Cicero
Vom Redner
Cicero

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XLVI. 201. ferner bedarf das keiner weitläufigen Auseinandersetzung, warum ich der Ansicht bin, daß auch die öffentlichen Rechte, die dem Staate und dem Reiche eigenthümlich sind, sowie auch die Denkmäler der Geschichte und die Beispiele des Altertums dem Redner bekannt sein müssen. Denn sowie bei den Verhandlungen von Privatangelegenheiten und vor Bericht die Rede oft aus dem bürgerlichen Rechte geschöpft werden muß, und deshalb, wie ich zuvor bemerkte, dem Redner die Kenntniß des bürgerlichen Rechtes nothwendig ist; so muß in den öffentlichen Verhandlungen vor Gericht, in den Volksversammlungen, im Senate die ganze neue und ältere Geschichte, die Aussprüche des Staatsrechtes, die Staatswissenschaft der Redner, die sich mit den öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, gleichsam als Redestoff zu Gebote stehen. 202. Denn nicht ist es ein alltäglicher Sachwalter und Schreier oder Rechtsschwätzer, den wir in unserem Gespräche aufsuchen, sondern ein Mann, der zuerst in der Kunst ein Meister ist, deren ErfindungNach der Muthmaßung Madvig's: cujus . . . tamen invenisse deus putatur statt der Lesart der Handschriften: cujus . . . tamen esse deus putatur. Der Gott, der hier gemeint ist, ist Mercurius., wenn auch die Natur dem Menschen dazu große Fähigkeiten verlieh, doch einem Gotte zugeschrieben wird, so daß selbst das, was Eigentum des Menschen war, nicht durch uns gewonnen, sondern durch göttliche Eingebung zu uns gebracht erschien; ein Mann, der zweitens nicht sowol durch den Heroldstab, als durch den Namen des Redners, mit dem er geschmückt ist, selbst unter den Schwertern der Feinde sich unverletzt bewegen kann; ein Mann, der ferner Tücke und Ränke des Missethäters durch die Rede dem Hasse der Bürger bloßstellen und durch Strafen zügeln, sowie auch durch den Schutz seines Geistes die Unschuld von der Strafe der Gerichte befreien und auch ein erschlaffendes und strauchelndes Volk entweder zum Ehrgefühl erwecken oder vom Irrthume abführen oder gegen Uebelthäter entflammen oder die gereizte Stimmung desselben gegen Gute besänftigen kann; ein Mann, der endlich jede Gemüthsstimmung, wie sie Zeit und Umstände erfordern, in den Menschen durch die Rede entweder hervorrufen oder stillen kann. 203. Wer nun meint, diese Kunst sei von denen, welche über die Redekunst geschrieben haben, entwickelt worden oder könne von mir in so kurzer Zeit entwickelt werden, der irrt sich sehr und begreift nicht meine Unkunde, ja kaum die Größe der Sachen. Ich glaubte, weil ihr es ja so wünschtet, euch die Quellen, aus denen ihr schöpfen könnt, und die Pfade selbst bezeichnen zu müssen, aber nicht so, um selbst euer Führer auf denselben zu sein, was unendlich schwierig und nicht nothwendig ist, sondern nur, um euch den Weg nach den Quellen zu weisen und, wie man zu thun pflegt, einen Fingerzeig zu geben.


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