Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Drittes Kapitel.

Unter solchen Gesprächen, bei welchen man sich wenigstens in den nächsten Beziehungen kennen lernte, war der Zug seinem Ziele näher und näher gekommen. Schon sah man das Städtchen Aussig, wie es sich an dem Ufer der Elbe malerisch hinzog, ganz nahe vor sich. Die Reiter, welche bisher die Wagen begleitet hatten, sprengten nun voran, um die Ankunft der Damen zu melden und alles auf ihren Empfang vorzubereiten. Der ganze Ort kam in Aufregung, als die stattliche Reihe junger Männer zu Pferde ihren Einzug hielt; alles flog an die Fenster, vor die Haustüren. Die niedlichsten Mädchen in ihren böhmischen Häubchen guckten neugierig mit den lebhaften schwarzen Augen nach den vornehmen Herren hinaus, und fuhren halb verschämt, halb vergnügt lachend mit dem artigen Köpfchen schnell zurück, wenn ihnen ein Kuß zugeworfen, oder ein Gruß hinaufgewinkt wurde, wozu sich die jungen Leute in ihrem fröhlichen Übermute gar zu sehr aufgelegt fühlten. Der Wirt des Gasthauses war schon benachrichtigt; mit dienstfertiger Eile sprangen er und seine Leute den Ankommenden entgegen und nahmen ihnen die Pferde ab. »Es ist alles schon aufs beste in Ordnung, meine Herren,« rief der Wirt; »das ganze Haus steht zu Ihren Diensten, die Zimmer sind gereinigt und aufgeschmückt, für eine gute Tafel habe ich gesorgt, kurz, ich hoffe, die gnädigen Herrschaften werden mit mir zufrieden sein.«

»Wir wollen sehen,« sprach der Baron Heilborn, einer der Anordner des Festes, »wir wollen alles in Augenschein nehmen. Längstens in zehn Minuten treffen die Wagen mit den Damen ein, und da darf nichts mehr fehlen. Haben Sie auch Blumen genug, um die Treppe zu bestreuen, und ist auch der Eingang gehörig bekränzt?«

»Das will ich meinen, Ew. Gnaden,« erwiderte der Wirt; »und nicht nur die Eingänge, sondern auch der Speisesaal, so gut wir's anzuordnen gewußt haben und das freilich nicht sonderlich schöne Lokal es zulassen wollte.«

Unter diesen Worten ging man die Stiegen hinauf, um den obern Raum des Hauses, der zum Empfang der Gäste eingerichtet war, zu besichtigen. Prachtgemächer durfte man freilich nicht erwarten; denn vier ziemlich grob geweißte Wände, auf denen die niedrige Decke fast ängstlich drückte, plumpe, schlecht schließende Türen mit rotbrauner Farbe getüncht, kleine, trübe Fenster, deren Scheiben in Blei gefaßt waren, und ein Fußboden von schlechten Dielen, der nirgends wagerecht lag, konnten freilich keinen glänzenden Palast bilden, und außer einiger Stukkaturarbeit an der Decke war nichts zu sehen, was man eine architektonische Verzierung hätte nennen können. Indessen hatte der Wirt die Türen mit dicken Eichenlaubkränzen, zwischen denen sich auch einige Blumengewinde wahrnehmen ließen, behangen; der Geschmack in der Anordnung war zwar nicht der feinste, verlieh aber einen ländlich fröhlichen Anstrich, wie denn Grün und Blumen uns immer freundlich ansehen, wenn sie auch noch so kunstlos geordnet sind. Ähnlich wie die Türen war der Saal geschmückt; rings an seinen weißen Wänden zogen sich die grünen vollen Eichenkränze in anmutig geschwungenen Bogen (eine schöne Form, welche das Gesetz der Schwere von selbst erzeugt) etwa einen Fuß unterhalb der Decke dahin. Die Eintretenden sahen sich ringsum und riefen dann dem Wirt ein anerkennendes Bravo zu; denn ein frohgestimmter Sinn läßt sich mit allem genügen, was seiner Stimmung entgegenzukommen sucht. Doch hatte man nicht Zeit, sich lange im Saale zu verweilen, da die Wagen jeden Augenblick eintreffen konnten. Die jungen Leute eilten daher hinunter, ordneten an, daß Treppen und Hausflur mit Laub und Blumen bestreut wurden, und stellten sich nun müßig in das Tor, um die Ankunft der übrigen zu erwarten. Rings in allen Fenstern lagen die erwartungsvollen Bewohner des Städtchens; ein Kreis von Kindern hatte sich um das Haus versammelt. So ärmlich und halb entblößt die meisten waren, so leuchtete doch die Freude über das ungewohnte Schauspiel, welches ihrer wartete, aus den muntern beweglichen Augen. Der Wirt wollte sie verjagen, damit die gnädigen Herrschaften, wie er sich ausdrückte, nicht belästigt würden; doch Heilborn wehrte ihm und sprach: »Laßt den Kindern die Freude; sie stören die unserige nicht, so mögen sie auch die ihrige haben; ja es macht es noch lustiger, wenn ein so munterer kleiner Schwarm seinen Jubel erhebt. Sieht man andere fröhlich, so wird man es selber desto mehr; also laßt nur die Kleinen hier herumspringen und jauchzen und jubeln und in die Händchen klatschen, soviel ihnen beliebt. Wir wollen wetteifern, wer am lustigsten ist, sie oder wir.«

