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Ein Traum Friedrichs des Weisen.

(1517)

Der Allerheilgen-Abend senkte sich,
Der Kurfürst Friedrich saß im Schloß zu Schweinitz
Im Ledersessel hingestreckt, das Haupt
Gedankenvoll gestützt auf seinen Arm.
Johann, sein Bruder, ging mit hast'gem Schritt
Im Zimmer auf und ab: »So rede, Fritz,
Neugierde brennt das Herz mir nach dem Traum!«

Und Jener drauf, wie noch im Traum verloren,
Begann, den wundersam belebten Blick
Gerichtet auf das Flackerlicht der Kerzen:
»Mir war vergangne Nacht, als sende Gott
Mir einen Mönch von biedrem Angesicht,
Zur Seite standen ihm der Heil'gen viel,
Die Zeugniß gaben, daß er gottgesandt.
Der Mönch bat sich verneigend um Erlaub,
Daß eine Schrift er an die Wittenberger
Schloßkirche schreibe; welch erkühnte That
Mich nie gereuen dürfe. Durch den Kanzler
Ließ ich ihm sagen, daß, wenn dem so wär',
Er schreiben möge, was ihm Gott befohlen.
Drauf ging der Mönch und schrieb ans Kirchenthor
Mit so gewalt'gen und so schönen Zügen,
Daß ich die Schrift hier in dem Schlosse las.

»Des Mönches Feder war so mächtig lang,
Daß fern bis Rom ihr spitzes Ende reichte
Und dort sich bohrt' in eines Löwen Ohr,
Daß es im Nu zum andern fuhr heraus.
Die Feder dehnte sich bis zu des Pabstes
Dreifacher Krone, die vom jähen Stoß
Erschüttert wankte – und zu fallen drohte;
Die Cardinäle sprangen flugs herbei
Und hielten sie besorgt.
Just wie sie wankte
War mir's, als ob wir beiden Brüder selbst
Nicht ferne stünden, und ich meine Hand
Ausstreckte, die Gefährdete zu retten –
Doch wie ich zugriff, fuhr ich aus dem Traum.

»Bald schlief ich wieder ein – da stand der Mönch
Noch unverrückt, und stach mit seinem Kiel
Noch immer auf den Löwen, deß Gebrüll
Das röm'sche Reich erschreckt versammelte.
Der Pabst erheischte von den Ständen rings,
Daß man des Mönches Schreiben untersage,
Und mir berichte dieses Frevels Schmach.

»Da wacht' ich wieder auf, nach kurzer Frist
Aufs neue fortzuträumen.
Vor mir stand
Nochmals der Mönch, und wir bemühten uns
Der Feder Kraft zu brechen und den Pabst
In Sicherheit zu schaffen, doch je mehr
Die Feder zu bewält'gen wir bestrebt,
Nur um so ärger starrt' und knarrte sie,
Daß uns die Ohren gellten, und wir all'
Ablassen mußten von dem eiteln Thun.

»Ich frug den Mönch – denn in des Traums Gemisch
War bald in Rom ich, bald in Wittenberg –
»Woher die Feder stamme, die so fest,
So unzerstörbar trotze der Gewalt?
Darauf entgegnete der Mönch: sie sei
Von einer Böhm'schen hundertjähr'gen Gans;
Ein weiser Meister hab sie ihm verehrt,
Als Angedenken treulich sie zu wahren.
Auch hab' die Feder selber er geschnitten,
Die darum sei so unzerstörbar fest,
Weil man ihr Seel' und Mark nie könn' entziehn,
Weil man ihr rauben könne nie den Geist.

»Nicht lange währt' es, hub sich wirres Schrein:
Zu Wittenberg erwüchsen aus der großen
Viel andre kleine Federn, die gemach
Erstarken würden gleich dem Kiel des Mönchs.

»Wie ich nun ob des wüsten Lärmes mich
Beim Mönch befragen wollte – wacht' ich auf.« –

Der Kurfürst schwieg und prüfte mit dem Aug'
Die Stirn des merksam lauschenden Johann.
Der nickte mit dem Haupte:
»Lieber Fritz,
Ein seltsam ahnungsschweres Traumgesicht –
Gedanken heg' ich sonderlicher Art – –
Doch deuten wir nicht, eh's die Zeit gebietet!«

*

Zur selben Stund', als Friedrich seinen Traum
Dem Bruder kündete, schritt festen Sinns
Eislebens Bergmannssohn, Martinus Luther,
Durch nächt'ge Stille nach der Wittenberger
Schloßkirche hin, und schlug an ihre Pforte
Die fünf und neunzig Sätze, die, geweiht
Dem heil'gen Vater auf Sanct Petri Stuhl,
Mit keckem Trotz Rom's Ablaß niederstürzten
Und sonnenklar erleuchteten die Welt.



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