Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Sechstes Kapitel.

So verstrichen mehrere Tage ziemlich gleichförmig hintereinander. Alisette und Regnard, selten andere, waren die Gäste, welche den Kreis der Familie, zu der sich Ludwig und Bernhard jetzt ganz mitzuzählen gewöhnten, vergrößerten. Regnard brachte stets Nachrichten über die Kriegsereignisse, die Truppenmärsche und ähnliche Dinge mit und führte überhaupt die Welt und ihren Verkehr in den traulichen Zirkel ein, der sich sonst dem äußern Treiben ziemlich entfremdete. Mit scharfem Beobachterblick bemerkte er, wie sehr Jaromir sich auch zu beherrschen suchte, dessen Neigung zu Lodoiska und ihre Erwiderung derselben. Daher verschwand der Anflug von Eifersucht wieder, den er in Beziehung auf Alisetten gehabt, und nichts trübte die heitere Geselligkeit mehr. Alisette war seit zwei Tagen ausgeblieben, weil die Proben zu einer Oper, die man am folgenden Abend geben sollte, sie beschäftigten; der Oberst, der eine halbe Probe davon angehört hatte, erzählte viel Gutes, hatte aber den Titel vergessen. »Es verdroß mich sehr,« sprach er, »daß ich nicht bis zu Ende bleiben konnte, aber ich wurde durch einen verdrießlichen Vorfall gestört. Mein Adjutant meldete mir, daß man in Erfahrung gebracht habe, ein russischer General, der mit geheimen diplomatischen Aufträgen in Frankreich gewesen sei und von dort hat flüchten müssen, halte sich in der Stadt verborgen und gedenke, in dieser Nacht zu fliehen. Da mein Regiment gerade die Torwache hat, so mußte ich fort, um für die Verdoppelung der Postenkette zu sorgen.«

»Und wer sollte der Flüchtling sein?« fragte die Gräfin aufmerksam.

»Das wissen wir nicht,« erwiderte Regnard; »einige behaupten, der General Ez*****, der allerdings in Paris gewesen ist, eine Menge Einverständnisse und Verbindungen gehabt hat und auf Napoleons Befehl verhaftet werden sollte. Er war aber zeitig gewarnt worden und schon über Straßburg hinaus, bevor der Telegraph den Verhaftsbefehl nachbringen konnte. Es ist fast unmöglich, daß er sich so lange in feindlichen Ländern verborgen aufgehalten hätte. Andere wollen wissen, es sei der Graf Winzingerode, ein Deutscher in russischen Diensten; dies hat etwas für sich. Doch nennt man noch andere Namen, und das Resultat ist, daß niemand etwas Gewisses weiß. Herr von Pradt hat nur ein ganz unbestimmtes Aviso erhalten.«

Der Oberst sprach noch, als eine Ordonnanz militärisch ungemeldet eintrat und Jaromir ein versiegeltes Schreiben überbrachte. »Wahrhaftig, in derselben Sache,« rief dieser, als er gelesen; »ich erhalte Befehl, mit meinen Leuten das Viertel, in dem unsere Ställe liegen, und besonders alle Ausgänge nach der Weichsel hinab wohl zu besetzen.« – »Ja, ja, die Sache scheint ernstlich betrieben zu werden«, bemerkte der Oberst. »Ich kam um den Gesang der liebenswürdigen Françoise, Sie werden um das Souper mit uns gebracht! Das sind Soldatenschicksale!« – »Sie lassen sich noch ertragen,« antwortete Jaromir lächelnd; »es ist mir nur verdrießlich, daß ich auch unsere Freunde hier um Abend und vielleicht Nacht bringen muß, denn es fehlt mir noch gar zu sehr an gewandten Leuten, und ich muß doch, da die Anstrengungen am Tage groß sind, auf drei Ablösungen rechnen. So kann ich euch denn nicht helfen, Freunde, ihr werdet heute euern ersten Wachtdienst als Posten tun müssen!«

»Auf den Anstand kommandiert?« sprach Bernhard heiter; »in Gottes Namen. Wenn das Wild nur bei mir wechseln will, es soll nicht ohne Schuß wegkommen.«

Es war Eile nötig; man empfahl sich daher bei den Damen, schnallte den Säbel um, warf den Mantel über und ging. Regnard blieb zum Schutz und zur Unterhaltung bei den Frauen zurück.

