Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Viertes Kapitel.

Der große, furchtbare Morgen des Schlachttages brach an. Der Himmel war heiter; nur wenige Nebelstreifen lagen über den tiefgehöhlten Betten der Kalotscha und einiger andern Bäche, die das Schlachtfeld durchströmten. Ein frischer Morgenwind zerteilte die Dunstgebilde in wenigen Minuten, jetzt hob die Sonne sich hinter den düstern, dunkelglühenden Gipfeln des Fichtenwaldes bei Utiza herauf und warf ihre Strahlen blendend über das Gefilde, wo die Massen des französischen Heeres, schon zur Schlacht geordnet, aufgestellt waren. Die langen Reihen der Bajonette funkelten rotblitzend, die Adler strahlten, und in dem Harnisch der Kürassiere glühte das volle Bild der Sonne, so daß es sich, zahllos aneinander gereiht, einer blutigen Schlange gleich durch die Flur ringelte. »Das ist die Sonne von Austerlitz«, rief der Kaiser, der auf einer Anhöhe zur Linken der aufgestellten Kavallerie, neben einer vorgestern erstürmten Redoute hielt, und deutete mit den Fingern auf das glänzende Gestirn.

Rasinski war nebst mehreren andern Kommandeuren den Hügel hinangesprengt, um das Schlachtfeld besser überblicken zu können; er hielt so nahe, daß er die Worte des Kaisers hören konnte. Die Generale, an welche sie gerichtet waren, erwiderten nichts. Ludwig und Bernhard hielten, da sie Rasinski begleiteten, dicht hinter den Kommandeuren. Auch sie hatten den lauten Ausruf des Kaisers gehört. »Die Strahlen fallen uns zu blendend ins Auge,« sprach Bernhard leise zu Ludwig; »wir können den Feind nicht sehen, doch muß er uns desto deutlicher unterscheiden. Diese Sonne ist uns also wenigstens jetzt noch nicht günstig.« Ludwig erwiderte nichts. Ringsher herrschte das tiefste Schweigen.

Jetzt sah man die Batterien, welche in der Nacht ihre Stellung zu entfernt von der befestigten Linie der Russen genommen hatten, vorrücken, um näher gelegene Höhen zu besetzen. Der Feind benutzte diesen günstigen Augenblick nicht. Es schien, als wolle er in diesem Kampfe, wo er sich stets nur verteidigt hatte, selbst auf dem erwählten Schlachtfelde nicht das erste Blut vergießen, sondern dem Angreifer auch jetzt noch Wahl und Muße lassen, von seinem Unternehmen abzustehen.

Da ertönt plötzlich von dem linken Flügel her der dumpfe Donner des Geschützes; man sieht Rauch und Staub bei dem Dorfe Borodino aufsteigen. Die heilige Stille ist gebrochen, der schwarze Wolkenschleier des Verhängnisses zerrissen, der Blitz flammt verheerend herab. Mit zermalmender Wucht entrollt das eherne Rad den Händen des Geschickes; zertrümmere, wen es mag, keine Gewalt greift jetzt mehr hemmend in seine Speichen.

Die Befehle des Kaisers fliegen durch das Gefilde. Im Augenblick donnert es von allen Höhen, die eben noch gleich schlummernden Ungeheuern in dumpfer Schreckensstille ruhten. Rauch und Flammen brechen aus ihren Gipfeln hervor, die Erde bebt, die Lüfte zittern in dem furchtbaren Getöse. Ein hereinbrechender Höllenstrom wälzt sich, eine breite, schwarze Flut des Dampfes, wirbelnd über das Gefilde; kaum das Blutauge der Sonne dringt durch die wogenden Finsternisse hindurch.

Mit bang gepreßter Brust betrachteten Bernhard und Ludwig diese Entwicklung des den Gewohntesten erschütternden Schauspiels, welches für sie noch alle Schrecken der Neuheit und des Unbekannten mit sich führte. Doch fanden sie, wie jeder Bewußte und Gebildete, Fassung und Ruhe in dem Gefühle der Pflicht, der Männerwürde. Rasinski mochte ahnen, was in ihnen vorging. Er ritt zu ihnen heran und sprach: »Ihr habt euch mit mir eingeschifft, Freunde; jetzt stürmt und brandet die See. Ich wollte, ich wüßte ein sicheres Eiland, wo ich euch aussetzen könnte.« – »Es wäre nur ein Zufluchtsort der Schande,« entgegnete Ludwig fest; »wir wollen froh sein, daß unsere männliche Gesinnung eine ernste Probe zu bestehen hat. Sie darf es nun, und dieser Gewinn ist nicht klein, um so leichter verschmähen, die Gefahr aufzusuchen, um sich vor sich selbst zu bewähren.«

Über die ganze Hügelebene verbreitete sich jetzt der Kampf. Unweit zur Rechten vor der Stelle, wo Rasinski hielt, doch außerhalb der Schußweite, lagen drei feindliche Redouten, welche den eisernen Tod aus unzähligen Schlünden auf die anrückenden Truppen entsendeten. »Marschall Davoust wird viel Leute verlieren«, sprach Rasinski, als die Kolonnen desselben sich in der Ebene entwickelten, um die furchtbaren Redouten zu stürmen.

