Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Viertes Kapitel.

Das kolossale, altertümliche, schwerfällige Gebäude, in dem die Kranken und Verwundeten lagen, war vormals ein Kloster gewesen. Mit seinen düstern Umrissen auf den Nachthimmel gezeichnet, stand es schauerlich vor den Ankommenden. »Ungern öffne ich dieses Haus,« sprach Paul, »denn es sieht keiner Stätte der Pflege und des Mitleids ähnlich. An allem ist hier Mangel, oft sogar an der notwendigsten Nahrung, an Stroh zum dürftigen Lager! Die Ärzte wechseln schnell, und die wenigen jungen Leute, die man uns läßt, zeigen sich kaum, weil sie sehen, daß doch alles vergeblich ist und ihre Kunst nur das Elend verlängert. Darum vermeiden sie den gräßlichen Anblick. Nicht einmal gehörig erwärmt können die alten Gewölbe werden, so daß bei dieser strengen Kälte der Brand gleich in die meisten Wunden tritt und die Unglücklichen hinwegrafft. Das Haus ist nur ein großer Sarg, in den die Lebendigen gelegt werden.«

Während dieser Worte hatte er mit seinen schweren Schlüsseln das Tor geöffnet, und mühsam, auf den Angeln kreischend, wurden die Flügel aufgedreht. »Ist denn über Nacht kein einziger Wärter hier?« fragte die Gräfin schauernd. – »Keiner,« erwiderte Paul, »es ist kein Raum. Hier müssen immer die Toten den Lebenden die Stätte überlassen; ehe das Bett eines Verstorbenen noch erkaltet ist, nimmt es oft schon einen neuen Gast auf.« Lodoiska schwieg; sie weinte auch nicht, sondern zitterte nur wie im heftigsten Fieber.

Man stieg die halbverfallenen Steintreppen hinauf und ging einen langen dunkeln Kreuzgang hinunter. »Hier am Ende des Ganges in dem letzten Gewölbe rechts zur Seite fand ich eine Lagerstatt für ihn,« sprach Rasinski; »dorthin führt uns, mein Freund!« – » Dort liegt er?« fragte Paul mit erschrecktem Erstaunen. – »Warum betont ihr das so?« – »Hm! Das Gewölbe ist wüst und kalt; es liegt gerade nach der Nordseite hinaus.« – »Es war kein anderer Raum mehr zu finden, und der Arzt, den ich dort traf, versprach mir pünktliche Sorge für den Kranken zu tragen.« – »Ich glaub's schon!« erwiderte Paul, aber in einem Ton, als denke er das Gegenteil.

Die Schritte der Wandernden hallten in dem öden Gange wider; man hörte keinen Laut, als zu beiden Seiten bisweilen ein dumpfes Wimmern und Stöhnen, das um so schauerlicher war, als es geheimnisvoll aus den Mauern selbst zu dringen schien. »Hier«, sprach Paul und öffnete eine Tür.

Selbst Rasinski schauderte, als er jetzt in diesen Aufenthalt des Grausens trat, den er am Tage wählen mußte, um nur ein Obdach für Jaromir zu finden; denn seit dieser von Bianka getrennt war, fiel er zuerst in ein heftiges Rasen und dann in eine finstere, todesmatte Abspannung, bei der er sich nicht mehr auf den Füßen zu erhalten vermochte. Jetzt, um Mitternacht, war diese grause Höhle fast zu schauerlich, selbst für einen Bewußtlosen. Eine einzige, trübe flackernde Lampe erhellte den Raum mit halbdunkelm Schimmer. Ringsum lagen auf spärlichem Stroh kaum bedeckte Elende, teils mit entsetzlichen Wunden, oder grausenvoll verstümmelt, teils von Jammer bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Tiefschweres Atmen, dumpfes Röcheln waren die einzigen Laute, die man vernahm. Ein eisiger Hauch wehte durch das Gewölbe; denn die Fenster waren zum Teil zerbrochen, so daß Eis und Schnee wie wachsende Gletscher eingedrungen waren, die fast die Lagerstätte der Unglücklichen berührten. »Also hier!« sprach Lodoiska, indem sie eintrat, mit bebender Stimme, und das kalte Entsetzen rührte ihr an die Brust.

