Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Fünftes Kapitel.

Da tönte in die hehre Stille der dumpf krachende Donnerschlag eines Kanonenschusses, so nahe, daß die Fenster des Gemachs klirrten. »Was ist das?« rief Rasinski und fuhr schlachtgewohnt empor. Aber noch ehe er das Wort vollendet hatte, krachte die volle Lage einer Batterie, daß der Erdboden bebte. »Heiliger Gott!« rief die Gräfin, »so nahe sind wir dem Kampfe?«

Marie stand erblassend, denn sie war dieses Klanges noch ungewohnt. »Ich muß hinaus,« sprach Rasinski entschlossen, »wir sind angegriffen.« – »Wir begleiten dich«, rief Ludwig ebenso rasch, und Bernhard sprang nach den Waffen die auf einem Sessel lagen. – »Nein, nimmermehr«, gebot Rasinski mit Hoheit. »Ihr habt in diesem Kampfe nichts mehr zu erfechten! Bleibt hier und behütet, was mir und euch das Teuerste ist.«

»Wir lassen dich nicht allein ins Gefecht«, rief Ludwig heftig und wollte ihn aufhalten. – »Ihr sollt, ihr müßt! Mich ruft die Pflicht hinaus, euch bindet sie hier«, erwiderte Rasinski fest und wies Ludwig zurück. – »Nein, du darfst uns das Recht, dir zur Seite zu stehen, nicht nehmen,« sprach Bernhard; »denn du kannst den Vorwurf nicht von unserer Seele wälzen, wenn du bleibst, wo Freundesbeistand dich gerettet hätte.«

Draußen ertönten die Trommeln mit furchtbarem Getöse in den engen Gassen. Wildes Geschrei, Kanonendonner, Trompetenschmettern hallten durcheinander, Volk und Soldaten liefen zusammen. »Wenn ihr je meinen Willen geachtet habt,« rief Rasinski und richtete sich mit der ihm angeborenen Würde empor, »so bleibt zurück. Gehorcht in dieser Minute mir zum letztenmal als Führer. Ich gebiete euch, bleibt.«

Die Frauen waren von Schmerz und Angst zu bewegt, um die neue Spannung, welche dieser edelmütige Streit in ihnen hätte erzeugen müssen, in ihrer ganzen Kraft zu empfinden. Unbewußt ward ihnen die so oft eintretende Wohltat strenger Schickungen, daß die von vielen Seiten zusammentreffenden Schläge einander selbst entkräften, weil die menschliche Brust, gleich einem Gefäße, nur für ein bestimmtes Maß empfänglich ist. Mag der Strom der Verhängnisse dann noch so gewaltig darüber hinbrausen, er füllt es nicht höher an, sondern das Übermaß des Schmerzes flutet unempfunden überhin.

Marie allein, die der Tod Jaromirs nur mit entfernterm Anteil berühren konnte, teilte die bange Sorge um die Wendung dieses Streites ganz. Indem sie sah, wie der edle Mann, der ihr einst seine Liebe bot und die ihre gewann, sich jetzt in die Gefahr des Kampfes stürzen und mutig dem Tode für Ehre und Vaterland weihen wollte, flammte die tiefverhüllte Glut wieder in ihr empor, und sie zitterte für das teuere Haupt. Von diesem Gefühle getrieben trat sie zwischen die Männer. »Fordert der Kampf Sie denn auch jetzt noch?« fragte sie und blickte bittend zu Rasinski auf; »ist es noch Pflicht, sich dem Tode zu weihen, wo aus dem gänzlichen Schiffbruche nichts mehr zu retten ist? O bleiben auch Sie, daß nicht die Stunde unsers Wiedersehens die des unaussprechlichsten Schmerzes werde, wenn –«

