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Mathildis.

(912)

Im Kloster zu Hervorden
Erklingt das Glöcklein fromm und mild,
Es kniet der Nonnenorden
Vor'm heilgen Muttergottesbild.

Herr Heinrich tritt in's Kloster,
Sein helles Aug' irrt scheu herum,
Dann plötzlich an bemooster
Steinsäule lehnt er wonnestumm.

Im Betstuhl sitzt genüber
Ein Mägdlein schön und lilienrein,
Die Stirn verklärt, und drüber
Lichtblonden Haares Glorienschein.

Demuth im Aug' und Milde,
Den Himmel Gottes in der Brust,
Ein Engel glänzt Mathilde,
Erhaben über Menschenlust.

Das Hochamt ist beendet,
Im Kreuzgang hallt der Beter Tritt,
Und zur Aebtissin wendet
Die Jungfrau ihren leisen Schritt.

Kaum rührt sie noch die Schwelle,
Reicht der Aebtissin kaum die Hand:
Tritt Heinrich in die Zelle
Und küßt der hohen Frau Gewand:

»Die Schönheit wirkt gewaltig,
Doch beugt erst Manneskraft sich ihr,
Wenn Frommheit tausendfaltig
Veredelt ihrer Reize Zier.

»Laß mich vor Dieser neigen,
Die mütterlich du zogst empor,
Mathildis sei mein eigen,
Die meine tiefste Seel' erkor.

»Sie ist mein All, mein Auge,
Mit dem ich seh', in dem ich bin;
Daß ich zu Thaten tauge,
Gib mir des Herzens Herzogin!«

Wie von der Maiensonne
Die Rose sanft geweckt erblüht,
Hob sich in Liebeswonne
Der Jungfrau kindliches Gemüth.

Indeß den Blick erhoben
Ernstsinnend die Aebtissin stand,
Legt sie zum Bund verwoben
Mathildens Recht' in Heinrichs Hand:

»Die ihr in Gott euch findet,
Euch wird das Leben lieb und licht,
Den Eisenhelm umwindet
Die Liebe mit Vergißmeinnicht.«



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