Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zwölftes Kapitel.

Das heilige Kreuz / der königliche Weg zum Himmel.

Es ist für viele Ohren ein hartes Wort: Verleugne dich selbst / nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach. Aber noch härter wird in ihren Ohren das letzte Wort sein / wenn sie es werden hören müssen: Gehet hin / ihr Verworfenen / in das ewige Feuer! Denn jene / die jetzt das Wort vom Kreuz gern hören und willig befolgen / die werden einst von dem Wort der ewigen Verdammnis nichts zu fürchten haben. Das Zeichen des Kreuzes wird am Himmel glänzen / wenn der Herr wiederkommen wird / die Menschen zu richten. Alsdann werden alle Freunde des Kreuzes / die ihrem Vorbild Christus / dem Gekreuzigten / in ihrem Leben gleich geworden sind / zu Christus / ihrem Richter / mit großer Zuversicht hinzutreten.

Warum säumst du denn / das Kreuz auf deine Schulter zu nehmen / da doch der Weg vom Kreuze zum Throne führt? Im Kreuze ist Heil / im Kreuze ist Leben / im Kreuze ist Schutz vor den Feinden / im Kreuze ist Stärke des Gemütes / im Kreuze ist Geistesfreude / im Kreuze ist höchste Tugend / im Kreuze ist vollendete Heiligung zu finden. Es ist kein Heil der Seele / keine Hoffnung des ewigen Lebens / außer im Kreuze. Nimm also dein Kreuz auf dich und folge Jesu nach / und du bist auf dem geradesten Weg zum ewigen Leben. Sieh / er ging uns ja voraus und trug uns das Kreuz voran und starb sogar für dich am Kreuze / damit auch du dein Kreuz tragen lernen und Mut empfangen solltest / am Kreuze zu sterben. Denn wenn du nun mit ihm stirbst / so wirst du auch mit ihm leben / und wenn du das Leiden mit ihm teilest / so wird er auch seine Herrlichkeit mit dir teilen.

Sieh hier das Kreuz / sieh hier das Sterben! Im Kreuze liegt alles Heil / am Sterben liegt es. Es führt kein anderer Weg zum Leben / zum wahren / innern Frieden / als der Weg des heiligen Kreuzes / des täglichen Sterbens. Geh / wohin du willst / suche / was du willst; aber einen Weg / der höher hinauf und von unten auf sicherer führte / wirst du außer dem Weg des heiligen Kreuzes nicht finden. Ordne und füge alles nach deinem Willen und nach deiner Erkenntnis / und du wirst es nicht anders finden / als daß es überall für dich etwas zu leiden gibt. Gelitten muß es sein / mit Willen oder wider Willen. Und so wirst du überall ein Kreuz finden. Denn entweder hast du Schmerzen am Leibe oder eine Plage im Geiste auszustehen.

Bald kannst du deinen Gott nirgendwo finden / und es ist / als wenn er dich verlassen hätte; bald quält dich dein Nächster / und / was das Schlimmste ist / oft bist du selber dir zur Last. Es kommen auch Fälle / die dich nirgend Arznei oder Trost / nirgend Rettung oder Linderung werden finden lassen; du wirst leiden müssen und solange leiden / bis der Herr dem Leiden ein Ende macht. Der Herr will / daß du eine Weile auch ohne Tröstung leiden und dich ihm ganz ohne Ausnahme unterwerfen lernest und aus dem Leiden demütiger hervorgehest / als du hineingingst. Niemand kann das Leiden Jesu ihm so herzlich und innig nachempfinden / als wer aus gleichem Leidensbecher mit ihm getrunken hat. So ist denn überall für dich ein Kreuz gerüstet und wartet auf dich / bis du kommst und deine Schulter darunter legst. Du kannst dem Kreuz auch nicht entlaufen / wohin immer du laufen magst. Denn wo immer du hingehst / da gehst du selbst mit dir / nimmst du dich selber mit / und so wirst du auch überall dich wiederfinden. Wende dich / wohin du willst / nach oben / nach unten / nach innen / nach außen: in allem Wenden wirst du ein Kreuz finden; und du mußt überall / wohin du gehst / Geduld mit dir nehmen / Geduld festhalten lernen / wenn du innern Frieden haben und die ewige Krone erstreiten willst.

