Cicero
Vom Redner
Cicero

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LVI. 237. Wenn du dich aber über die Unverschämtheit derjenigen Sachwalter gewundert hastS. oben Kap. 38, §. 173 ff., welche, obwol sie das Kleine nicht wissen, sich zum Großen anheischig machen oder die schwersten Rechtsfragen vor Gericht zu verhandeln sich erdreisten, obwol sie dieselben nicht verstehen und nie gelernt haben: so ist die Vertheidigung beider Erscheinungen leicht und liegt auf der Hand. Denn man darf sich nicht darüber wundern, wenn Einer, der nicht weiß, mit welcher Formel der Ehekaufcoëmptio, ein Heirathsvertrag, nach dem sich der Mann und die Frau gleichsam kauften. S. August Roßbach's Untersuchungen über die Römische Ehe, S. 65 ff. geschlossen wird, dennoch die Sache einer Frau, welche einen solchen Ehekauf geschlossen hat, vertheidigen kann, und wenn die Steuerkunst bei einem kleinen und großen Fahrzeuge die nämliche ist, so dürfte darum derjenige, der nicht weiß, welcher Formeln man sich bei Erbschaftsvertheilungen bedienen muß, gleichwol einen Rechtsstreit über eine Erbschaftsvertheilung führen können. 238. Denn was die wichtigsten, auf dem Rechte beruhenden Verhandlungen des Centumviralgerichtes, die du anführtestS. Kap. 38., anlangt; war wol irgend eine derselben von der Art, daß sie nicht von einem beredten, aber des Rechtes unkundigen Manne auf das Schönste hätte geführt werden können? In allen diesen Verhandlungen, sowie eben in der Sache des Manius CuriusS. zu Kap. 39. Anm. 185., die du neulich vertheidigt hast, und in dem Rechtsstreite des Gajus Hostilius MancinusS. zu Kap. 40. Anm. 187. und in der Angelegenheit des Knaben, der von der zweiten Frau geboren war ohne vorhergegangene Scheidung von der ersten, waltete in Betreff des Rechtes unter den erfahrensten Männern die größte Meinungsverschiedenheit ob. 239. Ich frage nun, was dein Redner bei diesen Verhandlungen die Rechtswissenschaft geholfen hätte, da nur derjenige Rechtsgelehrte den Sieg davon getragen haben würde, der sich nicht auf seine eigenen, sondern auf eine fremde Wissenschaft gestützt hätte, d. h. nicht auf die Rechtswissenschaft, sondern auf die Beredsamkeit. So habe ich oft folgenden Vorfall erzählen hören. Als Publius CrassusS. zu Kap. 37. §. 170. Anm. 171. sich um die Aedilität bewarb, und ihn Servius GalbaS. zu Kap. 53. §. 227. Anm. 229., der älter war und schon Consular, begleitete, weil er die Tochter des Crassus mit seinem Sohne Gajus verlobt hatte; so trat ein Bauer zum Crassus, um sich bei ihm Raths zu erholen. Jener führte den Crassus bei Seite und trug ihm seine Angelegenheit vor. Die Antwort, die er erhielt, war zwar richtig, aber seiner Sache nicht vorteilhaft. Als Galba ihn verstimmt sah, redete er ihn beim Namen an und fragte ihn, in welcher Angelegenheit er den Crassus zu Rathe gezogen habe. Als er es vernommen hatte und den Mann erschüttert sah, sagte er: Ich sehe, Crassus hat dir in der Zerstreuung und mit anderen Dingen beschäftigt geantwortet. 240. Hierauf nahm er den Crassus selbst bei der Hand und sagte: Hör' einmal, wie kam dir in den Sinn einen solchen Bescheid zu geben? Jener, als der rechtskundigste Mann, betheuerte ihm jetzt zuversichtlich, die Sache verhalte sich natürlich so, wie er geantwortet habe, und unterliege keinem Zweifel. Galba aber, der auf mancherlei Weise und in reichlicher Fülle seinen Witz gegen ihn spielen ließ, führte viele ähnliche Fälle an und sagte Vieles für die Billigkeit gegen das Recht. Da nun Crassus ihm an Gewandtheit der Rede nicht gewachsen war, (denn wiewol er zu den beredten Männern gerechnet wurde, so kam er doch dem Galba keineswegs gleich;) so nahm er seine Zuflucht zu Gewährsmännern und zeigte, daß seine Ansicht in seines Bruders Publius MuciusS. zu Kap. 37. Anm. 173. Büchern und in des Sextus AeliusS. zu Kap. 45. Anm. 201. Denkschrift schriftlich zu lesen sei, und doch gab er zu, daß des Galba Erörterung ihm beifallswerth und beinahe wahr dünkte.


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