Cicero
Vom Redner
Cicero

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X. 39. Wie? Die alten Gesetze und die Sitte der Vorfahren; wie? die Vogelschau, der ich und duScävola und Crassus waren beide Auguren., Crassus, zur großen Wohlfahrt des Staates vorstehen; wie? der Gottesdienst und die heiligen Gebräuche; wie? unsere bürgerlichen Rechte, die schon lange in unserer Familie ohne allen Ruhm der Beredsamkeit heimisch sind: ist dieses Alles von den Rednern erfunden oder erkannt oder überhaupt behandelt? 40. Es ist mir noch erinnerlich, wie Servius GalbaServius Galba war 142 v. Chr. Consul. Ueber seine ausgezeichnete Beredtsamkeit s. Cicer. Brut. 22., ein unvergleichlicher Redner, und Marcus Aemilius PorcinaMarcus Aemilius Porcina war 135 v. Chr. Consul. Ueber seine Beredsamkeit s. Cicer. Brut. 25 und 27. und selbst Gajus CarboGajus Papirius Carbo erregte als Volkstribun (129 v. Chr.) durch seine Gesetze vielfache Unruhen im Volke. Als Consul aber (119) trat er auf die Partei der Vornehmen. Im Jahre 117 wurde er von Crassus, der damals 21 Jahre alt war, angeklagt, doch entzog er sich der gefürchteten Strafe durch freiwilligen Tod. Auch er war ein berühmter Redner. S. Cicer. Brut. 27, 103., den du in den ersten Jahren deiner Jugend niederschmettertest, unkundig der Gesetze, unsicher in den Einrichtungen der Vorfahren und unwissend im bürgerlichen Rechte war. Und unser Zeitalter ist, wenn ich dich ausnehme, Crassus, der du mehr aus eigener Neigung, als weil es der eigentliche Beruf des Redners erforderte, das bürgerliche Recht von mir gelernt hast, des Rechtes so unkundig, daß man sich zuweilen schämen muß. 41. Was aber den Punkt am Schlusse deiner Rede betrifft, wo du dir gleichsam mit deinem Rechte herausgenommen hast zu behaupten, der Redner könne sich in jeder Art von Vorträgen und wissenschaftlichen Erörterungen mit der größten Fülle bewegen; so würde ich dieß, wenn ich mich hier nicht auf deinem Gebiete befände, nicht ertragen und Vielen gerathen haben, sie möchten gegen dich gerichtlichen Einspruchinterdictum. Interdikte hießen vorläufige Befehle oder Einsprüche des Prätors, besonders in Beziehung auf streitigen Besitz. einlegen oder dich auffordern die Sache im Wege Rechtens auszumachente ex jure manum consertum vocarent, d. h. eigentlich: sie mochten dich rufen, um im Wege Rechtens die Hand zu legen, nämlich an den streitigen Gegenstand. Dieß war eine juristische Redensart, durch die der Gegner aufgefordert wurde an Ort und Stelle des streitigen Besitzes zu kommen und denselben gemeinschaftlich mit der Hand anzufassen und so über den rechtmäßigen Besitz zu streiten., weil du so ohne Weiteres in fremde Besitzungen eingedrungen seiest. 42. Es würden nämlich mit dir rechten zuerst alle PythagoreerSchüler des Pythagoras aus Samos, eines Schülers des Pherecydes (um 540 v. Chr.). und DemokritierAnhänger des Demokritus aus Abdera in Thracien, 450 v. Chr. geb., eines Schülers des Leucippus, des Gründers der Lehre von den Atomen, die von ihm weiter ausgebildet wurde., sowie auch die übrigen NaturphilosophenNaturphilosophen (φυσικοί) werden die alten Philosophen vor Sokrates genannt, weil sie den Anfang aller Dinge von der Natur (φύσει) ableiteten, wie vom Wasser, Feuer. ihren Besitz in Anspruch nehmen, Männer, die sich durch eine schöne und nachdrucksvolle Rede auszeichnen, und du dürftest dich mit diesen nicht in einen Rechtsstreit unter