Paul leuchtete einigen Kranken mit der Laterne ins Gesicht. Sie starrten ihn mit gräßlich offen stehenden Augen an, ohne eine Wimper zu rühren. »Das sind Tote, Freund,« sprach Rasinski schaudernd; »sie sind vor Frost erstarrt.« Lodoiska hielt sich wankend an die Gräfin.

Man mußte zwischen den Reihen der Gelagerten, diesem grausen Gemisch von Leichen und Sterbenden, hindurch, so daß der Fuß fast über die Hilflosen strauchelte. Bebend am Arme Rasinskis hängend, schwebte die schöne Gestalt Lodoiskas wie die eines tröstenden Engels durch diese Räume der Verdammnis. »Es war doch gut, daß wir dich begleiteten, Kind«, sprach die Gräfin, die selbst aller Kraft bedurfte, um ihre Fassung zu behalten. – »Ich würde es auch allein gewagt haben, vertrauend auf den Beistand meiner Heiligen«, erwiderte sie mit einem frommen Blick gen Himmel.

Paul erhob die Laterne und leuchtete nach einer dunkeln Ecke hinüber, wohin noch kein Lichtstrahl gedrungen war, weil die an der Decke brennende Lampe den Schatten eines breiten Pfeilers dahin warf. »Dort liegt noch ein Kranker«, sprach er und deutete mit dem Finger dahin. – »Allbarmherzige Mutter Gottes, das ist er«, rief Lodoiska entsetzt aus, daß der herzzerreißende Ton im Gewölbe erschallte, und sank betäubt in Rasinskis Arme zurück. Die düstere Einsamkeit des Ortes schien zu erschrecken über den Jammerlaut, der die schauerliche Stille zerriß. Rasinski umfaßte die Sinkende mit väterlichem Arm. »Ja, er ist es,« sprach er mit tiefer Stimme; »er leidet schwer!«

Lodoiskas Betäubung dauerte nur einen Augenblick, dann gab ihr die Liebe neue Kräfte. »O laß mich zu ihm, an seinem Lager knien,« bat sie mit ersterbender Stimme; »o laß mich!« Rasinski unterstützte ihre wankenden Schritte; doch mußte Paul erst einige Leichname aus dem Wege räumen, damit man bis zu Jaromirs Strohlager herankommen konnte. Er lag in seinen Mantel dicht eingehüllt; als er das Licht erblickte, richtete er sich empor. Starr, den stillen Wahnsinn im Blick, heftete er das Auge darauf; eine fliegende Fieberglut rötete die abgezehrte, bleiche Wange; er griff mit der Hand der Flamme entgegen. Die entschlossene Gräfin trat grauend einen Schritt zurück. Ist das der Jüngling, fragte es in ihr, der vor wenigen Monaten noch frisch wie der goldene Morgen blühte? Dieses bleiche Gebilde des Grabes?

»Was wollt ihr?« sprach Jaromir langsam mit hohler Stimme. »Was kommt ihr herunter in meine Gruft? Fort mit der Fackel!« Lodoiskas Lippen verschloß der lähmende Schmerz mit unzerreißbaren Banden; selbst die Liebe erstarrte bei dieser entsetzlichen Prüfung und vermochte die Fesseln des Grauens nicht zu sprengen. »Jaromir! Fasse dich! sei ein Mann! Erkenne uns!« redete Rasinski den Unglücklichen an und berührte ihn mit seiner lebenswarmen Hand. Man sah, wie des Jünglings wahnsinnige Betäubung mit dem Bewußtsein, das Rasinskis Anblick in ihm erweckte, rang; es arbeitete in seinen Zügen, sich aus der grauenhaften Umstrickung loszuwinden.

Endlich hatte Lodoiska den Kampf überwunden. Sie kniete zu dem Geliebten nieder, nahm seine Hand, blickte ihm ins Auge und fragte mit brechender Stimme: »Jaromir, erkennst du mich nicht mehr? O, gib mir nur ein Zeichen deiner Liebe!« Er fuhr sich mit der Hand zweimal über die Stirn, als wollte er einen schweren Schmerz oder Druck entfernen; dann leuchtete plötzlich ein flüchtiger Glanz in seinem erloschenen Auge: »Lodoiska!« rief er aus und strebte die Arme zu erheben; doch vergebens, er atmete noch einmal aus tiefster Brust, dann brach der Körper zusammen, das Auge schloß sich, und er sank regungslos auf das Lager zurück. »Hilfreiche Heilige beschirme ihn, er stirbt!« rief Lodoiska und rang die Hände.