Hier brach sie ab; sie wagte nicht auszusprechen, was sie dachte und fürchtete. »Marie!« rief Rasinski mit einer Stimme, die sein ganzes Herz entfaltete, »Marie!« Er stand im heftigsten Kampfe mit sich selbst und blickte sie schmerzvoll an. Es war ihm einen Augenblick, als sei die eherne Scheidewand, die sich zwischen sie und ihn stellte, eingestürzt durch die Riesengewalt der Verhängnisse. Mit mächtigen Banden zog es ihn hinüber zu der holden Gestalt, die der Genius seines Lebens sein sollte. Doch die Täuschung dauerte nur eine Sekunde. Die rosig goldenen Nebelschleier zerrissen, das duftige Gewölk verschwebte, und die unerbittliche Wahrheit stand wieder in ihrer rauhen Majestät vor ihm, kolossaler als jemals. Nichts war geändert; die trennende Kluft gähnte nur noch tiefer auf als je zuvor. Er erkannte es und sprach fest, aber sanft: »Nein, auch diese Bitte darf mich nicht halten! Lebt wohl! Ihr bleibt!« Rasch riß er sich los und eilte hinaus.

Marie schwankte wie betäubt zurück und sank matt in die Arme des Bruders. Bernhards scharfblickendes Auge sah ihr bis in das innerste Herz; Rasinski hatte das Geheimnis seiner Brust mit einem einzigen Worte enthüllt. Also er – und sie, dachte er, und der Schmerz preßte ihm die Brust krampfhaft zusammen. »O, er läßt uns die schwerere Pflicht!« rief er ausbrechend. »Wen die tiefen Strudel des Lebens wirklich gepackt haben, der weiß, daß eine Schlacht ein lustiges Schifferstechen ist, wo die Welle nur spielend gegen den Nachen schlägt!«

Ludwig verstand den Freund nur halb, nur soweit er dasselbe Gefühl teilen konnte. »Freilich kämpfen wir den schweren Kampf der Entsagung,« entgegnete er; »doch auf seinem großen Herzen lastet das als ungeheuerer Schmerz, was uns mit freiem Fittich erhebt. Darum kämpft er schwerer und männlicher als wir!« – »O,« rief Marie aus, »o ihr Lieben, fragt nicht, wer hier den tiefsten Kelch der Schmerzen leert! Der Jammer ist ein Meer geworden; die Flut steigt über jedes Herz hinan!« – »Bergetief!« warf Bernhard rauh und düster hin; »es kommt auf etliche Turmhöhen nicht mehr an.« Es schüttelte ihn wie ein Fieberfrost. Die Entdeckung, daß Marie ihr Herz einem andern geweiht habe, war wie ein Fels auf seine Brust gefallen und hatte sie zerschmettert. »Er ist der Edelste, der Würdigste,« dachte er und ging heftig auf und ab; »doch das kann mich nicht trösten, es vernichtet mich nur desto sicherer, denn um so ferner verdrängt er mein Bild aus ihrer Seele! Und diese Liebe war der Leitstern, dem ich folgte durch die finstere Wüste unserer Wanderung! Sein mildes Licht allein gab mir Trost – ich erreiche das Ziel, und er versinkt, und es ist finsterer als zuvor!«

In sich versunken, die starren Blicke auf den Boden geheftet, stand er betäubt und sah nicht, was um ihn her vorging. Da legte sich ein Arm sanft um seinen Nacken, und er fühlte eine Wange an der seinigen – es war Bianka. »Schwester!« rief er mit erstickter Stimme; »Schwester! Ja, du bist mir geblieben!« Marie mochte dunkel ahnen, was in seiner Seele vorging; vielleicht regten sich auch in ihr neue verborgene Stimmen eines Gefühls, das sie an einem erschöpft zu haben wähnte. Sanft, ja fast demütig, als habe sie ein schweres Unrecht zu vergüten, trat sie daher zu Bernhard und sprach als Erwiderung auf seinen schmerzlichen Ausruf: »Auch wir, so hoffe ich, bleiben innig verbunden; der Bruder wird nicht ganz vergessen, daß er einen Freund und eine Freundin besitzt, die ihm mehr als ihr Leben dankt!«

