Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Zueignung.

An die Fürsten und Völker Europas.

Verwegenheit des Verfassers wäre es zu nennen, wenn er es wagte, nur auf sich selbst gestützt, seinem Werke eine Zueignung vorangehen zu lassen, welche sich fast an die ganze Mitwelt richtet. Aber nicht er in seiner einzelnen Kraft ist es, der sich eines solchen Unterfangens anmaßt, sondern es ist eine höhere Gewalt, als deren Vertreter er zu gelten versuchen will. Und auch das ist schon ein Unternehmen, dem man es vergeben muß, wenn der kühne, glühende Wille dem Vermögen beflügelt vorauseilt.

Die Begebenheiten unserer Tage waren und sind so groß, daß der Dichter nicht mehr sie erhöht, sondern von ihnen getragen wird. Die mächtig ausgespannten Flügel der Weltgeschichte heben ihn in ein hohes, leuchtendes Reich empor, wo er, in der Nähe sich verkündender Gottheiten, selbst wächst und erstarkt. Aber er fühlte die fremde Kraft in sich; es ist der rollende Strom, auf dem er treibt, es ist die brausende Gewalt des Sturms, die sein Fahrzeug beflügelt, nicht sein schwacher Ruderschlag. Sein Verdienst ist nur das, sich auf dieses ungeheuere Element gewagt zu haben, und er muß seinen Vorwitz büßen, wenn er zerschellt wird.

Wie das Jahr 1789 alle die großen Gedanken gebar und erzeugte, welche jetzt unsere Welt gestalten und umgestalten, so ist das Jahr 1812, von dem dieses Buch den Namen leiht, als das Geburtsjahr, oder besser, als das der Empfängnis für die Bildung der heutigen Staatenverhältnisse Europas zu betrachten. Es schrieb mit furchtbaren Schriftzügen gigantische Lehren in das Buch der Weltgeschichte ein. Nie hat sich ein Verhängnis grausenvoller gestaltet, nie wurde Überhebung des einzelnen gegen die Allmacht der Schickung durch eine ähnliche Nemesis heimgesucht. Alle Höllen verschlangen die Heere des Eroberers; aus dem Flammenmeere brennender Städte wurden sie, wie Dantes Verdammte, zu entsetzenvollerer Qual in die Eisschlünde ewiger Erstarrung hinabgestürzt. Dies ist das Gemälde der Weltgeschichte, welches der Dichter, selbst erbebend vor dem vermessenen Unternehmen, vor euch aufzurollen wagt.

Doch über den Wüsten von blutgetränkter Asche, über den Schneefeldern voll erstarrter Leichen ging eine große, leuchtende Sonne des Segens allen Völkern auf. Wen durchzittert nicht eine heilige Begeisterung, wenn er an diese Tage denkt? Diese Tage des Erwachens, des erhebenden Kampfes, der reichsten Verheißungen!

Doch hat sich erfüllt, was verheißen war? Sind die überreich hingestreuten Saaten zu gesegneten Fluren aufgesproßt? Hat der Mensch die Verkündigungen des Göttlichen in ihrer Wahrheit gedeutet? Wird nicht gefrevelt im Verkennen heiligster Winke? Schließen sich nicht die Augen mit Gewalt vor dem, was erfüllt werden muß, dem nun und nimmer entraten werden kann? – Das sind die gewichtig tiefen Fragen, die Fürsten und Völker sich ernst zu tun haben! Und darum wagt es der Dichter, sein Werk an sie zu richten, zumal aber an die Fürsten. Denn sie sind die Vertreter, die Gipfel der Geschichte, die am weitesten leuchten und ragen, aber auch am tiefsten stürzen, wenn die Flut der Völker, welche nährend ihren Fuß umwallt, unnatürlich zurückgedämmt, anschwillt, überbraust, den Boden unterhöhlt, daß alles krachend einbricht, was auf granitenen Festen zu ruhen schien.

Erinnert euch an die verheißende Morgenröte des Jahres Achtzehnhundertundzwölf! Gedenkt daran, welche Hoffnungen den beiden nächsten Jahren des heiligen Kampfes leuchteten! Erwägt, wie treu, aber auch wie gewaltig damals die Völkerwoge emporbrauste, durch alle Dämme brach und die dämonische Gewalt fremder Tyrannei zu Boden schlug!

Ihr habt erfahren, was ein Volk ist! Vergeßt es nicht! Mahnend und warnend redet die Zeit, welche der Dichter in wechselnden Bildern lebendiger wieder vor euere Seele zu führen trachtet! – Das eine darf er von sich sagen: von Ehrfurcht und Begeisterung war er gleich durchschauert, wenn der mächtige Geist näher und näher zu ihm trat und sich in tausend Wundergeschichten verkündete. Ob er ihn begriffen, seine tiefsten Geheimnisse erlauscht? – ob er mit ungeweihter Seele frevelnd nahe zu treten gewagt und nur Mißbildungen der Verzerrung im unlautern Spiegel der Brust empfing? darüber wird eben jener mächtige Geist strenges Gericht halten. Denn an ihm vergeht sich keiner ungestraft, und Sanduhr und Sense der allschauenden Zeit messen gerechter, richten strenger als selbst Wage und Schwert der blinden Themis!


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