Jaromir ließ durch Trompetensignale die Mannschaften zusammenrufen, bestimmte die zu besetzenden Posten, teilte die Leute ab, unterrichtete sie wohl, und befahl abzumarschieren.

Bernhard erhielt seinen Posten am entlegensten Ende des Quartiers. Der Weg dahin führte durch eine einsame Gasse zwischen zwei hohen Mauern entlang, deren eine den Garten eines Klosters begrenzte. Ein Quergäßchen schnitt hindurch; es führte nach der Weichsel hinab. Zweihundert Schritte von diesem Punkte stand die nächste Schildwache, weiter hinaus keine mehr, weil sich dort keine Ausgänge weiter nach dem Strom befanden. Jaromir selbst hatte die Posten aufgeführt. »Du stehst hier ziemlich entlegen,« sprach er, als Bernhard den Säbel gezogen und die Haltung einer Schildwache angenommen hatte; »ich würde den Posten verdoppeln, wenn ich mehr Leute hätte. Aber gerade deshalb wählte ich dich dafür, weil es der Umsicht bedarf; auch ist es gut, daß du französisch sprichst, weil so viele französische Soldaten hier sind, mit denen sich der Pole schwer verständigt. Gehab dich wohl. Binnen zwei Stunden wird dich Ludwig ablösen.«

»Meinethalben laß mich die ganze Nacht hier,« erwiderte Bernhard; »sie ist lau und mild, es freut mich sogar, daß wir vermutlich etwas Regen bekommen. Und was die Einsamkeit anlangt, so sei ohne Sorgen; ich weiß mir die Zeit zu vertreiben und brauche niemand, der mich wach erhält.«

»Wenn etwas vorfallen sollte, so schieße dein Pistol ab; für diesen Fall wird dir sogleich Hilfe von dem nächsten Posten.«

»Sei unbesorgt; die Schildwache braucht keine zweite für sich selber, ich stehe für mich.«

Jaromir ging, Bernhard blieb allein. Der Himmel bezog sich mit Gewölk; Mitternacht war nicht mehr fern, es war sehr finster, zumal da ein feiner warmer Staubregen begann. Die Giebelspitzen und Türmchen des alten Klosters gegenüber, dessen Umrisse Bernhard bisher sich als schwarze Schattenbilder auf dem Nachthimmel abzeichnen sah, verwischten sich jetzt in unbestimmte Formen. Nur ein mattes Lampenlicht schimmerte aus einigen kleinen Fenstern. Es war totenstill. Man hörte nur hier und da eine Nachtigall in der Ferne schlagen und das leise Rauschen des vorüberziehenden Stromes. »Es ist gut, daß ich ein paar scharfe Augen habe,« murmelte Bernhard vor sich hin, »denn hier muß man sie wahrhaftig auftun, wenn man einen sehen will, der sich vorüberschleicht Ich tue wohl gut, meinen Säbel von Zeit zu Zeit wie ein Fühlhorn auszustrecken und wie beim Blindekuhspiel mit ausgebreiteten Armen ein wenig umherzugreifen. Aha, jetzt wird's ein wenig hell; sie hängen ja eine Lampe aus dort oben im Kloster; die kommt mir gut zustatten.«

In der Tat wurde in einem der obern Giebelfenster eine Lampe sichtbar, mit der jemand hinauszuleuchten schien; das Licht bewegte sich einigemal rasch hin und her, dann verschwand es wieder. »Nun ist's erst recht dunkel geworden; es kann in dem untersten Loch der Baumannshöhle nicht finsterer sein. Das verdammte Licht hat mich ganz geblendet. Wollte einer hier entwischen, er könnte nichts Klügeres tun, als eine Londoner Straßenlaterne mitnehmen, der Wache erst damit in die Augen leuchten, sie ihr hernach an den Kopf werfen und dann zum Teufel laufen! Aber halt! Was war das? Hat es geblitzt? Schon wieder!«