Jetzt rasselte der erste Wagen auf dem holperigen Steinpflaster des Städtchens; alle Köpfe drehten sich nach der Ecke, wo die Gasse vom Tor in den Markt einlief. Ein Jubelgeschrei erhob sich unter den Kindern, als die Schimmel, welche den vordersten Wagen zogen, aus der Gasse zum Vorschein kamen. »Laßt uns die Kinder nachahmen,« rief Heilborn, »und salutieren!« Dabei zog er sein Schnupftuch aus der Tasche und schwang es hoch in die Lüfte. Die übrigen ahmten dieses Begrüßungszeichen nach, und die Kinder verdoppelten ihr Jubelgeschrei. Es waren die Gräfin, Marie, der Rittmeister und Erlhofen, welche in dem ersten Wagen, dem der zweite übrigens unmittelbar folgte, saßen. Die jungen Männer flogen an den Schlag, um den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein. »Da wären wir,« rief Erlhofen freudig, »und siehe da, eine ganze Volksversammlung, um uns zu empfangen. Das ist würdig, das ist recht, das freut mich, ihr meine Mitgenossen und Mitanordner dieses olympischen Festes. Bei großen Angelegenheiten muß aber auch Geld unter das Volk verteilt werden.« Zugleich zog er eine lange grüne Börse hervor, nahm eine Handvoll kleiner Silbermünzen und großer Kupferkreuzer heraus und warf sie, im Wagen stehend wie ein Triumphator, unter die kleine Menge, indem er laut rief: »Panem et Circenses!« Hierauf sprang er aus dem Wagen und eilte den schon vorangegangenen Damen in die Haustür und die Treppe hinauf nach.

Wagen auf Wagen kamen jetzt an, fuhren rasselnd vor, und die zierlichsten Gestalten im sommerlichen Putz hüpften den Tritt hinab und in das Tor des Gasthofs hinein. Die reichlich gestreuten Blumen entlockten fast jedem schönen Munde ein dankendes Wort. Endlich sah man das letzte zierliche Füßchen über den Wagentritt hüpfen und im muntern Schritt die Treppe hinaufeilen. Oben im Saale und den anstoßenden Gemächern war Erlhofen, unterstützt vom Rittmeister, Heilborn und den übrigen Dirigenten des Festes, aufs tätigste bemüht, Sessel für die Damen zu stellen, ihnen behilflich zu sein, ihre Schals, Hüte, Mäntel, Sonnenschirme, Strickbeutel und alle jene tausend Kleinigkeiten, welche die artigen Ornamente der Frauenzimmer bilden, unterzubringen. Als einigermaßen die anfangs herrschende Verwirrung gelöst und die Ordnung zurückgekehrt war, entstand die Frage, was man nun beginnen solle. Erlhofen zeigte nicht übel Lust, wiederum die Rednerbühne zu besteigen und einen ciceronianischen Vortrag, wenn auch nicht de officiis oder de amicitia, so doch wenigstens de deliciis zu halten. Allein der Rittmeister fiel ihm ins Wort und sprach: »Ein Staat muß regiert werden und in entscheidenden Momenten braucht selbst die Republik einen Diktator. Wollen wir über alles ratschlagen und abstimmen, so möchte darüber so viel Zeit vergehen, daß, wenn wir von tausend Entschlüssen den besten gefaßt hätten, es uns an nichts mehr fehlen würde als an der Zeit, ihn auszuführen. Ich schlage daher vor, daß wir einen König und eine Königin erwählen, denen wir heute gehorchen wollen; diese mögen dann, wenn es nötig ist, ihre Minister ernennen, kurz die ganze Verwaltung des Staates auf sich nehmen.«