Bernhard blickte sie erstaunt an. Sie hob zuerst die reine Hand gegen ihn und reichte sie ihm unbefangen dar: »O, ich weiß, was Ludwigs Schwester seinem Freunde schuldet! Ich denke, ich habe nun zwei Brüder, und – wir sind Schwestern!!« Mit diesen letzten Worten wandte sie sich zu Bianka, die ihr die liebevollen Arme öffnete. Bernhard wollte antworten, doch zum erstenmal fehlte ihm die Sprache, so war sein Herz im Innersten erschüttert und wehmutsvoll gebrochen. Sollte diese offene, herzlich gebotene Freundschaft und Verschwisterung seine Hoffnung beginnen oder enden? Er wußte es nicht, ja er wußte kaum, was er wünschen dürfe; denn edel, wie er war, hätte ihn der Gedanke schon belastet, daß sein Glück nur aus fremdem Schmerze erblühen könne. Rasinskis hohes trauerndes Bild stand vor ihm, und sein großmütiges Herz empfand das Geschick des Freundes wie sein eigenes.

Die Gräfin trat aus dem Hintergrunde des Gemachs, wo sie am Lager des Toten nur um Lodoiska beschäftigt gewesen war, hervor. Ihr Gang war langsam; man sah es, die hohe Gestalt trug sich nur mit Mühe aufrecht. »Mein Bruder ist hinaus,« begann sie, weniger fragend als sich die Halbfrage selbst beantwortend; »er hätte sich doch Zeit zum Abschiede lassen sollen. Wer weiß, ob wir uns wiedersehen; denn zu hoffen habe ich verlernt!« Sie stand bleich, aber königlich emporgerichtet, als weigere sie sich stolz der Schmach, ihren Nacken unter der Last des Geschicks zu beugen; doch perlte eine Träne in ihren Wimpern und bedeckte das große, dunkle Auge mit feuchtem Schimmer. Marie und Bianka traten teilnehmend zu ihr; sie reichte ihnen die Hände und zog sie mild bewegt näher. »O meine Töchter! ihr seid jung; das Leben faßte euch frühe mit rauher Hand an – aber es zerschmetterte euch doch nicht so furchtbar wie diese Arme.« Hier deutete sie auf Lodoiska, die, einem Marmorbilde gleich, stumm an Jaromirs Lager saß und seine kalte Hand nicht ließ. »Welch ein Geschick! Hier ein erstarrender Schmerz, den keine Träne erweichend schmilzt, und ringsum Verwüstung, Tod, Grauen, Entsetzen! Hört ihr, wie der mordbegierige Donner rollt? O, er wird auch das edelste Haupt treffen, das so männlich dem Sturme getrotzt! Vielleicht können wir aus diesen Fenstern die schaudernden Zeugen sein, wenn ihn das zermalmende Erz niederschmettert!«

»O nimmermehr!« unterbrach Marie sie weinend.

»Du weinst? Armes Kind! So wähnest du den Grimm des Schicksals zu versöhnen? Erz wäre geschmolzen in meinen glühenden Tränen, doch die waltenden Mächte droben blieben unerweicht. Nein, nein! Wähne nicht, daß der Himmel das Flehen aus zerrissener Brust vernimmt! Er ist taub, undurchdringlich seine eherne Wölbung, Flüche und Gebete verhallen gleich unerhört im öden Weltraum! Und meint ihr, wir hätten den Boden dieses Abgrundes erreicht? O, wir können noch unermessen tiefer stürzen. Zum Jammer wird sich die Schmach fügen. Bald wird der Feind triumphieren! Vielleicht sehe ich den Bruder gebunden, verblutend hier vorüberschleppen, vielleicht auch diese Jünglinge, uns selbst; denn ich bin eine Polin, und uns ist unerlöschlicher Haß, unvertilgbare Schmach geschworen. Doch eh' ich diese zarten Hände,« sie deutete auf Lodoiska, »in rauhe Banden geschnürt, ehe ich ihre keusche Schönheit der Tigerwut barbarischer Schergen preisgegeben sehe, eher soll meine eigene Hand sie durchbohren! Eine polnische Mutter ist nicht schwächer als ein römischer Vater – und sie wird vor dem Tode nicht zittern!« Bebend hatte sie vollendet; ihre überlastete Brust mußte sich Luft machen. Sie atmete tief und erleichtert auf und sank dann erschöpft auf einen Sessel.

