Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Fünfzehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Als Rasinski alles zum Aufbruch antrieb, hatten sich dichte Morgennebel herabgesenkt und hüllten den Wald in graue Schleier ein. Aber es war nicht feuchtes wogendes Gewölk, welches zwischen den Gebüschen hinzog, sondern schwebender Eisstaub, der die Atmosphäre verhüllte. Er atmete sich wie ein starkes Gift ein. Die Stunde der Vernichtung alles Lebenden schien gekommen. »Auf, auf, ihr Schläfer!« rief Rasinski; »vorwärts, heute könnt ihr das Ziel euerer Leiden erreichen!«

Aber nur die wenigsten vernahmen seinen Ruf. Einige regten sich noch dumpf aufstöhnend und taumelten dann wieder zurück, um den Überrest des Lebens auszuhauchen; die meisten lagen schon in den starren Armen des Todes, und nur ein Kreis von Leichen umgab das verglimmende Feuer. Jaromir richtete sich empor. Er sah einer Geistergestalt ähnlich; aber noch war er am Leben. Ludwig und Bernhard fühlten, daß sie heute ihre letzten Kräfte anstrengten. Seltsamerweise schien Bianka am wenigsten erschöpft, als ob der weibliche Körper der weiblichen Seele gleiche und wie sie im Dulden stärker als der männliche sein wollte.

Mit schauderndem Gefühl mußte sie über den Kreis von Erstarrten hinwegschreiten; weithin war der Boden damit überdeckt, so daß sie es nicht vermeiden konnte, den Fuß auf menschliche Körper zu setzen. Jaromir schien nichts zu empfinden; er schritt neben Rasinski hin und folgte jedem seiner Winke mit willenlosem Gehorsam.

Es herrschte noch eine Todesstille in dem öden, dämmernden Walde; denn die, die um die verglimmenden Feuer gelagert waren, schliefen noch fest oder lagen schon in den unauflöslichen Armen des Todes. Man ging an hohen Fichtenstämmen vorüber, von denen düstere Zweige sich herabsenkten. Hier erblickte man Erstarrte in allen Stellungen, als habe der Tod sie plötzlich ergriffen und in Steinbilder verwandelt. Einige hielten noch die Axt in krampfhaft geballter Faust, mit der sie den ohnmächtigen Versuch gemacht hatten, diese Riesenfichten zu fällen. Andere hatten ebenso vergeblich Feuer um die Stämme gelegt, um sie so in Flammen zu setzen; man sah sie kniend, das Antlitz auf die knotigen Wurzeln gebeugt, in der Hand noch den halbangeglimmten Kienbrand haltend. Vom Nebelgeriesel umflossen, glichen diese Gestalten riesigen Schattenbildern, in unheimlich gespenstischer Todesstille und Versteinerung.

Rasinski beschleunigte seine Schritte, um dem grausenvollen Orte zu entfliehen. Aber die ganze Straße war mit Schrecken und Entsetzen umlagert, und bei jedem Schritte stieß der Fuß auf ein grauses Hindernis. Endlich nach einer Stunde lichtete sich der Wald, und da die Nebel sanken, erblickte man von fern ein Haus, das Obdach und Wärme gewähren mochte. Mit verdoppelter Eile schritten die Wanderer darauf zu. Doch als sie näher kamen und die hohlen Fenster, aus denen Scheiben und Holzwerk herausgebrochen waren, und Feuerspuren auf dem Boden gewahrten, sahen sie wohl, daß auch diese Hoffnung täusche und hier keine Stätte lebender Menschen zu treffen sei. Doch trat Rasinski heran und öffnete das Tor des großen Gebäudes, welches einer Scheuer oder einem Stalle glich. Aber grausend fuhr er zurück, denn er sah nur Leichen, die in ekelm Gedränge, ja selbst übereinander gehäuft, den Boden gräßlich bedeckten und mit offenen Augen emporstarrten. »Lebt hier noch irgendein menschliches Wesen?« fragte er voller Grauen mit lauter Stimme. Es blieb totenstill in dem ungeheuern Sarge und die Stimme verhallte nachklingend in dem öden Raume. »Lebt hier noch jemand?« wiederholte er den Ruf stärker, denn sein Herz wehrte sich gewaltsam gegen den entsetzlichen Gedanken, daß in diesem grausen Gedränge und Gemisch menschlicher Körper auch nicht ein Funke des Lebens mehr glimmen sollte. Aber es war so, denn als er seine Pistole nahm und einen Schuß hinein über die Häupter der Gelagerten tat, regte sich dennoch niemand, sondern alles blieb still wie in der tiefsten Einsamkeit und Wüste. Unter andern Umständen hätte er sich bei diesem Versuche nicht beruhigt, aber jetzt, wo er selbst und die teuersten Seinigen unmittelbar von den Schrecken der Vernichtung bedrängt wurden, jetzt war selbst sein edles Herz stumpfer geworden, und er wandte sich ab und sprach: »Es ist alles vergeblich! Nur weiter, weiter!« So setzten sie ihren Weg fort in so hastiger Eile, als es irgend möglich war, denn das Verderben folgte ihnen wie ein Raubtier, das nach Beute jagt und sich seines Opfers bemächtigt, sowie es, von Entkräftung übermannt, einen Augenblick Atem zu schöpfen versucht.

