Cicero
Vom Redner
Cicero

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXII. 126. Da rief Catulus aus: Unsterbliche Götter, welche Mannigfaltigkeit, welche Menge, welche Fülle von Sachen hast du, mein Crassus, in deinem Vortrage zusammengefaßt, und aus welch engem Gebiete hast du den Redner herauszuführen und in das Reich seiner Vorfahren wiedereinzusetzen gewagt! Denn jene alten Lehrer und Erfinder der Beredsamkeit haben, wie wir vernehmen, keine Art wissenschaftlicher Erörterungen als ihnen fremd angesehen und sich in jeder Redeweise geübt. 127. So kam einer von ihnen, HippiasHippias aus Elis und die darauf erwähnten Männer, Prodikus aus Ceos, Thrasymachus aus Chalcedon, einer Stadt Bithyniens, Protagoras aus Abdera, einer Stadt Thraciens, und Gorgias aus Leontini, einer Stadt Siciliens, waren berühmte Sophisten, welche Philosophen, Redner und Lehrer der Beredsamkeit zugleich sein wollten. Sie lebten alle zur Zeit des Sokrates. aus Elis, nach Olympia zu der berühmten Festlichkeit der fünfjährlichen Spiele und rühmte sich in Gegenwart von fast ganz Griechenland, es gebe in dem ganzen Bereiche aller Künste und Wissenschaften Nichts, was er nicht verstände, und zwar nicht bloß die, welche man unter den Namen der freien und edelen Wissenschaften begreift, Geometrie, Tonkunst, die Kenntniß der Literatur und der Dichter und was von der Natur, von den Sitten der Menschen, von dem Staatswesen gelehrt werde, sondern auch den Ring, den er habe, den Mantel, mit dem er bekleidet sei, die Schuhe, die er trage, habe er mit eigener Hand verfertigt. 128. Offenbar ging er zu weit, aber gerade hieraus läßt sich leicht abnehmen, wie viel jene Redner aus den edelsten Wissenschaften sich anzueignen strebten, da sie nicht einmal die niedrigen Künste verschmähten. Was soll ich von Prodikus aus Ceos sagen? was von Thrasymachus aus Chalcedon, von Protagoras aus Abdera? Von diesen hat jeder in jenen Zeiten sehr Viel auch über die Natur geredet und geschrieben. 129.  Selbst der Leontiner Gorgias, der von PlatoIn dem Gespräche, das Gorgias benannt ist. als Vertheidiger des Redners eingeführt wird, doch so, daß der Redner dem Philosophen unterliegt; aber entweder ist er niemals von Sokrates besiegt worden, indem jenes Gespräch des Plato nicht wirklich gehalten wurde, oder wenn er besiegt wurde, so war Sokrates natürlich beredter und im Vortrage geübter und, wie du sagst, ein reichhaltigerer und besserer Redner; – dieser Gorgias nun, wollte ich sagen, macht sich gerade in jener Platonischen Schrift anheischig über Alles, was Gegenstand eines Streites oder einer Untersuchung werde, auf das Ausführlichste zu reden, wie er denn auch der erste war, der in einer Versammlung die Anwesenden zur Bestimmung eines beliebigen Gegenstandes aufzufordern wagte, worüber sie einen Vortrag von ihm hören wollten, und diesem Manne erwies Griechenland eine solche Ehre, daß man ihm unter allen allein zu Delphi nicht eine vergoldete, sondern eine goldene Bildsäule setzte. 130. Die genannten Männer, sowie auch außerdem noch viele andere ausgezeichnete Lehrer der Beredsamkeit lebten alle zu Einer Zeit: woraus man ersehen kann, daß sich die Sache so verhält, wie du sagst, Crassus, und daß des Redners Name bei den Alten in Griechenland sowol durch eine umfassendere Fülle der Gelehrsamkeit als auch durch größeren Ruhm ausgezeichnet gewesen ist. 131. Um so zweifelhafter ist mir daher die Entscheidung, ob ich dich mehr loben oder die Griechen mehr tadeln soll, da du, in einer anderen Sprache und in anderen Sitten geboren, in einer höchst unruhigen Stadt theils durch fast unzählige Geschäfte für einzelne Bürger, theils durch die Verwaltung und Leitung der Weltherrschaft unseres Staates in Anspruch genommen, eine so große Menge von Sachkenntnissen umfaßt und diese in ihrem ganzen Umfange mit der Wissenschaft und Geschäftsthätigkeit eines Staatsmannes und Staatsredners vereinigt hast, während jene, in den Wissenschaften geboren und ihnen mit Begeisterung ergeben, durch die gemächliche Muße aber ganz erschlafft, nicht nur Nichts dazu erworben, ja nicht einmal das hinterlassene, ererbte Eigentum erhalten haben.


 << zurück weiter >>