Wenn du dein Kreuz willig tragen lernst / so wird hinwieder dich das Kreuz tragen und wird zum erwünschten Ziel dich hingeleiten / wo nämlich das Leiden auch sein Ziel und Ende haben wird. Hier in dieser Welt findet aber das Kreuz sein Ende nicht. Wenn du dein Kreuz unwillig trägst / so legst du auf dein Kreuz ein zweites / machst dir die Bürde noch einmal so schwer und wirst sie am Ende dann doch ganz tragen müssen. Wenn du ein Kreuz gewaltsam abschüttelst / so wirst du ohne Zweifel wieder ein anderes dir auf die Schulter laden / und dies andere wird vielleicht schwerer sein als das vorige.

Glaubst du / du allein werdest ohne Kreuz durchkommen können / da doch kein einziger Sterblicher durchkommen konnte? Wie heißt denn der Heilige / der ohne Kreuz und Trübsal in der Welt war? Selbst unser Herr Jesus Christus war nicht eine Stunde ohne Leiden / solange er auf Erden lebte. Denn Christus mußte leiden und von den Toten auferstehen / und so in seine Herrlichkeit eingehen. Und wie willst du dir einen andern Weg aussuchen als diesen königlichen Weg / den Weg des heiligen Kreuzes?

Das ganze Leben Christi war nur Kreuz und Marter / und du willst nichts als Ruh und Freude haben? Irre gegangen / weit irre gegangen bist du / wenn du etwas anderes suchst als Leiden / weil dies ganze sterbliche Leben voll Elend und überall mit Kreuz und Plagen gezeichnet ist. Und je weiter einer im Leben des Geistes vorwärts geschritten ist / desto schwerere Kreuze werden ihm begegnen. Denn je lieber ihm seine wahre Heimat wird / um so mehr Pein schafft es ihm / in der Verbannung leben zu müssen.

Doch wird es ihm bei diesen seinen mancherlei Plagen nicht lang an Tröstungen / die sein Leiden mildern / fehlen können; denn es werden aus dem Kreuze / das er mit Geduld trägt / die schönsten Früchte vor seinen Augen erwachsen. Indem er seinem Kreuz freiwillig sich unterwirft / so tritt freundlich die Zuversicht zu ihm und verwandelt die Bürden der Zeit in so viele Tröstungen der Ewigkeit; und je mehr das Fleisch durch den Druck des Leidens geschwächt wird / desto mehr wird der Geist durch die innerliche Gnade gestärkt. Manchmal fühlt der Geist bei seiner Trübsal und Plage ein solches Übermaß von Stärke / daß er / durchdrungen von der Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus und voll Freude über die Gleichheit zwischen seinem eigenen Leiden und dem Kreuze Christi / nicht einmal ohne Trübsal und Schmerz leben möchte; denn er glaubt / daß er seinem Herrn um so angenehmer sein wird / je mehr und je schwerere Leiden er für das Reich wird ausstehen können. Dies aber ist nicht Menschenwerk / es ist Gnade Christi / die in dem sterblichen Fleisch so viel vermag / so viel zustande bringt / daß der Mensch das / was er nach seiner sinnlichen Natur scheut und flieht / im glühenden Eifer seiner besseren Natur mutig angreift und liebgewinnt.

Es liegt nicht in der Art des Menschen / daß er sein Kreuz trage und liebe / das Fleisch züchtige und als einen Knecht unter die Herrschaft des Geistes bringe / der Ehre und dem Lob der Menschen aus dem Wege gehe und die Schmach willig ertrage / sich selbst verschmähe und gern es sehe / daß andere ihn verschmähen / alles Widrige unter Aufopferung seines Vorteils erdulde und nichts von den glänzenden Freuden der Erde verlange. Wenn du nur immer auf deine eigene Kraft siehst / so wirst du / dir selber überlassen / so große Dinge nicht tun können. Aber wenn du auf den Herrn vertraust / so wird dir Stärke vom Himmel gereicht / und Fleisch und Welt werden unter deine Herrschaft gebracht. Auch dein Feind / der Teufel / wird nichts Furchtbares für dich haben / wenn du die Waffenrüstung des Glaubens angezogen hast und mit dem Kreuze Christi wirst bezeichnet sein.