Bianka trat zu ihr und umschlang sie mit tröstender Liebe. »Nein, du Edle,« sprach sie aus fester Überzeugung, »dahin soll es nicht kommen. Jetzt will ich es geltend machen, daß ich mich Rußlands Tochter nennen darf. Wer es auch sei, der diese Stadt feindlich, im Sturme gewinne, ich will zu ihm, und er wird uns Schutz gewähren. So weit geht selbst der Grimm des Krieges nicht. Es gibt kein Herz auf dieser Erde, das kalt bei unserm Schmerze bliebe. Auch die rauhen Männer dieses Landes werden sich rühren lassen, und entwinden ihnen meine Bitten nicht das Schwert, so soll es mein Name tun. Ich habe das Recht, ihn geltend zu machen, noch nicht verloren!«

Indes rückte das Getöse des Kampfes näher und näher. Paul war hinausgeeilt, um zu sehen, von welcher Seite der Angriff geschehe. Er kehrte jetzt atemlos wieder und berichtete: »Ein wilder Kampf entbrennt vor den Toren. Ich sah den Grafen mit dem Marschall Ney flüchtenden Soldaten die Gewehre entreißen und nach der Mauer eilen, um dem Feinde selbst das Eindringen streitig zu machen. Auf dieses Heldenbeispiel sammelten sich die Scharen wieder und fochten, während die andern aus allen Toren abziehen. Schon ist die Straße nach Memel mit Truppen bedeckt. Noch wenige Stunden, und der Feind muß Herr in der Stadt sein.«

Er hatte kaum vollendet, als die Tür sich rasch aufriß und Rasinski hereinstürzte. »Allmächtiger Gott, mein Bruder!« rief die Gräfin und hing in seinen Armen. Er blutete an der Stirn; sein Gesicht war mit Pulverdampf geschwärzt, doch sein Auge flammte wie das des Löwen, der sich auf seinen Raub stürzt. »Die dringendste Gefahr ist vorüber,« rief er; »einen Augenblick gewann ich zum Abschied von euch. In wenigen Minuten erwartet mich der Marschall wieder. Bald werden die Russen die Stadt besetzen. Zur Flucht ist nicht mehr Raum; darum haltet euch verborgen, bis der erste Sturm vorüber ist. Dann geh' nach Warschau, Schwester; dort wirst du wieder von mir hören. Lebe wohl! Euch, meine Freunde,« wandte er sich zu Bernhard und Ludwig, »rate ich, nach Preußen zu gehen. Für euch ist dies der nächste, sichere Aufenthalt. Unser Weg geht nun auseinander. Wir haben treulich mitsammen ausgedauert – lebt nun Wohl.«

Sie lagen in seinen Armen; er schämte sich der Tränen nicht, die sein männliches Antlitz benetzten, doch er blieb fest, denn er wollte es bleiben. »Es muß geendet sein,« sprach er nach einer heilig stillen Minute; »ich habe nicht mehr Zeit für alle meine Lieben! Auch ihr lebt wohl, ihr schönen Gestalten! Bianka – Marie!« Bianka, die ihn wie einen Vater liebte, lehnte sich weinend an seine Brust; er küßte ihr die Stirn und legte segnend seine Hand auf ihr Haupt. »Du warst unser holder Schutzengel in namenloser Bedrängnis; deine Nähe war mein Trost. Jetzt reißen uns rauhe Stürme auseinander – mögest du von nun an nur sanfte Pfade wallen!«

Marie stand in schüchterner Ferne; Rasinski trat ihr einen Schritt näher. »Marie,« redete er sie an, »wir sehen uns zum letztenmal!« Da nahmen Liebe und Schmerz sich ihr heiliges Recht, frei nur sich selber zu gehorchen. Im siegenden Gefühl ihrer Berechtigung sank Marie, hingegeben in Weh und Seligkeit, an das Herz des edeln Mannes, und ihre jungfräuliche Lippe hing an den seinigen. »Mein warst du einen schönen Augenblick, Marie,« sprach er sanft und löste die Umarmung; »nun sei ganz wieder dein! du hattest recht, edles, schönes Herz; zwischen uns braust ein Strom, über den kein Steg führt als der der Schuld. Wohl uns, wir werden ihn nicht wandeln!« Er legte die in Tränen Vergehende an das Herz des Bruders. »Die Minuten sind verronnen, ich muß fort!« Entschlossen wandte er sich rasch hinweg.

