Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dankbares Gedenken der Wohltaten Gottes.

Du / o Herr / hast den Schlüssel zu meinem Herzen / schließ es auf / daß ich dein Gesetz verstehe / und lehre mich / auf der Bahn deiner Gebote zu wandeln. Gib mir Kraft / deinen Willen zu erkennen und deine Wohltaten im allgemeinen und im besonderen mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu betrachten und mit tiefer Ehrfurcht im Andenken zu behalten / damit ich dir gebührend dafür danken könne. O ich weiß wohl und bekenne es laut / daß ich unfähig bin / dir auch nur für die geringste Wohltat genug zu danken. Ich bin zu gering / auch nur zu denken an all die Gaben / die ich von dir empfangen habe; und wenn ich zu der edlen Liebe des Wohltäters aufsehe / o dann schwindet mein Geist vor deiner Größe und vermag nicht / sich zu halten.

Was wir Gutes haben an Leib und Seele / in uns und außer uns / alles Gute / es liege in dem Gebiet der Natur / oder sei höher als alle Natur / alles Gute ist deine Gabe und preist dich als den Geber voll Güte und Milde / von dem wir alles Gute empfangen haben. Und wenngleich einer mehr / der andere weniger empfangen hat / so ist doch alles empfangen / alles deine Gabe / und ohne dich hätten wir nicht das Geringste. Wer mehr empfangen hat / darf es nicht etwa als sein Verdienst / das ihm Ehre macht / ansehen / darf nicht über andere sich erheben / nicht den / der geringer ist / mit höhnendem Stolz verachten. Denn nur der ist der größere und bessere Mann / der sich selbst weniger zuschreibt und im Danken mehr Demut und Andacht bezeugt. Und gerade der / welcher in seinem Auge geringer und weniger wert ist als andere / der ist auch fähiger / größere Gaben zu empfangen als andere.

Wer aber weniger empfangen hat / soll deshalb nicht traurig noch unwillig werden / noch seinen Nachbarn mit scheelem Blick ansehen / sondern zu dir aufschauen und deine Güte dafür preisen / daß du ohne parteiische Vorliebe für die Person so viele Gaben und so reichlich und so milde / ganz ohne alles Verdienst / ausspendest. Alles ist deine Gabe / strömend aus der einen Urquelle / die du bist / also bist du auch in allen Gaben zu loben. Du weißt es / was für eine Gabe einem jeden nützlich ist; warum dieser mehr / jener weniger empfangen hat / darüber können nicht wir Richter sein / das kann dein Blick allein entscheiden / vor dem der Wert eines jeden Menschen schon vor Grundlegung der Welt wie in der Gegenwart bestimmt und entschieden daliegt.

Daher achte ich es auch für eine große Wohltat / o mein Gott und Herr / daß ich nicht viel besitze / was in den Augen der Menschen glänzt und den Besitzer groß und herrlich macht. Eben deswegen soll ein Mensch in Anbetracht seiner Armut und Niedrigkeit nicht mißmutig / traurig oder gar mutlos werden / sondern dadurch vielmehr zum Trost und zur Freude sich ermuntern lassen; indem du / mein Gott / die armen niedrigen Menschen / die die Welt verworfen hat / zu deinen Hausgenossen und vertrauten Freunden gemacht hast. Selbst deine Apostel / die du zu Fürsten in deinem Reich gemacht hast / sind Zeugen dieser Wahrheit. Unsträflich war ihr Wandel auf Erden / ohne Falsch und Arglist ihr Sinn / und so einfältig und demütig ihr Herz / daß sie es auch für Ehre und Freude hielten / um deines Namens willen Schmach zu leiden / und / was die Welt verabscheut / mit Inbrunst umfaßten.

Wer also dich lieb hat und deine Wohltaten kennt / soll seine größte Freude daran haben / daß dein Wille in allem geschehe / und alles / was du von Ewigkeit her angeordnet hast / nach deinem Wohlgefallen vollbracht werde. Diese deine ewige Ordnung soll sein ganzer Trost und der Grund seiner Zufriedenheit sein. Aus Achtung vor deiner Ordnung sollte er so gern der Geringste sein / als ein anderer gern der Erste wäre / sollte so willig und so zufrieden die letzte Stelle einnehmen / wenn du sie ihm anweisest / als ob sie die erste wäre. Aus Achtung vor deiner Ordnung sollte er so willig und zufrieden dabei sein / wenn er verkannt und verachtet wird / und sein Name aus dem Gedächtnis der Menschen verschwindet / als wenn die Welt über alle andern Menschen ihn hinaufsetzte und ihm die erste Stelle einräumte. Denn dein Wille und der Eifer / deinen Namen zu verherrlichen / muß bei ihm über alles gehen / dein Wille muß ihm mehr Trost und Freude gewähren als alle Gaben / die er von dir empfangen hat oder noch empfangen könnte.


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