Berufung auf ein gerichtliches Unterpfand einlassenquibuscum tibi iusto sacramento contendere non liceret. Sacramentum heißt die Geldsumme, die von den beiden streitenden Parteien bei dem Prätor niedergelegt wurde, wenn über den rechtmäßigen Besitz einer Sache ein Rechtsstreit stattfand. Der gewinnenden Partei fiel diese niedergelegte Summe zu. Scävola sagt also, Crassus würde bei einem solchen Rechtsstreite die von ihm niedergelegte Summe verlieren.. Bedrängen würden dich außerdem die Schaaren der Philosophen, gleich von Sokrates an, ihrem Urheber und Stifter, und erweisen, daß du Nichts von den Gütern im Leben, Nichts von den Uebeln, Nichts von den Gemüthsbewegungen, Nichts von den Sitten der Menschen, Nichts von ihrer Lebensweise gelernt, Nichts überhaupt untersucht habest, Nichts wissest; und nach dem Gesammtangriffe Aller auf dich würden auch noch die einzelnen Schulen besonders einen Rechtsstreit gegen dich erheben. 43. Zusetzen würde dir die AkademieUnter der Akademie ist hier nicht die alte von Plato gegründete zu verstehen, sondern die neuere von Arcesilas (geb. 316 v. Chr.) gegründete, welche behauptete, Nichts sei gewiß, was man entweder mit den Sinnen oder mit dem Verstande auffasse; die Wahrheit lasse sich nicht ergründen, es könne daher nur von Wahrscheinlichkeit die Rede sein. und dich nöthigen zu bekennen, daß du das nicht wissest, was du gesagt habest. Unsere StoikerUnsere Stoiker, weil Scävola und sein Schwiegervater Lälius Schüler des Stoikers Panätius waren, der lange Zeit in Rom in dem Hause des jüngeren Scipio Africanus lebte. Der Gründer der Stoischen Philosophie war Zeno aus Citium in Cyprus (um 300 v. Chr.). Die Stoiker hatten besonders die Dialektik sehr fein ausgebildet und gefielen sich in spitzfindigen Untersuchungen. vollends würden dich in den Schlingen ihrer gelehrten Streitigkeiten und Fragen verstrickt halten. Die PeripatetikerDie Schule der Peripatetiker war von Aristoteles (um 330) gegründet, der im Lyceum zu Athen περιπατω̃ν, d. h. umherwandelnd, zu lehren pflegte. Nach dem Beispiele des Aristoteles beschäftigten sie sich angelegentlich mit der Redekunst. aber würden darthun, die Stützen der Rede und die Mittel zu ihrer Verschönerung, die du für ein Eigentum der Redner hältst, müßten von ihnen entlehnt werden, und zeigen, daß Aristoteles und TheophrastusTheophrastus aus Eresus auf Lesbus, ein Peripatetiker, Schüler des Plato und Aristoteles, um 300 v. Chr. nicht nur bessere, sondern auch mehr Vorschriften über diese Gegenstände niedergeschrieben hätten, als alle Lehrmeister der Beredsamkeit. 44. Ich übergehe die Mathematiker, Grammatiker und Musiker, mit deren Wissenschaften diese euere Redekunst auch nicht in der geringsten Gemeinschaft und Berührung steht. Deßhalb, meine ich, Crassus, darf man nicht so Großes und so Vieles verheißen. Groß genug ist das, was du leisten kannst, daß vor Gericht jedesmal die Sache, die du vertheidigst, besser und beifallswerther zu sein scheint, daß in den Volksversammlungen und bei den Abstimmungen dein Vortrag auf die Ueberzeugung der Menschen den größten Einfluß hat, endlich daß du den Einsichtsvollen beredt, den Unverständigen auch wahr zu reden scheinst. Leistest du noch mehr, so leistet dieses, wie ich glaube, nicht der Redner, sondern Crassus durch seine eigene und nicht durch die den Rednern gemeinsame Geschicklichkeit.


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