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Herzog Ernst der Fromme und der Geistliche.

Er war der sechste Sohn des Herzogs Johann von Weimar. Durch seine Gottesfurcht erwarb er sich den Beinamen des Frommen. Geboren den 25. Dec. 1601 zeigte er schon als Knabe einen religiösen Sinn. Beim Ausbruch des 30jährigen Kriegs nahm er Theil daran, obwohl er den Krieg haßte, und trat dem Bunde der Protestanten unter Gustav Adolf bei, zeichnete sich in der Lützner Schlacht, wie kurz vorher in dem Treffen am Lech durch Tapferkeit und Aufopferung aus. Nach der Schlacht bei Nördlingen zog er sich zurück, und lebte dem Lande, der Familie und den Wissenschaften. 1640 erhielt er bei der Theilung der väterlichen Länder, das Herzogthum Gotha, und wurde somit der Stammvater der gothaischen Linie. Seine Regierung war weise, ruhmvoll und segensreich. Er starb in einem Alter von 73 Jahren (1675).

(1601-1676)

Herzog Ernst reist' oft die Kreuz und Quer
In seinem freundlichen Land umher,
Besuchte dann Kirchen und Schulen zumeist,
Zu erhalten die Jugend in gutem Geist.
So trat er unerkannt und allein
Eines Tages bei einem Dorfgeistlichen ein,
Und sprach mit ihm ganz schlicht und gering
lieber manch weltlich und geistliches Ding;
Mustert auf dem Pulte manch Notenstück,
Die Folianten auch auf dem Bücherrück.
Da fand er denn unter Papieren versteckt
Eine Bibel mit Spinnweb und Staub bedeckt.

Wie der Pastor sich wendet, nimmt er behend
Das bestäubte Buch und blättert am End',
Legt still ein Goldstück von hellstem Schein
In die Offenbarung Johannis hinein,
Stellt die heilige Schrift an den alten Ort,
Und wandert dann wieder des Weges fort. –

Nach Jahr und Tag steht der Pastor am Thor,
Da schreitet der Herzog als Herzog empor.
Der Geistliche neigt sich, vor Freude gerührt,
Indem er die Hoheit ins Zimmer führt.
Ernst plaudert mit ihm gar mancherlei,
Zuletzt doch fragt er ihn keck und frei:

»Freund! lest ihr denn auch in der Bibel oft?«

»»So fleißig, wie's Eure Gnaden verhofft,
Seit der Jugend les' ich sie immerdar
Von vorn bis zu End' alle halbe Jahr,
Und zwar, – wie stark auch der Verse Zahl –
Ein ganzes Buch jedwegliches Mal.«

Ihm erwiedert Ernst: »Ein löblicher Brauch!
Die Offenbarung lest ihr doch auch?«
»Ei wohl! entgegnete der Prediger dreist,
Schwer ist zwar ihr überschwänglicher Geist,
Doch hab' ich erst gestern sie wieder studirt.««

»Freund! wenn's euch in eurer Zeit nicht genirt,
Schlagt doch mal das dritte Kapitel mir auf.« –

Der Pfarrer holt in keuchendem Lauf
Die Bibel, die dick vom Staube verpicht
Nicht sehr für den brünstigen Eifer spricht.
Er sucht das Kapitel – O wonniger Graus!
Ein blanker Dukaten äugelt daraus.

Der Herzog schüttelt bedächtig den Kopf:
»Ihr seid doch wahrhaftig ein närrischer Tropf,
Daß ihr beim Studiren so tiefgelahrt
Mit keinem Blicke das Goldstück gewahrt!
Behaltet die Münze – doch merkt euch den Tag,
Da Ernst auch gar ernstlich zu strafen vermag;
Sonst könnt euch in eures Geistes Verrosten
Die vergeßne Bibel die Pfarre noch kosten!«



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