Ein ganz matter, flackernder Schein wie von einem entfernten Blitze erhellte von dem Strom her das dichte Dunkel. Die kleine Gasse verstattete keinen freien Überblick desselben; doch plötzlich sah Bernhard deutlich Funken fliegen und entdeckte, daß jemand auf dem Strome, wie es schien, nahe am Ufer Feuer schlage. Sein rasch kombinierender Verstand brachte diese Erscheinung mit dem auffallenden Lichtschimmer im Kloster zusammen. Sollte man sich hier Zeichen geben? dachte er. Holla, Freund! Aufgeschaut! Es wäre nicht übel, wenn dir das Wild ins Netz liefe. Hm! dachte er weiter – ich will's nicht wünschen; meine Pflicht erfordert, daß ich den Fliehenden anhalte; und ich liefere vielleicht den Franzosen einen ebenso schuldlosen Mann aus als Ludwig und ich. Ich wollte doch, er suchte sich einen andern Ausweg aus dem Fuchsbau!

Plötzlich stand er still und lauschte. Er hörte leise Schritte; es war keine Täuschung. Scharf aufhorchend, das Haupt vorwärts gebeugt, stand er und gab keinen Laut von sich. Man kam rasch, aber behutsam näher; es ließen sich flüsternde und murmelnde Laute unterscheiden. Jetzt waren die Kommenden heran, Bernhard streckte das Gewehr vor und rief in polnischer Sprache: »Wer da?«

Einen Augenblick blieb es still; dann trat eine dunkle Gestalt mit festem Schritt näher und erwiderte mit tiefer männlicher Stimme einige Worte, die Bernhard jedoch nicht verstand. Sie klangen fast wie ein frommer Gruß.

»Ich spreche nicht polnisch«, sagte er in dieser Sprache, deutete jedoch durch den vorgehaltenen Säbel an, daß er niemand hindurchlassen dürfe. – »Also französisch?« fragte jetzt eine weibliche Stimme von ungemeinem Wohllaut. – »Allenfalls; doch am liebsten deutsch«, erwiderte Bernhard französisch. – »Ein deutscher Soldat«, rief dieselbe Stimme fast unwillkürlich aus, doch hörte man dem Klange die freudige Überraschung an.

»Ja, ein Deutscher,« entgegnete Bernhard; »und da ihr diese Sprache versteht, so sage ich euch hiermit, daß ich niemand durchlassen darf, der nicht einen Schein führt, daß er sich auf der Hauptwache gemeldet hat und dort als unverdächtig befunden ist.«

»O mein Gott,« erwiderte das weibliche Wesen mit schüchterner, bebender Stimme; »wir haben Eile. Dieser fromme Mann soll einer Sterbenden den letzten Trost bringen, die drüben jenseit des Stromes liegt; deshalb haben wir ihn aus dem Kloster hier herbeigeholt. Ihr werdet das heilige Werk doch nicht hindern?« Erst jetzt sah Bernhard, daß der Fremde in Mönchstracht gehüllt zu sein schien; hinter ihm stand noch eine andere weibliche Gestalt. Deutlich ließ sich in dem tiefen Dunkel nichts erkennen.

»Ich darf nicht von meinen Befehlen abweichen. Doch ist dem so, wie ihr sagt, so geht hier zwischen den Mauern hinunter; nach zweihundert Schritten trefft ihr den nächsten Posten; diesen fragt nach dem Offizier. Er ist im Wachthause unfern von dort und wird euch gewiß durch einige Mann, die sich von der Wahrheit überzeugen können, geleiten lassen, damit euer frommes Werk weniger Aufschub erleide.«

»Zweihundert Schritte von hier steht der nächste Posten?« fragte der verhüllte Mann jetzt mit einer Stimme, die nicht mehr den frommen Klang von zuvor hatte.