Fest geschlossen, doch mit reißender Schnelligkeit drangen diese, durch die strenge Kriegszucht zu einem Körper, in dem nur eine Seele lebte, zusammengeschmiedeten Massen gegen den verschanzten Feind vor. Dreißig Geschütze begleiteten sie. Bald waren sie so in Staub und Dampf gehüllt, daß man nichts mehr von ihnen sah. Mit Adlerblicken überflog Rasinski das Schlachtfeld. Auf dem rechten Flügel hatte auch Fürst Poniatowski bereits den Angriff begonnen; er debouchierte aus dem Walde, welcher seine Stellung gedeckt hatte, und drängte, so schien es, den linken Flügel des Feindes mit entschiedenem Übergewicht, doch nur langsam zurück.

Aus dem feuerspeienden Vulkane, durch welchen Davoust und seine Scharen verschlungen zu sein schienen, sprengte jetzt ein Adjutant mit verhängtem Zügel heran. Er jagte gerade auf die Stelle zu, wo der Kaiser sich befand, der seinen Standpunkt um einige hundert Schritte weiter vorwärts genommen hatte, um einen deutlichern Überblick des Gefechts zu haben. Man konnte nichts von der Meldung des Adjutanten vernehmen. Doch sah man ihn gleich darauf in Begleitung des Generals Rapp mit stürmender Eile wieder in das Schlachtgetümmel sprengen.

Um zu erfahren, wie der Kampf sich wende, ritt Rasinski an einen Transport verwundeter Offiziere heran, der soeben in der Nähe vorbeigebracht wurde. »Nun, Kameraden? Wie steht's? Ihr seid die ersten Opfer?« fragte er. – »Wir werden aber nicht die letzten sein,« antwortete ein Kapitän, der den Arm in der Binde trug; »die Batterien dort oben speien einen Hagel von Kartätschen aus. General Compans ist gefallen, der Marschall verwundet!« – »Marschall Davoust?« – »Freilich, wer sonst?« – »Das Gefecht ist also blutig?«

»Es wird leichter sein, die Übrigbleibenden zu zählen als die Toten!« – »Ich danke Ihnen, Kamerad, und wünsche Ihnen gute Besserung«; mit diesen Worten ritt Rasinski zurück.

Die Schlacht hatte sich jetzt schon allgemeiner entsponnen. Eben rückte Marschall Ney mit seinen drei Divisionen vor. Ein verwundeter General wurde aus dem Getümmel gebracht. Es war Rapp, den, als er kaum in das Gefecht gekommen war, eine Kartätschenkugel vom Pferde schmetterte. Die zweiundzwanzigste Wunde erhielt dieser unerschrockene Krieger an diesem Tage. Langsam trug man ihn gegen die Anhöhe hinauf, wo der Kaiser stand. Neys Divisionen entwickelten sich jetzt im freien Gefilde; unter dem verheerenden Feuer des Feindes drangen sie kampflustig gegen die Höhe an. Es schien, als dürfte dadurch bald eine Entscheidung eintreten, der zufolge auch die Kavallerie in Tätigkeit kommen würde; deshalb hielt sich Rasinski dicht am Regiment, um jeden Augenblick bereit zu sein.

Der König von Neapel sprengte heran. Seine Adjutanten flogen nach allen Seiten. Er nahm die leichte Kavallerie zusammen, um den Feind auf der Höhe anzugreifen. Rasinski erhielt Befehl, sich anzuschließen. Im langsamen Trabe setzte sich die Masse in Bewegung, um für den entscheidenden Augenblick näher zur Hand zu sein. Jetzt wirbelten die Trommeln der Infanterie zum Sturmschritt. Mit Blitzesschnelle sah man diese die Höhen hinanfliegen. Der Donner der Kanonen verdoppelte sich; die ganze Ebene war ein Meer von Rauch, Staub und Feuer. Man sah nicht wer fiel, nicht wer vordrang. Da verstummte plötzlich der Kanonendonner; ein lautes Jubelgeschrei teilte die Lüfte, die Redouten waren durch Neys und Davousts tapfere Scharen genommen.