Der Vorschlag ward mit lautem einstimmigen Beifall angenommen, und man schritt sogleich zur Wahl des Monarchen, dessen Ernennung vorzugsweise den Damen übertragen wurde. Erlhofen ward einstimmig gewählt, und man überließ es ihm, eine Königin an seine Seite auf den Thron zu erheben. Der Gekrönte trat mit stolzer Miene in den Kreis, er warf gnädige, aber doch zugleich forschende Blicke ringsumher auf die schönere Hälfte seiner Untertanen. Dann näherte er sich mit feierlichen Schritten der Gräfin Micielska, ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder und sprach: »Die mir das Schicksal zugeführt, sei meine Beherrscherin; sie teile den schönsten Thron Europas, denn er ist der sorgenfreieste, mit mir.« Die Gräfin reichte ihm lächelnd die Hand, stand auf, hob ihn empor und sprach mit Anmut: »Ich werde herrschen, aber wie es der Frau geziemt, durch Überredung, und gehorsam den Bestimmungen meines königlichen Gebieters.« Ein lauter Beifall begrüßte das neue Königspaar. Dieses schritt sofort zu seinen nächsten Pflichten, indem es ein Ministerium ernannte: »Die Justiz,« sprach Erlhofen, »behalten wir uns selber vor: Einen Kriegsminister werden wir hoffentlich nicht nötig haben, das Finanzwesen kommt erst auf den Abend zur Sprache; beim Licht besehen bedürfen wir nur eines Hausministers und eines der öffentlichen Vergnügungen. Da dessen Funktionen aber sehr verwickelt sein dürften, und es uns auf Gehalt nicht ankommt, da wir keines zahlen, so besetzen wir diese Stelle zwei-, drei-, vierfach, indem wir alle Festordner zugleich dazu ernennen und es uns vorbehalten, ihnen ihre speziellen Befehle zu erteilen.«

Man war mit dieser Anordnung des neuerwählten Monarchen vollkommen zufrieden und schien überhaupt geneigt, sich dem Herrscherpaar im Gehorsam zu fügen. Der erste Befehl lautete, man solle einen Spaziergang auf den Marienberg antreten, welcher, dicht bei der Stadt gelegen, einen reizenden Blick über das Elbtal gewährt und nicht schwer zu ersteigen ist. Dabei wollte man dann das Weitere besprechen. Paarweise machte man sich auf und trat den Weg an. Es war ein heiterer Zug, der sich leicht und munter, anfangs durch die Gassen des Städtchens zwischen den gaffenden Einwohnern hindurch und dann über den Rasen unter schattigen Bäumen dahinbewegte. Tücher, Bänder und Gewänder flatterten im Luftzuge, die farbigen leichten Sonnenschirme schimmerten durch das Grün der Gebüsche. Den Krümmungen des Bergpfades folgend, fing man schon an, zwischen den Weinmauern und Gartenhecken, welche den Abhang lebendig durchschneiden, aufwärts zu steigen. Man sah die Reihen dreifach übereinander, in hin und wieder laufender Bewegung, bis sie höher hinauf in der Biegung des Pfades und dem Dunkel des mit Gebüschen gekrönten Gipfels verschwanden. Erlhofen schritt, mit der Gräfin am Arm, an der Spitze seines Volks; von Zeit zu Zeit stand er still, teils um ausruhen zu lassen, teils um auf die schönen Blicke, welche man in das Tal hatte, aufmerksam zu machen. Der Gipfel war bald erreicht; er gewährte, wenngleich nicht eine weite Aussicht, doch einen ungemein reizenden Überblick der nächsten Landschaft. In die Gassen des Städtchens sah man so hinein, als stände man auf einem Turme. »Wir können unsere Monarchie von hier oben deutlich übersehen,« sprach der Baron und deutete mit dem Finger auf den Gasthof am Markt, in dessen Fenster man hineinblicken konnte; »auch unsere Heeresmacht können wir zählen, die sich dort in Form einer Wagenburg im Schatten des Rathauses am Markt aufgestellt hat. Ich sehe aber nicht ein, weshalb ich nur unsere nächsten Besitztümer der Monarchie einverleiben will! Was heißt besitzen? Meiner Meinung nach besitzt man alles das, was man genießt, wenigstens solange man es genießt. Dadurch erweitern sich die Grenzen unsers Gebiets bis ins Unermeßliche; das Elbtal, dessen schöner Anblick uns heute erfreuen soll, gehört uns nun ganz unbestreitbar, und was man wider unsere Herrschaft über die Sonne, die uns heute die Luft mild erwärmen muß, und über den Mond, dem ich's besonders aufgetragen habe, uns nach Hause zu leuchten, einwenden will, kann ich mir kaum vorstellen.«