»Zweihundert.«

»Das ist ziemlich weit.«

»Ich kann's nicht ändern.«

Der Fremde schien unschlüssig; es herrschte ein gespanntes Schweigen. In diesem Augenblicke glänzte wieder jener helle Flackerschein vom Flusse her, diesmal aber ganz nahe, und zugleich hörte man deutlich das Rauschen eines Ruderschlags. Bernhard stutzte und wandte sich gegen den Strom um; eine Ahnung, als sei diese Erscheinung mit der vor ihm nicht ohne Zusammenhang, blitzte in ihm auf. Doch der Gedanke war nicht so schnell in seiner Seele aufgestiegen, als er sich plötzlich von starker Faust im Nacken gepackt fühlte und eine Dolchspitze gegen seine Brust blitzen sah. Der Stoß traf, glitt aber an dem breiten Riemen seines Wehrgehenks ab und streifte nur die Haut. Durch einen gewandten Schwung riß er sich los, packte die Hand, in der der Angreifer den Dolch hielt, kräftig mit der Linken im Gelenk an und führte mit der Rechten einen Säbelhieb gegen das Haupt des unbekannten Feindes. Dieser beugte sich zurück, entging so dem Schlage, glitt aber aus und lag am Boden; jetzt riß Bernhard das Pistol heraus, hielt es dem Liegenden auf die Brust und rief: »Du bist des Todes, wenn du dich regst.« Doch in demselben Augenblicke warf sich die weibliche Gestalt zu seinen Füßen nieder, hob die abwehrenden Arme flehend gegen ihn empor und rief mit dem Ausdrucke der höchsten Angst: »Erbarmen! Erbarmen! Tötet ihn nicht!«

Bernhard stand erstaunt; die Stimme drang in das Innerste seines Herzens ein. Er war im Begriff gewesen, laut um Hilfe zu rufen, doch der Anblick der Flehenden, die seine Knie umfaßte, zeigte ihm, daß er Gefahr hier nicht zu fürchten habe. »Ich will keine Rache nehmen,« sprach er entschieden, »aber meine Pflicht fordert Strenge. Ich muß Verdacht schöpfen; ihr seid mein Gefangener.«

»Schießt mir nur durch die Brust, junger Mensch,« sprach der noch am Boden Liegende finster; »denn euer Gefangener zu sein ist mir verabscheuungswerter als der Tod!«

»O mein Vater!« rief jetzt das junge Mädchen außer sich und ergriff seine Hand. »Nein, nein, nicht so. Er wird mitleidig sein! Ach, ich will für Sie flehen!« Sie sprang auf und wandte sich zu Bernhard.

»O, Ihre Sprache verriet, daß Sie den Gebildeten angehören! Ihr Herz wird den Schmerz einer Tochter begreifen. Wir sind verloren, wenn Sie uns nicht die Flucht gestatten. Seien Sie großmütig; lassen Sie uns entfliehen. Ich wollte Ihnen Gold bieten, aber ich wage es nicht, einen Mann zu beleidigen, von dem ich eine edle Tat fordere!«

Bernhard stand im Kampfe mit sich selbst. »Ich darf nicht – hören Sie auf! Jedes Ihrer Worte erhöht die Strenge meiner Pflicht. Ich glaube, ich weiß, wen ich vor mir sehe!« Der Unbekannte hatte sich indessen emporgerichtet. »Sie sind ein Deutscher, was Sie auch hierher führen mag, Ihre ersten Pflichten sind vaterländische. Ich beteuere Ihnen, Sie verletzen diese nicht, wenn Sie meine Flucht gestatten!«

»Nein, beim ewigen Himmel, das tun Sie nicht,« rief das junge Mädchen und erhob die Hand zum Schwur; »es ist kein Verbrechen, zu dem mein Flehen Sie verleiten soll. Nie, nie wird Ihr Herz einen Vorwurf zu tragen haben.« In der Ferne ließ sich Waffengeklirr hören; man schien zu kommen. Bernhard horchte erschreckt auf. »O Himmel,« rief die Bittende, »wenn Sie noch eine Minute zaudern, ist es zu spät! Hören Sie das Flehen der Bedrängten!«