Mit stürmender Gewalt rasselten jetzt die von dem ritterlichen Könige von Neapel geführten Reiterscharen durch das Schlachtfeld. Staub und Kies wurden hoch emporgeschleudert, der Boden dröhnte unter dem stampfenden Hufschlage, die Rosse schnaubten; das verworrene Getöse betäubte das Ohr. Bernhard warf einen Blick auf Ludwig, der ihm zur Seite ritt; dieser erwiderte ihn. So verständigten sich die Freunde im ernsten Augenblick; denn das gegenseitige Wort war nicht mehr zu vernehmen.

In wenigen Minuten war die Höhe erreicht. Die russischen Truppen, aus den Batterien verjagt, waren größtenteils auf dem Gefilde zerstreut und wurden leicht von der Kavallerie noch ferner geworfen. Da aber vernahm man plötzlich den erneuten Donner des Geschützes, und im Augenblick darauf brach ein Strom von Kugeln und Kartätschen in die Reihen der Krieger ein. Zugleich sah man neue Korps in schwarzen Massen sich auf den Höhen des gerade vorgelegenen zerstörten Dorfes Semenowskoi entwickeln. Es war der Fürst Bagration, der, auf Kutusows Befehl, mit diesen frischen Scharen heranrückte, um dem geworfenen Korps zu Hilfe zu eilen. Rings auf allen Höhen war Artillerie aufgefahren, und fast von allen Seiten zugleich schleuderte sie ihre verwüstenden Geschosse auf die Andringenden. Rasinskis Regiment schien der Zielpunkt gewesen zu sein, den sich unverabredetermaßen alle Batterien zugleich genommen hatten; denn es schlug eine solche Masse Kugeln und Kartätschen von der Front und halb von der Seite her hinein, daß in wenigen Augenblicken die entsetzlichste Verheerung und Verwirrung angerichtet war. Weite Lücken hatte das mörderische Geschoß gerissen; Pferde und Menschen stürzten übereinander hin; lautes Wehgeschrei der Verwundeten, halb Zerschmetterten teilte die Lüfte und zerriß das Ohr. Es war, als sei man in den Wirbel einer tobenden Windsbraut geraten, so raste der Tod in den Reihen. Rasinski hielt den Säbel hoch empor und rief mit der Macht seiner Löwenstimme den Seinigen ein »Vorwärts!« zu. Durch die Unerschrockenheit des Führers ermutigt, drangen die schon stutzenden Reihen mit einem neuen, gewaltigen Anlauf vor. Doch in diesem Augenblick prasselte ihnen ein Kartätschenhagel entgegen, dessen Dichtigkeit fast die Luft verdüsterte. Ludwigs Pferd wurde getroffen, es bäumte sich hoch auf, tat einen Bogensatz und schleuderte den Reiter weit von sich. Bernhard sah es, ein entsetzlicher Schmerz riß ihm in die Brust; doch es war an keine Hilfeleistung zu denken, denn der nachdrängende Strom trieb ihn mit unwiderstehlicher Macht vorwärts über die Gefallenen dahin. Aber schon hatte die versprengte russische Infanterie sich wieder gesammelt und rückte in geschlossenen Gliedern heran. Von allen Seiten stürmte der Tod in die Reihen; bald zerrissen alle Bande des Gesetzes, der Ordnung. Die Führer verschwanden in Staub und Rauch, oder weil sie selbst gestürzt waren; kein Befehl wurde mehr gehört, der Schrecken gewann die Oberhand. Zwei Eskadrons Dragoner, die weiter vorgedrungen waren, warfen sich, einem furchtbaren Kartätschenfeuer weichend, in der Flucht auf Rasinskis noch standhaltende Leute. Durch diesen Stoß wurden auch sie teils in den zurückflutenden Strom mit hineingerissen, teils einzeln flüchtig auseinander gesprengt. In wenigen Minuten war die ganze Linie der Kavallerie aufgelöst und auf der Flucht.

Bernhard war durch einige wilde Sprünge seines verwundeten Pferdes aus den Reihen gerissen worden. Betäubt durch das entsetzliche Getümmel, in dem sein ungewohnter Blick kaum noch etwas unterschied, spähte er nur nach Rasinski, um dessen Los zu dem seinigen zu machen. Indem erblickte er heransprengende Kosaken, die ihn fast schon umringt hatten. Schnell will er sein Roß wenden; da sieht er den König von Neapel in Gefahr, umringt zu werden. Er sprengt ihm zu Hilfe; mit ihm zugleich dringen auch schon die Seinigen von allen Seiten heran, um den Feldherrn zu retten. Es gelingt! Murat schwingt seinen wehenden Reiherbusch als Signal der Versammlung. Sein Pferd wird durch eine Kugel zu Boden gestreckt. Er selbst aber ist unverletzt; entschlossen, rühmlich zu fallen oder zu siegen, wirft er sich in die Redoute; die wenigen, die noch um ihn versammelt sind, folgen ihm. Auch Bernhard, dem nach Ludwigs Fall nur noch der Tod willkommen ist, schwingt sich von seinem durch die Wunde unbrauchbaren Pferde, um das Los dieser Tapfern zu teilen. Jetzt brausen zwei feindliche, dicht geschlossene Kürassierregimenter gleich einer ehernen Meeresbrandung über das Blachfeld gegen die Schanze heran. Schon glaubten die Bedrängten sich verloren, da erscheint der Marschall Ney an der Spitze der wieder gesammelten Infanterie zum zweitenmal auf dem Rande der Anhöhe.