»Nein, nur die Freude hat ihn überwältigt«, tröstete sie Rasinski. »Laßt uns seine Ohnmacht benutzen, um ihn von diesem Ort des Grausens zu entfernen. Freund, es wird eine Zeit der Vergeltung kommen«, wandte er sich zu Paul. »Aber jetzt leiht mir noch euern Beistand; helft mir den Unglücklichen bis in euere Wohnung bringen. Hier muß ihn der Tod hinwegraffen.«

Der redliche Paul war freudig bereit. »Gern, gern,« rief er, »und es wird sich leicht machen. Auf dem Gange stehen Krankenbahren und in meinem Hause ist ja wohl noch ein Plätzchen offen.« Sie legten sogleich Hand an und trugen den Ohnmächtigen hinaus. Lodoiska schwankte am Arme der Mutter nach. Rüstig griffen Paul und Rasinski selbst die Bahre an; die Frauen trugen Sorge, den Kranken vorsichtig einzuhüllen. Lodoiska fand Kraft und Fassung in sich, als die Liebe jetzt Pflichten von ihr forderte. Sorgsam wachend ging sie neben der Bahre und geleitete so den sterbenden Freund bis an die gastliche Stätte, wo so viele befreundete Gestalten statt jener Bilder des Entsetzens sein Lager umgaben.

Bald hatte man Pauls Wohnung erreicht; mit stummer Trauer empfingen die treuen Gefährten den bejammernswerten Freund, und pflegend und wachend, wie Engel des Heils und Erbarmens, setzten sich Marie und Lodoiska an der Bahre nieder, um die Nacht hindurch seiner zu warten. Er lag in unruhigem Halbschlaf und sprach oft in seiner Fieberverwirrung. Lodoiskas und Biankas Namen nannte er am häufigsten. Einmal rief er: »Alisette, Alisette – fort, fort, du schöne Schlange!«

Mit welchem Gefühl hörte die liebende Lodoiska diesen Namen! Sie hatte ihm so rein, so völlig vergeben – sie vergab auch der Verführerin! O wenn sie es vermocht hätte, ihm diesen Trost in die von glühenden Qualen gefolterte Brust zu flößen! Marie war, übermüdet, in einem Lehnsessel in Schlummer gesunken. Tiefe Nacht und Einsamkeit umgab die Liebende jetzt. Welch ein Augenblick der Seligkeit, wenn die furchtbar gähnende Kluft sie nicht von ihm getrennt hätte, die sich unübersteiglich wie das Totenreich auftut, sowie das Band des hellen Bewußtseins zerreißt. Nur im heißen Gebet fand Lodoiska Hoffnung und Trost. Sie kniete nieder und wandte Herz und Antlitz zum Himmel und flehte aus inbrünstiger Seele: »O Allgütiger, nur noch einmal laß das helle Licht der Wahrheit in sein Herz fallen! Führe seine Seele noch einmal zurück auf diese Erde, so schön und rein, wie sie einst in ihm wohnte! Ach, der Tod trennt ihn ja nicht so schrecklich von mir als dieses düstere Gefängnis, in dem er gebunden liegt; denn hast du ihn hinweggenommen, so wohnt er im ewigen Licht bei dir, und der Gedanke schwingt sich tröstend zu ihm auf. Jetzt aber hauset er wie ein Verdammter in der Finsternis; sein Geist irrt im wilden Chaos und findet nirgends eine Stätte der Ruhe, des Trostes! O, schließe ihn los von diesen glühenden Banden, die ihn an den starren Fels der Verdammnis ketten – o sei milde, du Allbarmherziger, und laß dich diesen namenlosen Jammer rühren!« So lag sie kniend und tat fromme Gelübde der Buße, wenn ihr Erhörung würde.

Allgemach wich die unendliche Nacht, und ein grauer Schimmer der Dämmerung fiel in das Gemach. Sie trat ans Fenster. Der Himmel war hell; das Licht erbleichender Sterne blinkte noch mit letztem matten Glanze durch das tiefe Blau. Am südöstlichen Horizont glimmte ein rötlicher Schein und färbte das leichte Gewölk. Lodoiska stand in tiefes Sinnen verloren, und Tränen verdunkelten ihr Auge; aber sie waren milde, sie entquollen einem heiligen Vertrauen, das ihre Brust nach den fernen Qualen mit sanfter wehmütiger Hoffnung erfüllte. Sie wandte das Haupt nach dem Lager des Freundes. Er schlief still und atmete ruhig; ja, ein Lächeln schwebte über seine Lippe, und der erste dämmernde Rosenschimmer des Tags fiel auf die blassen Wangen.