Bernhard stand im heftigsten Kampfe mit sich selbst. Sollte er die erste Pflicht der Ehre, die sein Stand ihm auferlegte, brechen? Sollte er vielleicht den Freund, der ihn retten half, ins Verderben stürzen? Und doch, sein eigenes Schicksal, mehr als alles aber die mit unbeschreiblicher Gewalt rührend in sein Herz dringende Stimme der Flehenden bezwang ihn. »Flüchtet denn,« sprach er hastig und ließ die bewaffnete Hand sinken; »doch ich darf, ich will nicht sehen wohin! Fort! Fort!«

»Dank, Dank«, hauchte die schöne Gestalt ihm mit in Tränen und Freude brechender Stimme zu und ergriff seine Hand und wollte ihr weinendes Antlitz dankbar daraufdrücken. Bernhard hinderte es sanft abwehrend und flüsterte hastig: »Eilen Sie, um Gottes willen, man kommt näher!«

Wie er den warmen Händedruck der Dankbarkeit empfing, stürmte ein schmerzlich seliges Gefühl durch seine Brust, daß das Herz glühend und ungestüm schlug. Finden und Scheiden fiel in einem Augenblicke zusammen. Sollte diese wunderbare, große Minute, die zwei Seelen mit heiligster Empfindung vereinigte, spurlos verrinnen wie ein Tropfen, der in das ewige Meer fällt? Nimmermehr! Ein Angedenken wollte Bernhard wenigstens behalten, ein Zeichen für künftige Tage. Darum streifte er rasch den losen Handschuh von der Hand des holden Wesens, um diesen zu behalten. Doch indem er über ihre zarte, zitternde Hand glitt, fühlte er einen Ring an ihrem Finger. Es zuckte kalt durch seine Brust, als ihm der Gedanke kam, es könne dies ein Zeichen sein, wodurch sie sich einem andern ewig verknüpft habe; als vermöchte er sie diesem zu entreißen, wenn er das Pfand der Treue raubte, griff er mit Hast nach dem Ringe und forderte ihn. »Ich weiß nicht, wem ich hier begegnete, ich darf es nicht wissen,« rief er heftig, indem er die Zitternde, welche sich eben losreißen wollte, um dem schon zum Rande hinabeilenden Vater zu folgen, halb hielt, halb sie begleitete; »darum lassen Sie mir dies Angedenken, diesen Ring, an dem wir uns in glücklichern Zeiten wiederfinden wollen!«

Indem er sprach, suchte er ihn schon von ihrem Finger zu ziehen. Sie widerstrebte einen Augenblick. »Gerade dieser Ring, o ebendieser«, begann sie; doch Bernhard, der fürchtete, sie werde aussprechen, was ihn mit dunkler Ahnung ängstigte, unterbrach sie fast wild: »Gerade diesen will ich; vollenden Sie nicht; gerade diesen oder nichts!« Aber er hatte ihn schon abgestreift und zugleich den seinigen, den er ihr ungestüm auf die Finger drückte. »Der Ihrige kann Ihnen nicht teuerer sein als mir der meinige,« fuhr er fort; »ich gebe Ihnen viel, vielleicht alles damit, was ich zu hoffen habe. Aber es ist mein fester Glaube, daß ich ihn einlösen werde.«

Seinem Ungestüm wäre nicht zu widerstehen gewesen, selbst wenn die Pflicht der Dankbarkeit es der Unbekannten nicht unmöglich gemacht hätte, ihrem Retter jetzt irgendeine Bitte, und wäre sie um ihr Liebstes gewesen, zu verweigern. »So nehmen Sie ihn denn hin,« sprach sie leise im eiligen Gehen; »aber ich muß ihn zurückhaben, wenn der Krieg nicht mehr jede sanftere Verbindung der Menschen wild zerreißt. Leben Sie denn wohl, und der Allgütige sei stets mit meinem Retter!« Bei den letzten Worten brach ihre Stimme; sie wollte ihre Hand sanft aus der seinigen lösen, doch er hielt sie fest und drückte einen glühenden Kuß darauf. Dann riß er sich stumm los und eilte zurück.