Die seitwärts auffahrende Artillerie öffnet mit ihren Feuerschlünden eine Bahn in der wandelnden Mauer der fest geschlossen anrückenden russischen Kürassiere; die Infanterie gibt eine Salve und dringt im stürmenden Anlauf mit gefälltem Bajonett nach. Der Feind stutzt, wankt; seine Reihen sind gebrochen, durch furchtbares Feuer schwerer Artillerie gelichtet; einzelne weichen der Übermacht des Schreckens, der Strom reißt auch die Kühnern mit fort, und bald bedeckt sich das ganze Gefilde mit Flüchtigen. Jubelnd dringen die Sieger von allen Seiten nach; jetzt erst, da sie den Sieg, die Ehre, den Feldherrn gerettet sehen, halten sie, atemlos, erschöpft von der ungeheuern Arbeit, ein, um Kräfte zu neuen Taten zu sammeln.

Bernhard benutzte den ersten Moment, wo es möglich war, nach den Verwundeten auf der Anhöhe zu sehen, um Ludwig aufzusuchen. Man war schon damit beschäftigt, einige Generale und höhere Offiziere zurückzubringen, die auf dem blutig gedüngten Felde gefallen waren. Um die Masse der übrigen konnte sich noch niemand kümmern. Obgleich die äußerste Gefahr damit verknüpft war, wagte sich Bernhard doch auf das freigebliebene Terrain zwischen beiden Heeren hinein, wo die Leichen des Regiments liegen mußten. Ein entsetzlicher Anblick bot sich ihm dar, als er über das Feld der Verwüstung schritt. Nicht die Toten erfüllten ihn mit Grausen, die hilflos Verwundeten waren es, die jammernd um Rettung flehten, deren Elend er nicht zu mildern vermochte. Schaudernd, mit weggewendetem Gesicht floh er an ihnen vorüber. Sie streckten ihm die verstümmelten blutenden Arme nach, sie riefen nach ihm mit herzzerschneidendem Laut. Unmöglich! Er mußte fort. Dieser entsetzensvolle Anblick mahnte ihn doppelt daran, daß der, welcher ihm der Teuerste auf Erden war, sich in gleicher hilfloser Lage des Jammers befinde. Leichen von Menschen und Pferden hemmten jeden seiner Schritte. Ein Unglücklicher, der in krampfhaften Zuckungen sich auf dem Boden wälzte, packte den Vorüberschreitenden und schlang die Arme wie eine gewaltige Fessel um seine Füße. »Helft mir! Rettet mich, daß ich nicht hier verschmachte!« rief er stöhnend. Es war ein Deutscher! Bernhard vernahm vaterländische Laute! Sollte er den Landsmann, den Kameraden, der ihn stehend umschlang, der mit fürchterlich zerrissenem Leibe, dem die Eingeweide entstürzten, vor ihm winselte, zurückstoßen? Sollte er mit einem Fußtritt den Überrest des heiligen Lebens zermalmen? Und anders konnte er sich nicht aus den krampfhaft verschlungenen Armen befreien. Da rief er aus: »Ludwig, dir muß Gott helfen! Ich darf es nicht!« Und mit stürzenden Tränen beugte er sich nieder zu dem Unglücklichen, um ihn auf seine Schultern zu nehmen und an den Ort der Rettung zu tragen. Doch schon löste sich der feste Knoten, mit dem der Verwundete ihn gefesselt hielt; kraftlos fielen ihm bie Arme zurück, das mit brechenden Augen emporgehobene Antlitz sank auf den Boden nieder, der gewaltsam verzerrende Todeskrampf war vorüber, das Leben entflohen. Ein kalter Schauer rieselte über Bernhards Nacken, er trat bebend zurück und drückte beide Hände vor die Augen. Da ruft ihn plötzlich von weitem eine Stimme an; sie trifft wie ein Laut des Himmels sein Ohr. Er blickt auf, es ist Ludwig zu Pferde, der heransprengt, um den Freund, den er verloren glaubte, aufzusuchen. Mit beflügeltem Lauf eilt er ihm entgegen, sie umschließen sich in heißer Umarmung, Tränen der Freude entströmen ihren Augen! Doch gilt es kein Säumen. Der brausende Strom der Schlacht duldet nicht, daß man auf seinen Wogen müßig treibe und weile; er reißt alles mit sich fort. »Schwing dich auf!« ruft ihm Ludwig zu, »daß wir schnell die Unserigen erreichen.« Im Augenblicke sitzt Bernhard zu Pferde hinter Ludwig, und dieser jagt mit der teuern Beute zurück, wo Rasinski schon die Seinigen aufs neue sammelt und ordnet.