Da riß sich Lodoiska aus ihrer dumpfen Erstarrung auf; angstvoll schmerzlich rief sie: »Willst du mich vergessen?« und wankte auf ihn zu. Er fing die Niedersinkende in seine Arme auf. »Nein, nein, du holde, bleiche Rose! Wie sollte ich dein vergessen!« sprach er weich, und drückte sie mit väterlicher Zärtlichkeit an die Brust. »Aber Tränen habe ich nicht für deinen Jammer – Tränen sind zu arm!«

Sie hing sprachlos in unzertrennlicher Umarmung an seinem Herzen; das reiche Haar wallte ihr aufgelöst herab; fester und fester drückte sie das Antlitz an seine väterliche Brust. Doch ermattet sanken die Knie unter ihr ein, das bleiche Haupt fiel zurück, und mit geschlossenen Augen ruhte sie leblos in seinen Armen. Er ließ sie sanft auf einen Sessel gleiten, drückte noch einen Kuß auf ihre Marmorstirn und ging dann mit raschen Schritten der Tür zu. Bernhard und Ludwig wollten ihm folgen, doch er machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, rief überwältigt mit fast erstickter Stimme: »Es ist genug!« und eilte hinab.

Marie eilte ans Fenster, um ihm noch einen Blick der Liebe nachzusenden. Auf den Gassen stürzten Volk und Soldaten in wildem Getümmel durcheinander. Rasinski trat unter einen dichten Haufen und warf sich mit dem Übergewicht seines herrschenden Geistes sogleich zum Führer auf. Den Säbel ziehend schritt er voran, nach dem Innern der Stadt zu. Vergeblich harrte Marie, daß er das Antlitz noch einmal zurückwenden solle. Er tat es nicht; die Brücke, die ihn mit den lieblichern Ufern des Lebens verband, hatte er jetzt hinter sich abgeworfen und wandte nun auch selbst das Auge nicht mehr zurück, denn sich erweichender Sehnsucht fruchtlos hinzugeben war nicht in seiner Art. Der schwesterlichen Brust, den Armen der Freundschaft, der Liebe hatte ihn seine strenge Pflicht entrissen; nun folgte er ihr allein und zeigte den Kriegern nur das eherne, unerschütterte Antlitz des Helden. Der brausende Strom des Kampfes führte ihn schnell hinweg und schlug mit kühlenden Wogen an seine Brust. Schon drang der Feind vor und griff die Stadt von allen Seiten an. Kanonendonner erschütterte die Gebäude, Trommeln hallten in allen Gassen, Angstgeschrei der Weiber, Klageruf der Verwundeten teilte die Lüfte.

Der unnennbare Schmerz, der die Brust der Frauen ganz erfüllte, ließ der schwächern Empfindung der Angst keinen Raum. Lodoiska hörte kaum das brausende Getümmel auf den Gassen, in so starren Banden der Betäubung lag ihre Seele. Die Gräfin war auf jedes Äußerste gefaßt, sie hoffte und fürchtete nichts mehr; Bianka und Marie schlossen sich trostsuchend an die Brüder an, die allein noch Raum zur Sorge in der Brust behielten und den Gang des Gefechtes verfolgten.

Plötzlich krachten Flintenschüsse dicht vor dem Hause, und ein wildes Gebrause von Stimmen erhob sich. Bernhard sprang ans Fenster. »Die Stadt muß umgangen sein,« rief er; »das sind Kosaken, die hier hereinsprengen.« In der Tat drang eine Abteilung Kosaken in das Tor und griff eine kleine Schar von Franzosen, die eben durch dasselbe den Ausgang aus der Stadt suchten, an. Doch diese setzten sich, obwohl auseinander gesprengt, entschlossen zur Wehr, und so wurde der Raum unmittelbar vor dem Hause zum Kampfplatze zwischen einzelnen.