Es war nicht mehr die Betäubung des Wahnsinns, die ihn fesselte, sondern ein erquickender Schlaf, der der Erschöpfung folgte. »Heilige Mutter Gottes, umschwebe du ihn mit segnender Nähe!« flehte Lodoiska und nahte sich zitternd. Eine süße Beklemmung der Freude drang in ihr Herz, die Hoffnung dämmerte ihr auf, das Auge des Erwachenden werde die Geliebte erkennen. Mit zurückgehaltenem Atem über ihn gebeugt, lauschte sie auf den Hauch seiner Lippen, auf den Schlag seines Herzens. »O, er genießt jetzt einer milden, erquickenden Ruhe«, rief sie innerlich jauchzend und sank in heißem Dankgefühle auf die Knie vor sein Lager.

Die Morgenröte erfüllte das Gemach mit mildem Duft; sie glänzte wider von dem Angesichte des Schlummernden. Plötzlich schlug er das Auge auf und sprach matt: »Nun ist's vorüber!« Sein Blick war nicht mehr wild und verwirrt; ein sprachloses, seliges Staunen malte sich in seinen Zügen. Ein Himmel des Entzückens senkte sich in Lodoiskas Brust; doch mit heldenmütiger Stärke bezwang sie sich, weil sie bebte, durch einen plötzlichen Ausbruch der Freude das zarte, neugewobene Band des Bewußtseins wieder zu zerreißen. Zitternd blieb sie auf den Knien liegen und fragte mit lispelndem Laute der Liebe: »Ist dir besser, lieber Freund?« Er faltete die Hände über die Brust, erhob das Haupt ein wenig und sprach leise, mit dem Tone schauernder Verehrung: »O, ich erkenne dich, du Heilige, von goldenem Himmelsglanz umflossen; du bist nun eine Selige, und auch mir öffnen sich die Pforten des Friedens. O, reiche mir zum Zeichen der Versöhnung deine Hand!« Er weilte noch unter seinen Traumgestalten, in denen er vor allen Lodoiska gesehen; jetzt, wie sie vom Morgenrote umstrahlt, mit herabwallenden Locken vor ihm kniete, zogen die erblassenden Gebilde des Traumes, allmählich verschwimmend, in die Wirklichkeit hinüber, und er wähnte jenseits erwacht zu sein.

Sie reichte ihm die milde Hand und fragte mit dem süßen, brechenden Ton der Liebe, der in Tränen des Entzückens versiegt: »Erkennst du mich endlich wieder? O, du hast schwer geträumt! Ich bin es, mein Jaromir, lebend und wirklich, liebend und glückselig!«

»Heiliger Gott!« stammelte er, »wo bin ich denn, wo war ich – nein, nein, ihr furchtbaren Gespenster der Nacht, kehrt nicht wieder aus dem grausen Dunkel!« Er machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und blickte scheu seitwärts. Lodoiska, als wolle sie ihn an ihrer Brust vor den Schrecklichen verbergen, schlang liebend und zitternd den Arm um seinen Nacken und zog ihn, sanft küssend, an sich. »Nein, nein, Lieber,« sprach sie mit schmelzendem Ton der Stimme, »fürchte nichts, du lebst und ruhst an meinem Herzen; hier soll kein furchtbarer Traum dich quälen.«

In seliger Trunkenheit drückte er das Antlitz an die Brust der Geliebten; und als seine Wange an ihrem Herzen ruhte und sein Ohr den pochenden Schlag vernahm, da erwachte er ganz wieder zur Wirklichkeit und Wahrheit, und zerrissen war der Schleier, der seine Seele finster umhüllte – zerrissen aber auch die letzten Bande des Lebens in dem zerstörten Körper! Müde hob er das Antlitz zu der Geliebten empor, trank einen sehnsüchtigen Kuß von ihren Lippen und hauchte matt: »Nun weiß ich alles! Und du vergibst mir, Lodoiska?« – »Mein Herz kann nur lieben«, rief sie, halb erstickt von dem hervorbrechenden Strome der Tränen. Noch ahnte sie nicht, daß dieser Augenblick überdrängender Seligkeit ihr auch den Becher des tiefsten unerschöpflichen Schmerzes reichen sollte. Nur die höchste Anspannung aller Kräfte seiner Seele hielt das Leben noch in Jaromirs Brust zurück. »O, du wurdest edler, reiner, treuer geliebt als von mir«, seufzte er schmerzlich. »Boleslaw war deiner wert! Die Lippe des Sterbenden übergab mir das heilige Vermächtnis! Nun werde ich dort frei zu ihm treten können!«