Die Straße bedeckte sich jetzt mehr und mehr mit Wandernden, die aus den Wäldern zur Seite oder aus nahegelegenen verlassenen Dörfern zusammenströmten. Bald befand man sich wieder im dichten Gewimmel jener gespenstischen hohläugigen Schreckensgestalten, die der Winter mit grausamem Hohn in die abenteuerlichsten Hüllen getrieben hatte, so daß das Lächerliche sich in die fürchterliche Nähe des Entsetzens gewagt zu haben schien. Jeder Hauch der Lippe erstarrte augenblicklich, daher waren die langen verwilderten Bärte der Krieger, ja selbst Haar und Brauen mit scharfen Reifnadeln besät, die ihnen das Ansehen uralter silberhaariger Greise gaben. Doch mitten unter allen diesen Schrecken blieb die höchste Pein für die so eng verschwisterten und befreundeten Herzen der unselige Zustand Jaromirs, der, in völliger Verworrenheit des Gemüts, zwar äußerlich fast abgestumpft gegen die Qualen war, die alle duldeten, ja sogar oft in wahnsinnigen Scherz und Lachen ausbrach, aber innerlich in stets sich erneuernden Anfällen bald vom tiefsten Jammer, wobei er in lautes Weinen ausbrach, bald von ungebändigter Wut und Verzweiflung ergriffen wurde. In diesen Zuständen des Rasens, die die letzten Lebensbanden plötzlich zu sprengen drohten, kannte er niemand und stieß selbst Rasinski in blinder Wut von sich; die Freunde mußten ihn umringen und halten, damit er nicht Hand an sich selbst legte. Sie taten es, doch reichte ihre Kraft nicht aus, und sie sahen den Augenblick kommen, wo das Schrecklichste geschehen, wo sie den Unglückseligen als ein nicht mehr zu rettendes Opfer den Furien zum Raube überlassen mußten. Zweimal war der Anfall der Wut vorübergegangen; als sie ihn zum dritten Male antrat, packte es ihn fürchterlicher und dauernder als zuvor. Endlich rief Rasinski: »Es ist unmöglich, wir müssen ihn aufgeben; uns bleibt nur die Hoffnung, daß das Übermaß seiner Folter ihr Ende beschleunigen werde.«

