinen Bekannten und Freunden sich entfernt / dem nahen sich Gott und die heiligen Engel. Besser / zwischen vier Mauern verborgen und für sein Heil besorgt zu sein / als auf dem Markte Wunder tun und dabei sein Heil versäumen. Es ist an einem Klostermann lobenswert / selten auszugehen / nicht gern sich sehen zu lassen und auch andere nicht sehen zu wollen.

Wozu willst du auch sehen / was du nicht haben darfst! Sieh / die Welt vergeht und alle Lust der Welt mit ihr! Die Sinnlichkeit lockt dich zum Ausgehen / aber wenn das Stündchen vorüber ist / was bringst du dann wieder nach Hause als ein beschwertes Gewissen und ein zerstreutes Herz? Ein heiteres Ausgehen erzeugt oft ein trübes Heimkommen / und ein lustiger Abend oft einen traurigen Morgen. So ist's mit jeder Lust des Fleisches. Sie tritt sanft und kosend ein / aber zuletzt beißt und tötet sie. Was willst du auch anderswo sehen / was du im Grunde nicht auch zu Hause siehst? Sieh da Himmel und Erde und alle Elemente / denn daraus ist doch alles gemacht!

Sage mir / kannst du anderswo etwas sehen / das lange bestehen kann unter der Sonne? Du glaubst vielleicht / du wirst deine Begierde zu sehen durch Sehen doch noch befriedigen können / aber du täuschest dich und wirst es nicht erreichen. Wenn du alle sichtbaren Dinge sehen könntest / was wäre es denn anders als ein eitles Sehen? Lieber! erhebe deine Augen in die Höhe zu Gott und bete für deine Sünden und Versäumnisse. Laß dem Eitlen / was eitel ist / du aber forsch und sinne im Gesetz des Herrn Tag und Nacht. Schließ deine Tür hinter dir zu und lade Jesum / deinen Geliebten / zu dir. Bleib bei ihm in der Zelle / denn draußen wirst du nirgends so viel Frieden finden. Wärst du nicht hinausgegangen und hättest nicht von Neuigkeiten den Kopf dir warm machen lassen / dein Herz wäre nicht so geschwind um seine Ruhe gekommen. Seitdem du jeden Tag Neues und immer wieder Neues hören willst / schleicht sich fast immer mit den Neuigkeiten neuer Unfriede in dein Herz.


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