Mit Jubel eilen Jaromir und Boleslaw den Kommenden entgegen. »Ihr lebt? Ihr seid unversehrt?« tönt die gegenseitige Begrüßung. Auch Rasinski sprengt voller Freude heran und empfängt die Geretteten, die man schon verloren glaubte. »Ein Pferd hierher!« ruft er, und schnell ist eins von denen, die, ohne Reiter, aus natürlichem Instinkt mitten aus dem Schlachtgetümmel ihre alten Reihen wieder gesucht haben, für Bernhard in Bereitschaft. .

Einige Augenblicke der Ruhe sind den Erschöpften verstattet. Bernhard erzählt, wie es ihm ergangen; Ludwig, daß er, als sein Pferd gestürzt war, sich, obwohl von dem Schlage etwas betäubt, doch wohlbehalten wieder unter dem Roß hervorgewunden, schnell ein lediges Pferd aufgefangen und sich dann dem Regimente wieder angeschlossen habe, bis die plötzlich rückwärts flutenden Wogen auch ihn mit fortrissen. Als die Freunde sich sammeln, wiederfinden, fehlt Bernhard. Ohne ihn kein Leben! Mit verhängtem Zügel sprengt er auf das Schlachtfeld zurück, doch noch ehe er die Stelle erreicht hat, wo die gefallenen Kameraden liegen müssen, sieht er Bernhard von weitem, erkennt ihn an der Uniform, ruft ihm zu und rettet den, der ihn retten wollte.

So mit neuen Banden der Liebe aneinander geflochten, wächst ihre Freundschaft mit den größern Schickungen mächtig empor und läutert sich wie edles Gold in der Flamme der Prüfung. Doch aufs neue reißt der Wirbel der Schlacht sie fort. Auf das Geheiß des Königs von Neapel sammeln sich die Kavallerieregimenter wieder, um den durch gewaltiges Artilleriefeuer erschütterten Feind vollends in die Flucht zu werfen. Rasinski stößt zu den tapfern Brigaden, welche Bruyeres und Nansouty befehligen. Diese Massen brechen in den Feind ein und werfen ihn auf sein Zentrum zurück; doch, zahllose Tote, die Opfer des Sieges, bedecken das Schlachtfeld.

Der Saum der Höhen hinter dem Dorfe Semenowskoi ist noch immer mit furchtbaren Batterien bedeckt, die unaufhörlich ihren schwarzen Hagelschauer von Kartätschen in die Ebene hinabsenden. Der Sieg schwankt hin und her wie die Woge des gehobenen Meeres. Mit Leichen erkauft man jeden Schritt vorwärts, mit Leichen zeichnet sich die Bahn des Rückzugs. Endlich stürmt die Infanterie mit dem Aufwand der letzten Kräfte die steilen Höhen hinan, das Feuer des Feindes schweigt, es tritt ein neuer Augenblick der Ruhe ein.

Rasinski hielt mit seinem Regimente in der Vertiefung einer Schlucht, wo er, während die Infanterie das Gefecht auf ein der Kavallerie ungünstiges Terrain versetzt hatte, vor den Kugeln des Feindes gedeckt war. Ernst ritt er an den gelichteten Reihen hinunter und überschlug die Zahl derer, die er vermißte. Eine düstere Wolke trübte seine Stirn, als er nicht völlig mehr die Hälfte der Seinigen unversehrt von dem Geschosse des Todes sah. Ein volles Dritteil war unter den Toten, die übrigen verwundet. Und doch stand die Sonne erst im Mittag, und vielleicht war die blutigste Arbeit noch zu tun. Ein pfeilschnell heransprengender Adjutant Murats brachte ihm den Befehl, sich gegen den linken Flügel der Armee zu ziehen und mit seinem Regimente die in Massen vorrückende Artillerie zu decken. Zugleich ritt der Offizier mit ihm auf die nächste Höhe und bezeichnete ihm den Punkt genauer, wohin ihn der Befehl sandte. Die Schlacht war nun schon um ein bedeutendes weiter gegen die Stellung des Feindes vorgerückt. Dieser zog seine Reserven heran, um mit ausdauernder Tapferkeit einen zweiten Akt des furchtbaren Schauspiels zu beginnen. Zur Vereitelung seiner Absichten ließ der Kaiser jetzt die ganze ungeheuere Linie seiner Artillerie sich vorbewegen, um mit dieser furchtbaren Waffe schon von fernher die andringenden Kolonnen zu erschüttern. Rasinski folgte drei schweren Batterien, die einen etwas vorgeschobenen Punkt einnahmen, wo sie, leicht durch feindliche leichte Kavallerie überrascht werden konnten; er war bestimmt, sie für diesen Fall zu decken.