Und schon wollten sie ihn loslassen, daß er in ungebändigter Wut fortstürzen könne, da sandte der Himmel einen Engel der Rettung. Es war Bianka! Ihr Herz vermochte es nicht zu überwinden, daß ein solcher Freund dem Verderben überlassen werden sollte, solange der heilige Funke des Lebens in seiner Brust glühte. Weinend und flehend warf sie sich zwischen die Männer und rief: »O nein, gebt ihn nicht auf, rettet ihn oder laßt uns mit ihm verderben!« Dann wandte sie sich zu Jaromir selbst und scheute sich nicht, den Rasenden sanft anzurühren; sie flehte ihn mit einem Tone, dessen fromme Kraft der Bitte selbst in die tiefe Nacht und Verworrenheit des Wahnsinns eindrang: »O sei ruhig! Kehre zu dir zurück, erkenne deine Freunde und sei wieder du selbst!« Jaromir blickte sie, wie aus einem wilden Traume auffahrend, starr an und vergaß plötzlich das Toben gegen die hemmenden Arme der Freunde. Die empörten Wogen seines Wahnsinns ebneten sich, als die holde Gestalt mit mildem Sonnenblick die düster verhüllenden Wolkenschleier seiner Seele teilte. Fromm und gehorsam wie ein Kind hob er die Hände halb gefalten gegen sie empor und sprach mit bebender Stimme: »Ich will dir ja gern folgen, nur laß mich an deiner Seite gehen und verstoße mich nicht wieder!« Sie reichte ihm mitleidsvoll den Arm und entgegnete: »Komm, ich will dich führen.« Und willig ließ er sich von ihr leiten, und brach nicht mehr in seinen Jammer, nicht mehr in seine Wut aus, sondern lächelte still wie in seligen Träumen. Mit gerührtem Erstaunen gewahrten die Männer diese Macht der reinen weiblichen Seele, und ihre Brust füllte sich mit Demut und Verehrung. Bianka aber schritt dahin wie ein Engel der Barmherzigkeit, der einen Verirrten durch die Wüste führt.

Es war die letzte Prüfung! Endlich schlug die Stunde der Erlösung. Plötzlich tönte durch die Reihen von den Vordersten her ein Ruf des Staunens und der Freude, dem die Schwingen im Augenblick mächtig und mächtiger wuchsen. Er verwandelte sich in ein anschwellendes Brausen, denn alles fragte und forschte nach der Ursache, und im beschleunigten Lauf drängte die Menge vorwärts, soviel die aufs äußerste erschöpften Kräfte es noch zulassen wollten. Endlich erreichte auch Rasinski mit den Seinigen die Biegung des Weges, woher der Freudenruf erschollen war, und Wilna, dieses langersehnte Ziel der Rettung, diese erste bevölkerte, wohnliche Stadt, lag vor ihren Augen. Bei diesem Anblick jauchzte die Seele auf im Dank gegen den Allbarmherzigen; die Freunde hielten einander in den Armen, heiße Tränen des dankenden Entzückens flossen, denn das Ufer der Rettung lag endlich vor ihrem Angesicht nach unnennbaren Drangsalen, Schmerzen und Opfern. Selbst die bittersten Rückerinnerungen schmolzen in dieser Minute hinweg vor dem Sonnenblick des Glücks; nur der Pfeil der Gegenwart, der noch in der frischen Wunde des Herzens steckte, schmerzte brennend.

Mit Jammer betrachtete das Auge den unglückseligen Freund, den das schwerste Verhängnis getroffen, die Stunde der Erlösung nicht mehr empfinden zu können. Nur einen Tag früher, und auch ihm hätte die milde Sonne der Freude gelächelt! Doch mit dumpfem Donner schlug das grausame Geschick die Pforten zu, eben da er vor den Eingang trat, und verwehrte ihm auf ewig die Rückkehr in die glückseligen Gefilde des Lebens. Gleichgültig sah Jaromir den weinenden Dank der Freunde. Nur einen Augenblick schien es, als dämmere ihm ein ferner Schimmer der Wahrheit auf, er atmete rascher, beklemmter; es war, als wollte der Strom der Freude gewaltsam hervorbrechen aus der Brust und die finstern Banden des Wahnsinns sprengen. Doch sie blieben mächtiger; seufzend senkte der Unglückliche wieder das Haupt, und das aufflammende Feuer seines Auges erlosch im matten Glanz. »Führe mich weiter, Lodoiska«, sprach er endlich bittend zu Bianka, die, von der Freude überwältigter als von Schmerz und Schrecken, in Ludwigs Armen hing, unvermögend, sich auf den wankenden Knien zu erhalten. Erst das Gefühl, daß ein grenzenlos Unglücklicher ihrer bedürfe, gab ihr die Kraft wieder. Sie reichte ihm aufs neue den leitenden Arm, und sie wanderten vorwärts, von den Kräften der Hoffnung frisch belebt.