»Die schönere Hälfte unsers Besitztums,« erwiderte die Gräfin, indem sie sich freundlich umsah, »scheint mir der lebendige Teil unserer Herrschaft zu sein; ich werde mich als eine wahre Landesmutter am meisten in dem Wohlsein meines Volks glücklich fühlen.« – »Wahrlich!« rief Erlhofen, »ihr habt recht, Majestät! Wenn ich hier unsere Untertanen betrachte, so möchte ich fast behaupten, kein Monarch in Europa beherrsche eine so gebildete, reiche und so folgsame Bevölkerung. Denn wir haben in unserm Staate zwar Mangel an den notwendigsten Einrichtungen, allein aus sehr guten Gründen. Es fehlt uns an Polizei, weil wir keine Vagabunden haben, oder vielleicht alle zusammen welche sind; von einem Gerichtshof wissen wir nichts, aus Mangel an Verbrechen, und ein Advokat könnte unter uns nicht leben, weil, solange unser Thron steht, noch kein Prozeß geführt ist. Armenanstalten fehlen, weil kein Bettler sich zeigen will als höchstens einer um einen Kuß; und da, hoffen wir, wird man sich im Notfall wohltätig zeigen.«

»Nicht zu voreilig, lieber Monarch,« erwiderte die Gräfin lächelnd, »nicht gar zu früh laßt uns über den guten Zustand unsers Reiches frohlocken. Wer weiß, ob nicht bald Zwiespalt und Aufruhr in demselben ausbricht; wenigstens dürfte Ihre letzte Annahme einen Gerichtshof nötig machen, einen Liebesgerichtshof, versteht sich.« – »Da führen wir selbst den Vorsitz, Königin,« rief der Baron lebhaft, »und ich wollte nur, daß schon ein klagbares Liebespaar vor uns stände.«