Das Schlachtgetöse, welches man bisher vernommen, glich nur einem fern heranziehenden Gewitter gegen die krachenden Donnerschläge, die jetzt aus dieser ehernen Wetterwolke hervorbrachen. Auf den jenseitigen Höhen waren die Russen in langen Kolonnen aufgestellt. Die Kugeln schlugen mit fürchterlicher Sicherheit in die schwarzen Massen ein. Man sah, wie der Feind in ganzen Reihen stürzte; doch ordnete er sich mit kaltblütiger Ausdauer immer von neuem. »Sie leisten einen zähen Widerstand«, sprach Rasinski, der von der Stelle, wo er hielt, das ganze Schlachtfeld übersah. »Aber sie opfern sich vergeblich. Nicht dort sollten sie sich sammeln, sondern entweder weiter zurück, oder sie müßten rasch vorgehen. Diesen Fehler werden sie teuer bezahlen müssen.«

Da für den Augenblick der Anteil des Regiments am Kampfe nur der eines Zuschauers war, gesellten sich Bernhard und Ludwig und die andern Freunde zu ihrem Führer. »Sieh, sieh,« rief Jaromir, »wie immer der blaue Himmel hinter der schwarzen Mauer sichtbar wird, wenn die Kugeln eine Bresche legen. Sie sind wahrhaft unsinnig, ihre besten Leute so zu opfern!« – »Aber wir versäumen auch die Zeit, fürcht' ich«, entgegnete Rasinski. »Wenn jetzt die Garden vorgingen und die Vorteile, die wir mit dem Blute unserer Kameraden erkauft haben, wahrnähmen, so müßten wir das ganze Heer der Russen gegen seinen rechten Flügel werfen und zwischen die Moskwa und die Kalotscha einkeilen können. Ich sehe gar nicht, wie sie entrinnen wollten.« – »Der König von Neapel, davon war ich Zeuge oben in der Redoute,« entgegnete Bernhard, »hat schon zuvor zum Kaiser gesandt und um das Vorrücken der Garden gebeten.« – »Auch Marschall Ney«, sprach Boleslaw. – »Und er verweigerte sie?« fragte Rasinski. – »Mutmaßlich.« – »Unbegreiflich! Unbegreiflich! Er ist zu weit vom Schlachtfelde entfernt; er sollte hier stehen, wo wir halten, so würde er den Angriff im Sturmschritt befehlen.«

»Ich kann mir nicht denken,« sprach Ludwig, »daß ein solcher Feldherr wie der Kaiser nicht wichtigere Gründe haben müßte, dieser Forderung nicht zu genügen, als die ihm angeben, welche das Begehr an ihn stellen.« – »Was er einwenden mag, glaube ich zu sehen,« antwortete Rasinski; »freilich ist man auf den beiden Flügeln noch nicht so weit wie im Zentrum. Doch sieht man, daß auch Fürst Poniatowski vordringt, und der Vizekönig von Italien hat wenigstens noch nicht unglücklich gefochten. Aber ist das nicht Regnard, der dort herankommt?«

Er war es in der Tat. Mit verbundenem Kopf und Arm ritt er langsam, von zweien seiner Leute begleitet, aus dem Gefecht zurück. Rasinski sprengte zu ihm heran. »Nun, wie steht's, Freund!« rief er ihm zu. – »Wie es steht? Mit mir verteufelt schlecht, wie ihr seht. Doch habe ich meinen Sicherheitspaß, daß ich in dieser Schlacht nicht das Leben lasse. Ich bin unbedeutend verwundet, aber die Höllenarbeit und der Blutverlust haben mich so matt gemacht, daß ich mich nicht mehr zu Pferd halten kann. Und das Unglück, der Verdruß, diese Arglist des Teufels möchten mich rasend machen!« – »Was denn?« fragte Rasinski erstaunt. – »Ihr fragt noch? Seht ihr denn nicht, wie die Schlacht steht? Bersten möchte ich vor Grimm, daß der Kaiser nicht mehr der Kaiser, oder vielmehr, daß er nur der Kaiser und nicht mehr der Feldherr ist. Er soll krank sein, das Fieber schüttelt ihn, kein Mensch kann ihn begreifen. Der Sieg liegt vor ihm, und er, der sonst in eine Charybdis stürzte, um ihn beim Schopf zu fassen, trägt jetzt Bedenken, nur den Arm danach auszustrecken. Murat, Davoust und Ney haben ihn beschworen, ihnen die Garden zur Verstärkung zu schicken. Er hat es abgeschlagen. Nur auf der Höhe sollten sie sich zeigen, daß der Feind vor unserer Reserve besorgt sein müsse. Es ist, als ob ein Dämon der Hölle seine Gestalt angenommen hätte, um uns zu verderben!«

