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(1270)
Rings wolkendunkle, tiefe Nacht;
      
 Die Wartburg liegt in stiller Ruh,
      
 Ein Augenpaar nur sorgt und wacht,
      
 Das schließt kein Schlummer lindernd zu.
O Margareth, du letzter Sproß
      
 Vom Kaiserstamm der Hohenstaufen,
      
 Das Glück der Seele zu verkaufen
      
 Zogst du in dieses Felsenschloß,
      
 Wo mit verführerischem Munde
      
 Die buhlerische Kunigunde
      
 Dir Alberts, deines Gatten Herz,
      
 Entzog in falschem Liebesscherz!
Rings wolkendunkle tiefe Nacht, –
      
 Da klirrt es leis, da regt sich's sacht
      
 In Margarethen's Schlafgemach,
      
 Unheimlich schlotterts wie Gewande nach.
Die Fürstin fährt empor vom Bett:
      
 »Hilf Gott! wer schlich sich in das Kabinet
      
 Zu dieser nächtlich stillen Stunde?«
Ein Dichtverhüllter stürzt hervor
      
 Und ruft mit angstbeklemmtem Munde: 
      
 »Fürstin! hebt mich aus meiner Schuld empor!
      
 Auf Alberts Rath
      
 Hat mich gedungen Kunigunde
      
 Zu schnöder, grausenvoller That.
      
 Zu tödten euch ward mir der Mördersold,
      
 Doch brennt die Seele mir das sündge Gold!
      
 Flugs rettet euch – ich bitt' euch auf den Knien –
      
 Ihr wart so gut, ihr wart so hold,
      
 Euch treugesinnt – komm ich mit euch zu fliehn!«
Margarethe rafft sich auf, –
      
 Sie wankt in halbbewußtlos jähem Lauf
      
 Zum Lager ihrer lieben Knaben fort:
      
 »O theurer, einst gesegnetsüßer Ort,
      
 Wo ich an Alberts Brust erwarmte,
      
 Wo dreimal sich der gnädge Gott
      
 Mild der Gebärenden erbarmte,
      
 Dich lass' ich jetzt als einer Buhle Spott!« –
Trost suchend beugt sie sich dann nieder,
      
 Sie herzt die Kleinen, herzt sie wieder:
      
 »Ach ohn' euch 
      kann ich nicht entfliehn!«
Da fühlt sie hastig sich am Arme ziehn:
      
 »Landgräfin auf – es lauert der Verrath
      
 In jedem Spalt der falschen Mauern,
      
 Könnt ihr den Schmerz nicht überdauern,
      
 Ein Augenblick – und euer Ende naht!«
Margarethe schluchzt – und laut aufjammernd,
      
 Friedrich den ältsten Sohn umklammernd, 
      
 Küßt sie ihn wild – als würd' ihr Herz
      
 Im ungeheuren, namenlosen Schmerz
      
 Aus ihrem Busen jetzt gerissen, –
      
 Ein langer, trennungsschwerer Kuß:
      
 »Friedrich! nimm diesen letzten Muttergruß!«
Und in die Wang' in rasendwilder Glut
      
 Hat sie das theure Kind gebissen.
Es tropft der Liebeswunde theures Blut,
      
 Zum unvergeßnen Male sich zu narben.
      
 Die Mutter floh ins weite Land hinaus,
      
 Des Herzens seligste Gefühle starben,
      
 In stillem Klosterhaus
      
 Starb sie vom Gram vergiftet ihnen nach.
Doch Friedrich der Gebißne rächte wild
      
 An seinem Vater, wie an jener Schlange,
      
 Die seiner Mutter angethane Schmach,
      
 Des Kusses eingedenk auf seiner Wange.