Kaum hatte er den Posten wieder erreicht, als er hörte, wie ein Nachen vom Ufer stieß und mit raschen Ruderschlägen die Wellen teilte. Er atmete leicht auf. »Jetzt sind sie gerettet; es war die höchste Zeit!« Denn schon nahten die Schritte der ablösenden Kameraden; er konnte noch das Rauschen der Ruder vernehmen, als sie schon vor ihn traten und der kriegerische Gebrauch begann.

»Nichts Neues auf dem Posten?« fragte der Unteroffizier; es war Pettowski. – »Nichts«, sprach Bernhard fest. – »Abgelöst!«

Ludwig nahm jetzt die Stelle des Freundes ein; für Bernhard war der Dienst dieser Nacht vorüber. Rasch eilte er nach Hause; auf dem Wege befestigte er sich in dem Entschluß, den ganzen Vorfall stumm in seiner Brust zu bewahren, und selbst Ludwig und Jaromir nichts davon mitzuteilen, damit im äußersten Fall auch das Vergehen allein das seinige bliebe.

Er erreichte sein Zimmer. Mit größter Eile zündete er Licht an, um den Ring näher zu beleuchten. »Teufel!« fuhr er auf, als er ihn jetzt gegen die Kerze hielt; »Teufel! Ist das ein Blendwerk des Satans, oder bin ich verrückt geworden!« Er hatte seinen eigenen Ring in der Hand! »O ich Tor,« rief er aus und drückte sich die Faust ingrimmig gegen die Stirn; »diese plumpen, ungeschickten Finger haben die Ringe verwechselt! Den Schädel möchte ich mir einschlagen und wie Franz Moor rufen: ›Das war dumm! dumm!‹« Er ging wild auf und nieder. »Ha! ha! ha! Nun muß ich wahrhaftig der ganzen Welt die Geschichte erzählen; denn sie ist zu lächerlich schön, wenn sie nicht zu boshaft giftig wäre! Und wenn sie den Irrtum bemerkt! In wie herrlichem Glanze alberner Lächerlichkeit muß der Retter vor ihr stehen! Bernhard! Bernhard! Das war ein Meisterstreich! Wie der Tor von Zauberlehrling stehst du jetzt vor der verschlossenen Pforte und hast das Wort vergessen, worauf sie sich öffnet.«

Er wurde weich; Tränen traten in seine Augen. Nieder setzte er sich und stützte das Haupt in die Hand. »Ja ja, ich kenne das,« sprach er vor sich hin; »ich kenne ja das alles schon! ich habe es ja oft erfahren. Es ist die Nemesis des Schicksals, das mir, weil ich ihm im Grimme stets eine verzerrt lachende Larve zeige statt einer weibisch greinenden, stets mit gleicher Münze vergilt. Ich sollte seine Tücken endlich auslernen! Wie oft, wenn ich einen Freund, eine Geliebte ans Herz zu drücken dachte, schob es mir eine Strohpuppe zur lächerlichen Umarmung hin! Es tut aber doch weh! Ein Angedenken der seltensten schönen Minute hätte ich doch gern gehabt. Es ist mir nicht um das Wiederfinden; denn am besten ist's gewiß, ich finde sie nicht wieder. Was die Nacht in ihrer Verhüllung so zauberisch reizend scheinen ließ, ist vielleicht alltäglich, wenn die Sonne ihre gemeinen Strahlen daraufwirft! Und will ich sie finden, so finde ich sie doch, ohne Ring oder andere Lumpereien – aber – ein Andenken hätte ich doch gern behalten!«

Halb trauernd, halb unmutig warf er sich aufs Lager; allein es dauerte lange, bis der Schlaf ihn fand.


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