Cicero
Vom Redner
Cicero

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Zweites Buch.

I. 1. Zur Zeit unseres Knabenalters, mein Bruder Quintus, herrschte, wenn du dich erinnerst, die Ansicht, Gajus Crassus habe sich nicht mehr gelehrte Bildung angeeignet, als er in jenem ersten Jugendunterrichte erlernen konnte, Marcus Antonius aber sei überhaupt in aller Gelehrsamkeit unerfahren und unkundig gewesen; und Viele, obwol sie diese Ansicht nicht theilten, waren doch geneigt das Erwähnte an jenen Rednern zu rühmen, um uns, die wir von Liebe zur Beredsamkeit brannten, desto leichter von der Gelehrsamkeit abzuschrecken. Denn wenn Männer auch ohne gelehrte Bildung die höchste Staatsklugheit und eine außerordentlich große Beredsamkeit erreicht hätten, so folge daraus, daß unsere ganze Anstrengung eitel und die Bemühung unseres braven und einsichtsvollen VatersMarcus Tullius Cicero, ein gebildeter Mann, lebte auf seinem Arpinatischen Landgute, eifrig beschäftigt mit der Erziehung und wissenschaftlichen Bildung seiner Kinder. für unsere gelehrte Bildung thöricht erscheinen müsse. 2. Diese Ansichten pflegten wir damals als Knaben durch Zeugnisse aus unserer eigenen Familie zu widerlegen, indem wir uns auf unseren Vater, auf Gajus AculeoGajus Aculeo, ein Römischer Ritter, hatte Helvia, die Schwester der Mutter Cicero's zur Frau. Er war ein guter Jurist und Freund des Crassus., unseren Verwandten, und auf Lucius CiceroLucius Cicero, Bruder des unter 1. erwähnten Marcus Tullius Cicero, war 103 v. Chr. als Legat mit dem Proconsul Antonius nach Cilicien gegangen. S. I. 18, 82., unseren Oheim, beriefen. Denn von Crassus hatten uns oft unser Vater und Aculeo, mit welchem unsere Base verheiratet war, und welchen Crassus unter Allen am Meisten achtete, Vieles erzählt, sowie unser Oheim, der mit Antonius nach Cilicien gegangen und zugleich mit ihm wieder zurückgekehrt war, von dessen wissenschaftlichem Eifer und Gelehrsamkeit. Und da wir mit unseren Vettern, den Söhnen des Aculeo, die von Crassus vorgeschlagenen Lehrgegenstände lernten und von den Lehren, die dieser selbst benutzte, unterrichtet wurden; so konnten wir auch oft, wenn wir in seinem HauseNach der scharfsinnigen Muthmaßung von Guilielmus: quom essemus domi statt quom essemus ejus modi. Aculeo wohnte in dem Hause des Crassus (s. I. 43, 191), und daselbst erhielten also Cicero und sein Bruder mit den Söhnen des Aculeo ihren Unterricht, den Crassus leitete und dem er ohne Zweifel oft beiwohnte. waren, einsehen, was wir selbst als Knaben beurtheilen konnten, daß er Griechisch mit solcher Gewandtheit sprach, als ob er keine andere Sprache kenne, und daß er unseren Lehrern solche Fragen vorlegte und solche Gegenstände selbst in seiner ganzen Unterredung behandelte, daß ihm Nichts neu, Nichts unbekannt zu sein schien. 3. Von Antonius aber hatte uns zwar oft unser so liebevoller Oheim erzählt, wie eifrig er sich zu Athen und Rhodus den Unterredungen der gelehrtesten Männer gewidmet habe; gleichwol richtete auch ich, als junger Mensch, so weit es die Blödigkeit meines jugendlichen Alters zuließ, oft manche Fragen an ihn. Es wird dir in der That das, was ich schreibe, nicht neu sein; denn schon damals sagte ich dir, daß mir dieser Mann nach den vielen und mannigfaltigen Unterhaltungen mit ihm in keiner Sache, die wenigstens in dem Bereiche der Wissenschaften, über welche mir ein Urtheil zustehe, liege, unerfahren und unwissend erschienen sei. 4. Aber es lag in dem Wesen beider Männer etwas Eigentümliches: Crassus wollte sich das Ansehen geben, nicht als habe er keine gelehrte Studien gemacht, sondern daß er sie verachte und die Einsicht unserer Landsleute in jeder Beziehung der der Griechen vorziehe; Antonius aber meinte, seine Rede würde sich bei einem Volke, wie das unsrige ist, eines größeren Beifalles zu erfreuen haben, wenn man von ihm die Ansicht habe, daß er überhaupt nie gelehrte Studien gemacht habe. Und so meinten Beide, sie würden mehr Gewicht haben, der Eine, wenn er die Griechen zu verachten, der Andere, wenn er sie nicht einmal zu kennen schiene. 5. Doch was sie für eine Absicht hierbei gehabt haben mögen, das zu beurtheilen eignet sich nicht eben für diese Zeit; wohl aber ist es der Aufgabe dieser unternommenen Schrift und dieser Zeit angemessen darzulegen, daß nie jemand ohne die wissenschaftliche Erlernung der Redekunst, ja sogar ohne die Kenntniß der gesammten Philosophie in der Beredsamkeit habe glänzen und hervorragen können.


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