Nach diesen Worten sank er bleich zurück und die Arme vermochten nicht mehr die Geliebte zu umfassen. »Allerbarmende Mutter des Heilands,« rief sie aus, als sie ihn erblassen sah, »er stirbt, er stirbt!«

Bei diesem angstvollen Rufe erwachte Marie; mit einem Blicke erkannte sie, was geschah, und eilte der Unglücklichen zum Troste herbei. »Er stirbt, er stirbt, Marie!« rief diese nochmals und rang verzweifelnd die Hände. Marie sah wohl, daß hier von menschlicher Hilfe nichts mehr zu erwarten sei. Sie gedachte daher eines Versprechens, das sie der Gräfin gestern in der Stille geben mußte, diese sogleich herbeizurufen, wenn sich etwas Bedenkliches ereignen sollte. »Ich werde die Mutter holen«, entgegnete sie daher der Jammernden und eilte ins Nebenzimmer.

Sie fand die Gräfin schon erwacht und angekleidet und Rasinski bei ihr, der sehr bewegt schien. Ihr blasses Antlitz voller Tränen weissagte nichts Gutes. »Was geschieht?« fragte die Gräfin. – »Ich fürchte, er stirbt«, war ihre leise, mit einem bedeutsamen Winke gegebene Antwort, damit Lodoiska, deren Hoffnung sie aufrechtzuerhalten suchen wollte, sie nicht vernehmen solle. Eilig und bestürzt traten beide ein. Sie fanden die Unglückliche zärtlich über den Sterbenden gebeugt, seine Hände in den ihren haltend, die er im Gefühle des nahen Todes gesucht und sanft gefaßt hatte.

Noch erkannte er die Eintretenden, denn er lächelte ihnen mit den Augen zu; aber die Sprache fehlte ihm. Durch Axinia herbeigerufen, die im Vorderzimmer Lodoiskas schmerzlichen Ausruf gehört hatte, traten jetzt auch Ludwig, Bernhard und Bianka ein und näherten sich dein Lager des Sterbenden. Bianka hatte erst in der Frühe durch Bernhard erfahren, daß Rasinski wiedergefunden sei. Auf ihn ging sie daher zu, reichte ihm die Hand zur Begrüßung und lehnte sich schmerzvoll mit ihrem schönen weinenden Haupte an seine Brust. »Dich haben wir wieder,« sprach sie, »aber doch – ein neues Opfer wird gefordert! – O, Freund!« – da erstarb ihre Stimme in Tränen, und sie mußte sich das Antlitz verhüllen.

Rasinski trat, in tiefster Seele gebrochen und erschüttert, aber doch mit heldenmütiger Zusammenraffung, an das Lager seines jungen Freundes. »Mein Sohn, erkennst du deinen Vater nicht mehr? Mein Jaromir, erkennst du deine Waffenbrüder nicht?« Das Auge des Sterbenden wandte sich der Stimme zu, und ein leises Lächeln schwebte über seine Lippe. Er bewegte die Rechte ein wenig, als wollte er sie gegen den, der ihm Vater, Bruder und Freund zugleich gewesen, ausstrecken. Rasinski ergriff sie, und Lodoiska ließ sie ihm willig.

Ein heiliges Schweigen herrschte ringsumher, nur der unwillkürliche Laut der Schmerzen unterbrach die tiefe Stille. Da erhob sich die Brust des Sterbenden noch einmal und tat einen tiefen Atemzug. »Lebt wohl. Freunde, Geliebte«, seufzte er mühsam; dann trat ihn der Tod an, seine Lippe erbleichte, das Auge brach. In stummem Jammer warf sich Lodoiska über den Toten und hielt ihn in unauflöslicher Umarmung. Die Geschwisterpaare, welche das Sterbelager umstanden, hielten sich umfaßt, es war, als sollten sie Herz an Herz die Seele ausweinen!


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