»Wir werden dennoch siegen!«

»Freilich! Aber ist es anders möglich mit solchen Truppen? Gehen sie nicht auf den Feind wie Wölfe in die Herde? Meine Leute haben sich beim Angriff auf die Schanze in den Tod gestürzt, als gälte es einen Wettlauf nach den Preisen auf den Cocagnemast in den Elysäischen Feldern. Mich wundert nur, daß sie nicht die Kugeln mit dem Bajonett aus den Kanonen herauszuspießen versuchen, während der Artillerist die Lunte aufs Zündloch hält. Beim Teufel, ich weiß, was fechten heißt, aber so wie heute habe ich die Franzosen noch nicht gekannt.«

»Der Feind tut auch das Seinige!«

»Freilich! Er wehrt sich wie ein angeschossener Eber; doch gerade an solchem eisenstarren Gegner wird der Soldat zum Löwen. Lebt wohl, Freund! Ich muß mich ordentlich verbinden lassen, denn ich kann mich kaum noch im Sattel halten.« Er reichte ihm die Hand hinüber und ritt weiter.

Indessen hatte sich die Schlacht auf eine entsetzliche Weise erneuert. Jetzt war es der heldenmütige Eugen, der die gewaltigste Arbeit vor sich hatte. Auf einer Anhöhe inmitten zwischen Borodino und Semenowskoi hatte der Feind seine Stellung durch eine furchtbare Redoute gedeckt, aus der vierundzwanzig Feuerschlünde unaufhörlich ihre Eisenmassen in die andringenden Regimenter schleuderten. »Dort ist der Sieg!« rief Rasinski aus, als er den Punkt ins Auge faßte, gegen welchen jetzt beide Mächte alle ihre Massen heranführten. »Diese Redoute ist das Palladium des Russischen Reichs«, rief er nochmals mit funkelndem Blicke. »Aber es muß das unsere werden. Jetzt wird der Kaiser zeigen, daß er noch der Feldherr von Marengo und Austerlitz ist.«

Er hatte kaum diese Worte gesprochen, als er schon Befehl erhielt, wieder mit seinem Regimente zu der Masse der Kavallerie zu stoßen, die sich dem zum dritten Male neuhergestellten linken Zentrum des Feindes entgegenwerfen sollte. In einer Talvertiefung, wo ein kleiner Bach floß, wurden die Truppen unter dem Schutze des Terrains gesammelt. Zugleich sah man ungeheuere Kolonnen Infanterie sich entwickeln, die zum Sturm gegen die Redoute herangeführt werden sollten. »Ich glaube, es ist leichter, den Sitz des Donnergottes zu stürmen als diese Höllenwerkstatt der Zyklopen«, sprach Bernhard zu Ludwig und deutete hinüber. Doch schon rückten die Kolonnen in raschem Schritt mit gefälltem Gewehr heran. Da erscholl ein furchtbarer Donner. Es war eine Lage aus allen Geschützen der Redoute zugleich. Ein Hagel von Kartätschen prasselte den Truppen entgegen, als sollten sie mit einem schmetternden Schlage vernichtet werden. Der hoch aufgewirbelte Staub ließ nicht unterscheiden, was fiel und stand. Doch bald sah man die Adler wieder strahlend leuchten, und in neugeschlossenen Gliedern rückten die Stürmenden heran. Das eiserne Ungeheuer auf dem Hügel schien verstummt zu sein. Doch hatte es nur gelauert, um den Raub desto sicherer zu haben; denn als jetzt die Kolonnen wieder zu einer dichtern Masse geschlossen waren, reckte es die blitzenden Zungen aus allen seinen vierundzwanzig Höllenrachen zugleich hervor, und das Erde und Himmel erschütternde Gebrüll krachte durch die Lüfte. Wie wenn der Sturmwind über ein Kornfeld rast und die Halme in breiter Fläche zu Boden drückt, so mähte jetzt die Sichel des Todes über die Stürmenden hin. Es schien, als sei die Hälfte mit einem Streich vernichtet. Der eiserne Strom, welcher über sie hinbrauste, gönnte ihnen kaum einen freien Atemzug. Mit unersättlichem Grimm sandte die Furie des Verderbens, in den düstern Mantel der dampfenden Gewölke gehüllt, ihre Blitze nieder und betäubte das Ohr mit schmetterndem Getöse. Das Entsetzen gewann die Übermacht; die Reihen wankten, wichen, zersprengten sich in eiliger Flucht. Neue Heere wurden herangeführt und ersetzten die Zerschmetterten und Geflüchteten; aber ebenso unerschöpft ergoß sich die alles niederreißende Flut der Kartätschen über das Feld. Leichen stürzten über Leichen, als wolle man einen Wall von Gefallenen um diesen Tod ausspeienden Krater türmen.

