Cicero
Vom Redner
Cicero

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XXXV. 140. Ich bin nicht der Ansicht. Denn ich sehe, daß es für alle Wissenschaften, die eines Gelehrten und eines Mannes würdig waren, der sich im Staatsdienste auszeichnen wollte, nur Eine Unterweisung gab, und daß diejenigen, welche diese empfingen, wenn sie zugleich gute Fähigkeiten zum Vortrage besaßen und sich der Redekunst auch nicht mit Widerstreben der natürlichen Anlagen gewidmet hatten, sich durch Beredsamkeit auszeichneten. 141. So geschah es, daß Aristoteles selbst, welcher in seinen Vorträgen die gerichtlichen und bürgerlichen Verhandlungen unberücksichtigt gelassen und nur die gehaltlose Zierlichkeit des Ausdrucks behandelt hatteEllendt hält die Worte: quod ipse suas disputationes a causis forensibus et civilibus ad inanem sermonis elegantiam transtulisset für unächt., da er den Isokrates wegen seiner berühmten Schüler das höchste Ansehen genießen sah, plötzlich fast seine ganze Lehrweise änderte, indem er einen Vers des PhiloktetesEuripides in dem verlorenen Trauerspiele »Philoktetes«: αισχρὸν σιωπα̃ν, βαρβάρους δ'εα̃ν λέγειν. mit einer kleinen Veränderung anführte. Dieser sagt nämlich, »es sei schimpflich für ihn zu schweigen, wenn er Barbaren,« er aber: »wenn er den Isokrates reden lasse.« Er schmückte und stattete daher seinen ganzen Unterricht dadurch herrlich aus, daß er Sachkenntniß mit Redeübung verband. Dieß entging dem weisen Könige Philippus nicht, der ihn zum Lehrer für seinen Sohn Alexander berief, damit dieser von ihm Regeln für das Leben sowol als für die Rede lernen möchte. 142. Mag man nun, wenn man will, den Philosophen, der uns den Reichtum der Sachen und der Rede lehrt, meinetwegen einen Redner oder, zieht man es vor, den Redner, der, wie ich sage, Weisheit und Beredsamkeit verbindet, einen Philosophen nennen: so habe ich Nichts dagegen; nur muß das feststehen, daß weder die Unmündigkeit dessen, der zwar Sachkenntnisse besitzt, die Sachen aber durch die Rede nicht zu entwickeln vermag, noch die Unwissenheit dessen, dem zwar die Worte nicht fehlen, die Sachkenntniß aber nicht zu Gebote steht, Lob verdiene. Darf man aber nur Eines von Beiden wählen, so möchte ich wenigstens die unberedte Klugheit der geschwätzigen Thorheit vorziehen; fragen wir aber, was den Vorrang vor Allem verdiene so müssen wir dem kenntnißreichen Redner den Siegespreis reichen. 143. Läßt man diesen nun zugleich Philosoph sein, so ist der Streit aufgehoben; trennt man sie aber von einander, so werden die Philosophen nachstehen, weil der vollkommene Redner auch die ganze Wissenschaft dieser besitzt, in der Kenntniß der Philosophen hingegen nicht nothwendig auch die Beredsamkeit mitbegriffen ist, und wie sehr auch diese von den Philosophen verachtet werden mag, so muß man doch nothwendig einsehen, daß sie den Wissenschaften dieser gleichsam die Krone aufsetzt.

Nachdem Crassus dieses gesagt hatte, so schwieg er eine Weile, sowie auch die Anderen still schwiegen.


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