»Zieht euch zurück in die Gemächer nach dem Hofe,« bat Ludwig die Frauen; »wie leicht könnten hier Kugeln hereinschlagen.« – »So darfst auch du hier nicht weilen,« erwiderte Bianka; »wo du bleibst, bleiben wir.« – »Heiliger Gott, ich sehe Rasinski«, rief Bernhard plötzlich, und gleich darauf ertönte eine starke Musketensalve.

Alle, selbst Lodoiska, eilten auf Bernhards Ruf den Fenstern zu. »Wo?« fragte die Gräfin. »Wo ist mein Bruder?« – »Dort, wo die geschlossene Infanterie anrückt, sah ich ihn mitten im Pulverdampf zu Pferd,« erwiderte Bernhard; »aber jetzt ist er in der Wolke verschwunden!« – »Allmächtiger Gott, breite deine Schwingen über ihn«, betete Marie und warf sich auf die Knie.

»Da ist er, da ist er, jetzt sprengt er hervor«, ertönte Bernhards freudiger Ruf. – »Wie kommt er aber zu Pferd?« fragte Ludwig erstaunt. – »Beute! Beute! Es ist ein Kosakenpferd!« rief Bernhard und das Feuer der Kampfeslust rötete seine Wangen. »Hinter ihm hält der Marschall Ney. Siehst du dort? Sie wollen hier durchbrechen!«

Die Frauen zitterten. Der Kampf tobte heftig; der ergrimmte Tod hielt seine Sense über die Streiter geschwungen; die Wetterwolke des Verderbens schwebte dicht über dem Scheitel des Teuersten. Sie wollten sich wegwenden von dem Anblick, doch sie vermochten es nicht; starr gefesselt hing das Auge an dem Geliebten, als könne es ihn schirmend bewachen.

Wie der Schlachtengott sprengte Rasinski im Pulverdampf daher, die pelzverbrämte polnische Mütze stolz auf dem Haupt, den Säbel geschwungen. »Vorwärts, Kameraden, wir müssen uns Bahn brechen«, tönte seine mächtig gebietende Stimme, und selbst den Frauen durchbebte sie mutig das Herz. Die Scharen rückten geschlossen an, Rasinski auf scheu bäumendem Roß vor ihnen her. Die Kosaken waren besiegt und irrten verwirrt durcheinander; sie hätten sich schleunig zur Flucht gewandt, wenn das Tor nicht durch die nach ihnen eindringenden Reiter gesperrt gewesen wäre. Der Marschall Ney hielt weiter zurück in der Straße und ordnete nachrückende Massen. Rasinski sah sich scharf aufmerkend nach ihm um. Jetzt zog der Feldherr den Hut und schwenkte ihn mit dem Federbusch hoch über dem Haupte. Dies schien das verabredete Zeichen.

Von den vordersten Reihen der Masse umgeben ritt Rasinski vorwärts; die Reiter rückten geschlossen an. »Feuer!« erscholl jetzt sein Ruf, und die Salve krachte. Die Fenster erbebten, die Frauen taten einen lauten Schrei; die Straße lag in Wolkennacht des Pulverdampfes dicht eingehüllt, wildes Kampfgeschrei der Krieger brauste aus der schwarzen Tiefe herauf. Ein Windstoß zerriß das Gewölk. Da sprengte Rasinski durch den hellen offenen Raum. Sein kräftiger Säbelhieb stürzte einen Kosaken vom Pferde, einen zweiten streckte er mit der Pistole nieder. Über ihre Leichen hinweg setzte sein mutiges Roß mit verwegenem Sprunge. »Vorwärts, Kameraden,« rief er halb zurückgewandt, »die Bahn ist offen, brecht hindurch! Sie fliehen! Sieg! Sieg!«

Einen Blick warf er zu den Freunden und den bebenden Frauen am Fenster empor, und winkte grüßend mit leuchtenden Augen hinauf. Dann stürzte er in das Gedränge der fliehenden Feinde, die Seinigen folgten ihm mit Jubelgeschrei, und nach wenigen Augenblicken war er im Pulverdampf und brausenden Getümmel verschwunden.


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