An beide Seiten der Redoute, die wie ein uneinnehmbares Gibraltar allen Anstrengungen des verwegensten Mutes trotzte, lehnten sich die Flügel des russischen Heeres. Auch sie sandten den Tod in die Reihen der Angreifenden. Murat sendet zwei Kavallerieregimenter gegen diese Kolonnen, um den Versuch zu machen, sie zu werfen und dann die Redoute in der Kehle anzugreifen und sie so zu nehmen. Allein kaum gelangen sie in den Bereich des feindlichen Feuers, so bricht der Tod verheerend in ihre Reihen ein; eine Kugel reißt ihren Führer, den tapfern Montbrun, nieder. Da sie ihn fallen sehen, stutzen sie, beginnen zu weichen. Doch schnell sprengt der General Caulaincourt heran, um Montbruns Stelle zu ersetzen. »Freunde,« ruft er, »nicht beweinen, rächen wollen wir den Gefallenen!«

Auf Befehl des Königs von Neapel setzt sich nunmehr die ganze versammelte. Masse der Kavallerie in Bewegung. Zwei sächsische Kürassierregimenter bilden den linken Flügel; ein polnisches schließt sich ihnen an. Dann folgt Rasinski mit seinen Scharen, dann die übrige leichte Kavallerie. Langsam rücken sie vor, bis sie in gleicher Höhe sind. Jetzt tönt das Kommandowort, die Trompete schmettert, die eiserne Brandung wogt pfeilschnell über das Gefilde. Der Donner der Kanonen wird übertäubt von dem tobenden Stampfen und Brausen der Rosse, dem furchtbaren Schlachtruf der Krieger. Eine Staubwolke hüllt sie in Nacht, nur die Blitze der feindlichen Geschütze zeigen ihnen noch den Weg. Mann an Mann geschlossen rasseln sie dahin. Dieser ungeheuern Gewalt vermag nichts zu widerstehen. Jetzt fällt der Wurf, auf dem zwei Kaiserkronen stehen; er entscheidet die Schlacht, die Herrschaft der Welt. Furchtbar brechen die anstürmenden Reiterscharen in die Linien des Feindes ein und werfen ihn mit siegender Gewalt zurück in die Ebene. Dieser Anblick entflammt den Mut der schon verzagenden Infanterie, welche gegen die Schanze hingeführt wird, aufs neue. Wie? Jenen sollte der Ruhm des Sieges allein bleiben? Und bräche der glühende Phlegethon dort aus den donnernden Schlünden hervor, kein Tapferer zagt, ihm die Männerbrust entgegenzuwerfen. Mit Wutgeschrei drängen die Verwegenen vor. Die Eisenmassen stürzen in ihre Reihen und reißen Tausende hinweg. Vorwärts über die Leichen der Brüder! Die Adler fallen. Vorwärts! Die Führer sinken getroffen. Vorwärts, daß sie auf dem Felde des Sieges ihre Heldenseelen aushauchen! Und sie stürmen hinein mitten in die düstere, donnernde Wolke des Todes! Die Erde ist ein stürmendes Meer, ringsumher brüllt die See, der Abgrund des Verderbens gähnt tief auf. Noch einmal krachen die ehernen Höllenpforten und schleudern Flammen und Erz gegen die Anstürmenden. Ihre Reihen liegen gefällt! Doch »Sieg!« rufen die Unversehrten und dringen vor.

Da wird es plötzlich still; der Donner verstummt. Der schwarze Vorhang des Rauches zerreißt und ein strahlender Glanz dringt den Tapfern blendend ins Auge. Wie? Ist das die Göttin des Sieges? Türmt sich uns eine neue eherne Mauer entgegen? Nein, wir vernehmen Freundesruf, Siegesjubel! Es sind die kühnen deutschen Scharen hoch zu Roß, die die Schanze genommen, den Sieg errungen haben, und stolz spiegelt sich die Sonne dieses Tages in dem Stahl ihrer funkelnden Harnische, die ein Herz von noch undurchdringlicherm Metall bedecken.


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