Doch das nahe Ziel war schwer zu erreichen. Denn schon sah man die Straßen breit vom schwärzlichen Gewimmel der Unglückseligen überdeckt, welche der Anblick des ersehnten Ziels ihrer Leiden aus der starren Betäubung geweckt hatte, in die sie durch das Übermaß der belastenden Qualen versenkt waren. In blinder Hast – wie es denn überhaupt der Fluch war, der auf diesem ganzen Zuge lastete, Heil und Verderben mit gleicher Verblendung zu verkennen – stürzten sie gegen die Stadt hinan. Schon entstand ein treibendes, wogendes Gedränge, obgleich noch das offene Feld eine freie, zerstreute Verbreitung der Massen verstattete. Wie sollte es werden, wenn engere Eingänge das Abströmen dieser Flut hemmten? Rasinski sah es mit Besorgnis. Er fürchtete eine zweite, schreckliche Beresina, weil nicht einmal der Feind, sondern nur die rasende Verblendung der Freunde das Verderben zu beschleunigen drohte. Wie dort folgte der ganze Strom einem Zuge; von einem tierischen Triebe bewußtlos gedrängt, ging jeder ohne Urteil und Besinnung dem nach, der vor ihm wanderte. Die Begierde, das Ziel zu erreichen, ließ nur dieses sehen, und auf dem nächsten Wege wollten es alle gewinnen. Rasinski spähte umher, ob sich nicht ein Seitenweg auftue, den man unbemerkt einschlagen könne; denn er befürchtete einen zu starken Strom nachzuziehen, wenn er mit seinen Freunden plötzlich querfeldein wanderte. Jetzt erreichte man schon einige Häuser, die vereinzelt vor der Stadt lagen, und die Vorstadt war nahe. Hier ließ sich der Plan ins Werk setzen. »Haltet euch dicht an mich, Freunde,« sprach er voranschreitend, »und folgt mir sogleich, wenn ich zur Seite einbiege. Hinter jenem Zaun herum muß man ein anderes Tor der Stadt erreichen, das vielleicht nicht so belagert durch das Gedränge ist.«

Da Jaromir völlig ruhig geworden war, nahm er diesen wieder an seinen Arm und ließ Bianka zwischen Bernhard und Ludwig gehen. Schon fing der Strom an, sich zu stopfen, schon wurde man mehr vorwärts gedrängt, als man freiwillig ging. Es war daher die höchste Zeit, den Plan auszuführen. »Jetzt«, rief Rasinski und brach seitwärts aus. Bernhard und Ludwig, die Schwester in der Mitte, folgten ihm. Von einer dunkeln Ahnung getrieben, drängten sich ihm sogleich ganze Scharen nach, so daß sie einen Zweig des strömenden Gedränges auf diese Weise ableiteten. Die Straße ging zur Seite in einen steilen glatten Abhang aus. Rasinski war ihn glücklich hinunter, doch Bianka glitt aus und fiel nieder. Zwar unterstützten Bernhard und Ludwig sie sogleich, doch waren auch sie zu geschwächt und unsicher, um sich fest auf den Füßen zu halten, zumal da Bernhard das Kind trug; so fielen sie gleichfalls. Der Strom der Menge ging sogleich von beiden Seiten neben ihnen hinweg; er wälzte sich nicht über sie hin, schnitt sie aber mit seinen dichten Wellen von dem führenden Freunde ab. Mühsam rafften sie sich empor; Bianka hatte sich den Fuß verletzt, so daß sie nur mit größter Mühe auftreten konnte. Bernhard spähte nach Rasinski umher; er war verschwunden, und bereits überdeckte ein schwarzer Strom der Menge das Feld. »Vorwärts, vorwärts, um des Himmels willen vorwärts!« rief er daher, »sonst werden wir völlig von ihm getrennt.«