Halte dich also als ein guter / treuer Knecht Christi darauf gefaßt / das Kreuz deines Herrn mutvoll ihm nachzutragen / ihm / der aus Liebe zu dir sich an das Kreuz schlagen ließ und daran starb. Bereite dich darauf / daß du in diesem Leben viel Widriges und mancherlei Drangsale wirst auszustehen haben. Denn wo du auch bist / es wird nicht anders mit dir gehen / und wo immer du dich verbirgst / anders wirst du es nirgendwo finden. Und so muß es auch sein; denn du kannst bei dem Druck der Gottlosen und bei den schmerzenden Eindrücken von außen dem Leiden nicht anders entkommen / als durch Leiden. So trink denn mit herzlicher Zuneigung zum Herrn aus seinem Leidensbecher / wenn du sein Freund sein und an seiner Herrlichkeit teilnehmen willst. Was aber die Tröstungen betrifft / so stelle sie Gott anheim. Er mache es auch mit den Tröstungen / wie es ihm gefällt. Du mußt aber immer zum Leiden dich anschicken und / was Drangsal ist / für Labsal halten lernen. Denn die Drangsale dieser Zeit können nicht in Vergleich gesetzt werden mit der zukünftigen Herrlichkeit / und die würde den Wert deiner Geduld auch dann noch unvergleichbar übersteigen / wenn du allein alle Drangsale hättest ausstehen können.

Wirst du es einmal so weit gebracht haben / daß dir die Bitterkeit des Leidens um Christi willen süß und schmackhaft wird / dann magst du glauben / daß es gut mit dir stehe. Denn alsdann hast du das Paradies auf Erden gefunden. Solange dir aber das Leiden bitter ist und du ihm gern aus dem Weg gehen möchtest / solange wird es nie recht gut mit dir stehen / und es wird dir / wohin du auch fliehen solltest / auf deiner Flucht überall eine Plage nachfliehen.

Wenn du dich gefaßt machen kannst auf alles / worauf du gefaßt sein sollst / nämlich auf Leiden und Sterben / dann wird es schnell mit dir besser werden / und du wirst Frieden finden. Wärst du auch mit Paulus entrückt in den dritten Himmel / so wärest du dennoch vor Leiden und Trübsal nicht sicher. Denn gerade von Paulus spricht Jesus: Ich will es ihm zeigen / was er alles um meines Namens willen wird leiden müssen. Leiden ist und bleibt also dein Erbteil hinieden / wenn du Jesum lieb haben und ihm ohne Unterlaß dienen willst.

Ach / daß du würdig wärest / um des Namens Jesu willen etwas zu leiden! Welch eine große Herrlichkeit für dich / welch ein göttlicher Jubel für alle Heiligen Gottes / welch eine gründliche Erbauung für deinen Nächsten würde daraus entstehen! Denn die Geduld empfehlen alle / obgleich wenige sie ausüben mögen. Allerdings solltest du gern ein geringes Leiden für Christus tragen lernen / da viele so ungleich schwere Leiden für die Welt erdulden.

Laß es dir noch einmal recht gewiß und klar werden / daß das Sterben dein eigentliches Leben sein sollte; denn je mehr einer sich selbst abstirbt / desto mehr fängt er an / seinem Gott zu leben. Niemand ist fähig / himmlische Dinge zu verstehen / der nicht zuvor fähig geworden ist / für Christus widrige Dinge zu leiden. Nichts ist Gott angenehmer / nichts ist dir heilsamer auf Erden / als gern für Christus zu leiden. Und wenn die Wahl dir frei stünde / so müßtest du eher wünschen / recht viel Widriges für Christus zu leiden / als mit vielen Tröstungen erquickt zu werden / weil du auf dem Wege des Leidens Christo ähnlicher und allen seinen Heiligen würdest gleichförmiger werden. Denn unser rechtes Verdienst und das eigentliche Fortschreiten im Guten besteht nicht in vielen Tröstungen und Süßigkeiten / die wir genießen / sondern vielmehr in großen Drangsalen und schweren Lasten / die wir geduldig tragen.

Gäbe es für die Menschen einen mehr sicheren und besseren Weg zum Heil als den Weg des Leidens / so hätte Christus mit Wort und Beispiel sicher ihn gewiesen. Hat er doch alle Jünger / die ihm nachfolgten / und auch jene / die ihm nachfolgen wollen / so klar wie möglich angewiesen / das Kreuz zu tragen. Er spricht: Wenn jemand mir nachkommen will / der verleugne sich selbst / nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Nachdem man also alles durchgelesen und durchforscht hat / muß man es doch bei diesem Schluß bewenden lassen / daß man durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müsse.


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