Unter diesen Gesprächen hatte man sich einen anmutigen Punkt ausgesucht, der auf weichem Moose unter schattiger Umbüschung einen einladenden Ruheplatz darbot. Der König gab das Gesetz, daß man sich in bunter Reihe lagern solle; die gehorsamen Untertanen vollzogen den Befehl willig. »Ich denke,« erhob der Monarch die Stimme, »wir richten uns mit unsern Vergnügungen teils nach unsern Kräften, teils nach den Winken, welche die Natur uns selbst gibt. In diesen stillen Vormittagsstunden, wo die Sonne höher und höher steigt, die Wärme mit jedem Augenblick zunimmt, muß man ruhend das Schöne genießen. Erst der Nachmittag, wo mit jeder Minute uns ein kühlerer Hauch der Lüfte trifft, eignet sich zu körperlichen Vergnügungen. Jetzt werden uns Gespräch und Scherz am besten tun; denn wir behalten dabei Muße, auf das angenehme Summen und Weben der Insekten zu horchen, den Blick aufwärts in die Laubwipfel zu richten, wie sie, kaum bewegt durch die milden Lüfte, anmutig still unter sich flüstern und Sonnenstrahl und Himmelsblau durch ihr freundliches Gitter äugeln lassen. Ein ganz leicht bewegliches Spiel ließe ich mir allenfalls gefallen, nur keines jener heftigen, wobei man sich ganz außer Atem laufen muß, welches sich überhaupt für eine Majestät nicht sonderlich schicken würde.« Man war seiner Meinung, und die Gräfin brachte, von den Damen zu einem Vorschlag aufgefordert, ein Pfänderspiel in Gang. Dies gab zu allerlei Scherzen Anlaß, denn der König gestattete nicht nur, sondern gebot sogar manche kühne Freiheit bei der Auslösung. Nachdem diese vollbracht war, wurde ein allgemeiner Aufbruch befohlen, um einen neuen Ansiedlungspunkt aufzusuchen, weil die Sonne anfing empfindlich zu stechen, indem das zarte Laubgitter ihre Strahlen nicht mehr recht abhalten wollte. Der Monarch sandte seine Minister als Boten nach verschiedenen Gegenden aus, um einen angenehmen Aufenthaltsort zu erkunden. Nach einigen Minuten kehrte der Rittmeister zurück und behauptete, einen Platz ausfindig gemacht zu haben, der alle Eigenschaften eines angenehmen Ruhesitzes vereinige. Man folgte ihm, und er führte die Gesellschaft auf dem Kamm des Berges talabwärts entlang; dann schlug er einen Fußsteig ein, der sich ein wenig gegen den Abhang hinunterzog und bald im dunklern Wald verlor, wo hohe Buchen den kühlsten Schatten gaben. Hier rieselte aus einer Felsspalte ein klarer Quell hervor, der sich in einem durch ihn selbst gehöhlten Becken sammelte und dann, sanft den Rand desselben überfließend, munter ins Tal hinabhüpfte. Der Abhang des Berges bildete die bequemsten Sitze; die moosbedeckten Wurzeln einer alten Buche gewährten einen etwas erhöhten Platz, der sich trefflich zum Thron für das Königspaar eignete. Zugleich war man, trotz der dunkeln Waldkühle, dennoch nicht ohne eine schöne Aussicht, denn eine hohe Bogenöffnung der Baumgewölbe verstattete einen Blick auf den Elbspiegel, über den sich gerade im Mittelpunkte des durch die Zweige begrenzten Raums das Schloß Schreckenstein auf seinem schwarzen Felsen erhob. Außerdem konnte man auch gerade vor sich hinab ins Tal sehen, wo die Wellen des Stroms silbern zwischen dem spielenden Laub heraufglänzten. Der Platz überraschte so durch seine Schönheit, daß er mit einem allgemeinen Ausruf der Freude begrüßt wurde. Der Monarch nahm auf dem weichen Thronsitze Platz, die Königin setzte sich an seine Seite, die übrigen lagerten sich im Halbkreise amphitheatralisch den Bergeshang abwärts Paar und Paar auf dem Rasen. »Hier ist es selbst zum Spiel zu schön,« begann die Königin; »der Ort ist fast zu heilig, um durch leichten Scherz entweiht zu werden. Gar anmutig aber würde man hier einem Erzähler oder Sänger lauschen, der uns Kunde von den romantischen Wundern dieses Tales gäbe. Hat niemand unter unsern Untertanen den Alten dieses Felsens gesprochen. Erschien keinem der Berggeist oder die liebliche Nymphe dieses Stroms? Hat sie keinen unserer Ritter, der sich auf der Jagd verirrte, im geheimnisvollen Dunkel des Waldes angeredet, dem Durstenden einen erquickenden Becher gereicht, dem Ermüdeten den Helm gelöst und ihn eingeladen, das Haupt sanft in ihrem Schoße zu ruhen? Und hat sie ihm dann nicht erzählt von ihren Schlössern im tiefen Bau der Felsen oder unter der kühlen silbernen Hülle der Wasser? Hat sie ihm nicht süße Lieder gesungen, vom Rauschen der Wellen und Bäume begleitet, um ihn einzuwiegen in sanften Schlummer? Führte sie keinen in ihre Paläste ein und ließ ihn dem Tanz der Nymphen, ihrer Geschwister, zuschauen? Oder ist vielleicht ein Glücklicher unter uns, den sie gar schmeichelnd nach sich zog in die geheimnisvolle Grotte, um in trauter Einsamkeit mit ihm zu kosen? Ach, ich fürchte, die schöne Zeit der Wunder ist vorbei, und kaum daß uns noch der Dichter Kunde gibt von jenen goldenen Tagen, wo Götter sich zu den Sterblichen gesellten! Wäre aber jemand hier, der es selbst erfahren hätte, daß die alten holden Träume nicht verklungen sind, daß die gütigen Wesen, von denen unsere Urväter wußten, noch umherwandeln, wenngleich tief in die Einsamkeit gescheucht durch das unheilige Geräusch und Getöse der Welt: er trete auf und erzähle uns, was er erlebte.« Es blieb alles still, doch lächelte man vergnügt über die anmutige Weise, mit der die Gräfin zum Erzählen einer Sage oder eines Märchens aufgefordert hatte. Endlich erhob sich ein junger Mann, der kaum zwanzig Jahre zählen mochte, aber durch sein sanftes, bescheidenes, fast jungfräulich zu nennendes Wesen, sowie durch seinen schönen blonden Lockenkopf und die zarte Röte und Rundung seiner Wangen bereits allen aufgefallen war, und sprach: »Ich bin vielleicht der Jüngste in dieser Gesellschaft und darf nicht Anspruch machen, durch meinen Vortrag etwas zu gelten; doch ich bin in diesen Bergen auferzogen und kenne so manche schöne Sage, mit der man sich hier im Volke trägt. Wenn ich –«