Allein es war zu spät. Schon zu viele hatten sich zwischen sie und den Freund eingedrängt, und von der Seite her mehrte sich die Masse derselben, weil die Nachkommenden auf der großen Straße diese früher verließen und quer über das Feld eilten, um sich den Vorangehenden so rasch als möglich anzuschließen, indem sie glaubten, hier sei das Ziel der Rettung schneller zu erreichen. Gegen diesen Strom zu kämpfen war unmöglich; ihn vordrängend rascher teilen zu wollen, schien ebenso vergeblich. Es blieb ihnen daher nichts übrig, als sich von seinen Wellen forttreiben zu lassen. Der Weg schlang sich um die winkeligen Zäune mehrerer einzelnen Gehöfte. Plötzlich teilte er sich in verschiedenen Richtungen, und alle waren sie bereits von der anströmenden Menge erfüllt. Welche hatte nun Rasinski eingeschlagen? Es war nicht zu ermitteln; und wäre dies auch möglich gewesen, es hätte nichts mehr nützen können, denn auch hier war es dem freien Willen nicht mehr überlassen, den Weg zu wählen, sondern jeder mußte dahin, wohin die zufällige Richtung der immer mächtiger drängenden Scharen ihn trug. Nach demselben Grundsatze, der ihm an dem stygischen Strom der Beresina zum Heil gedient hatte, trachtete Bernhard nur danach, sich aus dem Strom der Menge herauszukämpfen, um endlich wieder die Wahl des Pfades frei zu haben. Dies gelang ihm kurz vor den ersten Häusern der Vorstadt, in deren enge Gassen sich die Scharen wie eine vom Wolf gescheuchte Herde hineindrängten. Atemlos, erschöpft, gewannen sie endlich freies Feld; der Winter, der sie so lange verfolgt hatte, wurde jetzt ihr Retter; denn Gräben und Sümpfe, die es ihnen sonst unmöglich gemacht hätten, auf diesem Wege die Stadt zu erreichen, waren fest gefroren. Ihre Wanderung verlängerte sich um eine halbe Stunde; freilich für die Erschöpften eine lange Folter, doch endlich erreichten sie eine entgegengesetzte Vorstadt, ganz allein, als ob es gar kein Heer in der Gegend gebe. Doch gewährten ihnen die wenigen ärmlichen Häuser keinen Schutz, denn sie waren durch ihre Bewohner verlassen; allein das offene Stadttor lag wenige hundert Schritte vor ihnen, und sie erblickten bereits mit unaussprechlicher Freude einige zwar dicht eingehüllte, aber doch wohlgekleidete Menschen auf der Gasse, deren Äußeres verriet, daß hier die Wüstenei des Krieges ein Ende hatte. Zitternd vor Freude traten sie in das Tor ein; denn selbst die Sorge um Rasinski bekümmerte sie jetzt nicht mehr so schwer, da sie beim Anblick der bewohnten Häuser, des Verkehrs und aller jener Zeichen des Friedens und ruhigen Besitzes voraussetzen mußten, daß auch er ein sicheres Obdach erreicht habe. Nur erst einige Stunden der Erholung, der Erwärmung, dann würde ja der teuere Freund wohl aufzufinden, das Wiedersehen doppelt glücklich sein.

Das nächste Obdach war das willkommenste; die Not erhob jede Hütte zu einem Palast; daher eilten sie mit hastigen, wankenden Schritten auf ein kleines, freundliches Haus zu, aus dessen Tür sie ein junges Weib treten sahen, die, gleich einigen Vorübergehenden, die Ankommenden mit erstaunten Blicken maß. Bianka, als des Russischen mächtig, rief der jungen Frau schon aus einiger Entfernung zu: »Könnt ihr uns ein Obdach geben, gute junge Frau? Wir wollen es reichlich belohnen.« Da stürzte diese plötzlich mit dem Ausruf: »Um aller Heiligen willen, Gräfin Feodorowna, was führt euch hierher?« der Kommenden entgegen, ergriff ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen. »Was führt euch hierher? Und in diesem Zustande! Barmherziger Gott! Erkennt ihr mich denn nicht?« – »Axinia! du bist es?« rief Feodorowna mit versagender Stimme aus; »Axinia! du unsere Retterin?« Hier schwanden ihr Kraft und Sinne zugleich; sie wankte, Ludwig und Bernhard empfingen sie in ihren Armen; Axinia ergriff das Kind und voraneilend rief sie: »Mir nach, hier herein!«

So fanden sie nach unermeßlichem Dulden endlich Rettung, Pflege und Liebe. Sie waren zurückgekehrt aus der Wildnis zu wirtbaren Wohnungen der Menschen. Ihr Leben sollte keine Folter mehr sein; freundlich bot ihnen die Wirklichkeit die Hand – der Wechsel war zu unermeßlich; so rasch, wie er eintrat, vermochten sie ihn nicht zu fassen.


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