Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Daß man in den Tagen der Lästerungen auf Gott allein vertrauen soll.

Mein Sohn / steh fest und hoffe auf mich. Denn was sind Menschenworte anders als Worten: Durch die Luft fliegen sie / aber sie können keinen Stein von der Stelle rücken. Hast du gefehlt / so laß deine erste Sorge sein / deinen Fehler wieder gut zu machen. Bist du dir keines Fehlers bewußt / so sieh zu / wie du es aus Liebe zu Gott willig erträgst. Die Menschen Arges von sich reden zu lassen / heißt doch im Grunde wenig leiden. Du bist offenbar noch nicht stark genug / schwere Schläge auszuhalten / weil du kaum ein hartes Wort ertragen kannst. Und darum greifen dann so geringe Leiden dir so tief in dein Herz hinein / also nur deswegen / weil du noch unter der Herrschaft des Fleisches stehst / noch auf Menschenurteil ein größeres Gewicht legst / als du aller Vernunft nach darauf legen solltest. Du hast noch eine so kindische Furcht vor den verachtenden Blicken der Menschen / deshalb willst du wegen deiner Fehltritte dich nicht strafen lassen / deshalb willst du deine Blößen mit dem Feigenblatt der Entschuldigung so künstlich zudecken.

Kehre nur den schärferen Blick in dein Herz / und du wirst es klar sehen / daß die Welt und die eitle Begierde / den Menschen zu gefallen / in dir noch sehr lebendig sind. Denn da du vor Erniedrigung und Beschämung / die deine Fehler verdient haben / zurückbebst / so gibst du dadurch klar zu verstehen / daß du die wahre Demut noch nicht besitzest / daß du der Welt noch nicht gestorben / und die Welt dir noch nicht gekreuzigt ist. Horche nur auf ein Wort aus meinem Munde / und zehntausend Menschenworte werden dein Herz nicht in Bewegung setzen können. Sieh / wenn alles Böse / das die sinnreichste Bosheit ersinnen könnte / wider dich ausgestreut würde / was würde es denn dir schaden können / wenn du alles vorübergehen ließest / oder wenn dein Herz an all den Lästerworten so wenig Anteil nähme wie an einem Grashalm auf der Wiese draußen: Könnten alle Lästerworte als Worte auch nur ein Haar deines Haupts dir ausreißen?

Aber wer sein Herz nicht bei sich daheim und seinen Gott nicht immer vor Augen hat / den kann ein leichtes Lästerwort aus aller Fassung bringen. Wer aber auf mich vertraut und nicht auf seinem Eigendünkel bestehen will / den wird kein Menschenwort so leicht in Furcht und Schrecken jagen können. Denn ich bin der Richter / ich weiß um alle Geheimnisse / ich weiß den Gang der Sache / ich kenne beide / den / der verleumdet / und den / der die Verleumdung still erduldet. Von mir ging das Wort aus / das so tief dich verwundete / ich ließ ihm freien Lauf / damit die geheimsten Gedanken in vielen Herzen sich offenbarten. Ich werde einst den Schuldigen und den Unschuldigen öffentlich richten und habe jetzt nur ein geheimes Gericht über beide ergehen lassen / damit schon im voraus an beiden offenbar werde / was in ihnen ist / Gutes oder Böses.

Das Zeugnis der Menschen trügt oft / aber mein Urteil ist wahr / bleibt ewig wahr und vermag durch kein anderes Urteil umgestoßen zu werden. Mein Urteil ist zwar für die meisten Menschen ein Geheimnis / und nur wenige haben Licht genug / es einzusehen. Aber die lauterste Wahrheit ist es immer und kann nichts als die lauterste Wahrheit sein / irrt nicht und kann nicht irren / wenngleich es im Auge des Toren irrig zu sein scheint. Du mußt also bei allen Urteilen / die die Menschen über dich ergehen lassen / zu mir deine Zuflucht nehmen und nicht auf deiner eigenen Meinung bestehen. Denn der Gerechte bleibt heiter und unverwirrt in allem / was der Herr über ihn kommen läßt. Es kränkt ihn auch nicht sonderlich / wenn einige Zeitgenossen wider alle Gerechtigkeit ihn verdammen. Er hat auch keine eitle Freude daran / wenn andere mit aller Vernunft ihn in Schutz nehmen. Denn er erwägt / daß ich es bin / ich allein / der die Herzen erforscht und die Nieren prüft / der nicht nach dem trügenden Schein richtet / sondern nach der Wahrheit. Denn oft finden meine Augen noch da eine Schuld / wo das menschliche Gericht nichts als Unschuld findet. O mein Gott und Herr / du mein Richter und meine Stärke / gerecht in allen deinen Gerichten und stark zum Helfen in allen meinen Nöten: Du kennst die Gebrechlichkeit und den bösen Sinn der Menschen und bist geduldig und barmherzig. Sei du meine Stärke / du mein ganzes Vertrauen. Denn mein Gewissen tut mir kein Genüge. Du weißt / was ich nicht weiß. Deshalb hätte ich mich auch bei allem Tadel der Menschen vor deinem Richterblick erniedrigen und in stiller Sanftmut alles ertragen sollen. Verzeihe mir auch / wenn und so oft ich anders gehandelt habe / und schenke mir neue Kraft zur neuen Geduld. Denn die Fülle deiner Erbarmungen taugt ungleich besser zur Vergebung aller meiner Sünden / als meine vermeintliche Gerechtigkeit zur Rechtfertigung meiner Fehler / die in meinem Gewissen keine Spur hinterlassen haben. Und obgleich ich keiner Sünde mir bewußt bin / so kann ich doch selbst deshalb mich nicht gerecht sprechen. Denn käme deine Barmherzigkeit uns nicht zu Hilfe / so würde kein Mensch vor deinem Angesichte bestehen / kein Mensch mit seiner Gerechtigkeit vor dir ausreichen können.


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