»O erzählen Sie geschwind, erzählen Sie«, riefen viele Stimmen und unterbrachen so den Eingang, den er blöde und errötend gesprochen hatte. Die Gräfin aber stand auf und sprach: »Das ist schön, daß Sie Ihrer Monarchin so gehorsam sind; allein der Erzähler muß einen Platz haben, wo alle ihn sehen und hören können. Setzen Sie sich daher auf meinen Thron, solange die Erzählung dauert.«

Die Gräfin hatte ihre Worte noch nicht vollenden können, als auch schon Erlhofen aufsprang und rief: »Das verhüte der Himmel, daß ich meine Königin ihres Thrones beraubt sehen sollte. Aber der Dichter und der Sänger ist der wahre König, denn er beherrscht die Herzen, und zumal der Frauen. Er nehme daher meinen Thron ein und sitze zur Seite der Königin, deren holde Nähe ihn begeistern möge.«

Alles rief diesem Entschlusse Beifall, und der Jüngling, Benno war sein Name, nahm mit einer Befangenheit und Scham, die seinem jugendlichen Antlitz ungemein reizend stand, an der Seite der Gräfin Platz. Nach einigem Besinnen erzählte er ein von ihm selbst auf eine der Gebirgssagen gedichtetes Märchen. Es enthielt die Geschichte eines von den Bewohnern der Berge und Ströme begünstigten Jünglings, der die Liebe einer Jungfrau, welche in den Tiefen des Gebirgssees wohnt, gewinnt und ihr ewige Treue schwört. Doch er muß strenge Prüfungen bestehen; heimliche Kräfte und Mächte umgeben ihn überall. Zwar verwahrt ihn die Geliebte mit geheimnisvollen, wunderkräftigen Geschenken gegen die zauberischen Wirkungen; doch er wird verblendet, wird untreu, und plötzlich sieht er sich von allen Bildern seiner Täuschung verlassen und in tiefstes Elend gestürzt. Voll Verzweiflung endet er sein Leben, indem er sich in den See stürzt, auf dessen Grunde der kristallene Palast seiner Geliebten verborgen ist. Seit jener Zeit haben sich die blauen Wogen desselben getrübt und verfinstert, und selbst der lichteste Himmel erblickt sich in der Tiefe des Gewässers nur in einem schwarzen Spiegel.


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