Cicero
Vom Redner
Cicero

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XVIII. 65. Die Stoiker aber mißbillige ich keineswegs, aber doch lasse ich auch sie gehen und fürchte ihren Zorn nicht, weil sie gar nicht zürnen könnenWeil der Weise nach der Lehre der Stoiker frei von allen Leidenschaften ist., indeß weiß ich es ihnen Dank, daß sie allein unter Allen die Beredsamkeit für eine Tugend und Weisheit erklärt haben. Aber ZweierleiEllendt will die Stelle so lesen: sed utcunque est, est in his, quod u. s. w. für: Sed utrumque est in his, quod u. s. w. Allerdings bietet die Lesart der Handschriften eine große Schwierigkeit in dem folgenden vel; aber dennoch habe ich mich noch nicht von der Richtigkeit der Ellendt'schen Muthmaßung überzeugen können. haben sie, was sich mit dem Redner, den wir bilden wollen, durchaus nicht verträgt: erstens, daß sie Alle, die nicht weise sind, für Sklaven, Räuber, Feinde, Unsinnige erklären und gleichwol Niemanden als weise anerkennen wollenInsofern der Weise nach der Ansicht der Stoiker ein in jeder Einsicht vollkommener Mensch ist, und ein solcher in der Wirklichkeit nicht gefunden wird.. Es wäre aber sehr ungereimt, wenn man eine Volksversammlung oder den Senat oder irgend einen Verein von Menschen dem anvertrauen wollte, nach dessen Ansicht keiner der Anwesenden vernünftig, keiner ein Bürger, keiner frei sein kann. 66. Hierzu kommt zweitens, daß sie sich einer Ausdrucksweise bedienen, die vielleicht fein und gewiß scharfsinnig ist, aber für einen Redner zu mager, ungewöhnlich, den Ohren der großen Menge nicht zusagend, dunkel, kraftlos, nüchtern und überhauptDie Lesart der Handschriften ac tamen offenbar verdorben. Auch Ellendt hat die Worte ac tamen . . . possit als unächt in Klammern eingeschlossen. von der Art, daß sie bei dem Volke ganz unbrauchbar sein würde. Denn über die Güter und Uebel haben die Stoiker eine andere Ansicht als die übrigen Bürger oder vielmehr Völker; in einer anderen Bedeutung nehmen sie die Begriffe von Ehre und Schande, Belohnung und Strafe. Ob mit Recht oder Unrecht, gehört nicht zu unserer jetzigen Untersuchung; aber wollten wir ihre Lehren annehmen, so würden wir nie Etwas mit unserer Rede ausrichten können. 67. Uebrig sind noch die Peripatetiker und Akademiker; der Name der Akademiker jedoch gehört zwei Lehrgebäuden an. Denn SpeusippusSpeusippus, Plato's Nachfolger in der Akademie, stand derselben acht Jahre vor., Plato's Schwestersohn, und XenokratesUeber Xenokrates s. zu Kap. 17. Anm. 654., Plato's Schüler, sowie PolemoPolemo aus Athen, Nachfolger des Xenokrates in der Akademie. und KrantorKrantor aus Soli, einer Stadt Ciliciens., Schüler des Xenokrates, weichen in ihren Lehrsätzen durchaus nicht sehr von Aristoteles ab, der zu gleicher Zeit Plato' Schüler gewesen war; an der Fülle und Mannigfaltigkeit ihres Vortrages waren sie vielleicht einander ungleich. ArcesilasArcesilas aus Pitane, einer Aeolischen Stadt, Gründer der neueren Akademie (um 300 v. Chr.), ein Schüler des Polemo, ergriff zuerst aus Plato's mannigfaltigen Schriften und Sokratischen Gesprächen vorzüglich den Gedanken auf, daß sowol die sinnlichen als die geistigen Wahrnehmungen aller Gewißheit entbehrten, und in einem höchst anmuthigen Vortrage soll er alle Urtheile des Geistes und der Sinne verworfen und zuerst die Lehrart eingeführt haben, die jedoch ächt Sokratisch war, nicht seine eigene Ansicht darzulegen, sondern wider die Ansicht, die ein Anderer aufgestellt hatte, zu streiten. 68. Von hier ging die neuere Akademie hervor, in der ein Mann von unvergleichlicher Raschheit des Geistes und Fülle der Beredsamkeit auftrat, KarneadesUeber Karneades s. zu I. [11.] Anm. 117.. Viele seiner Zuhörer habe ich zu Athen kennen gelernt; als die sichersten Gewährsmänner aber für mein Urtheil über ihn kann ich meinen Schwiegervater Scävola anführen, der als Jüngling ihn zu Rom hörte, und meinen berühmten Freund, Quintus MetellusQuintus Cäcilius Metellus, der wegen seiner ausgezeichneten Thaten in dem Kriege gegen Jugurtha den Beinamen Numidicus erhielt. S. zu II. Kap. 40. Anm. 390., des Lucius Sohn, der mir erzählte, er habe als Jüngling jenen als schon hochbejahrten Greis viele Tage lang zu Athen gehört.


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