Cicero
Vom Redner
Cicero

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XIII. 55. Daß über diese Gegenstände Aristoteles und TheophrastusAristoteles (s. zu Kap. 11. Note 122.) hat eine Rhetorik geschrieben; Theophrastus (s. zu Kap. 10. Note 111.) hatte ein Buch περὶ λέξεως geschrieben, das aber nicht mehr vorhanden ist. geschrieben haben, gestehe ich zu. Aber sieh zu, Scävola, ob nicht dieses ganz meinem Gebiete angehört. Denn ich entlehne nicht von jenen, was der Redner mit jenen gemein hat; diese aber räumen ein, daß das, was sie über diese Gegenstände abhandeln, den Rednern angehöre. Daher benennen sie ihre übrigen Bücher mit dem Namen ihrer Wissenschaft, diese hingegen überschreiben und benennen sie rednerische. 56. Allerdings wenn in der Rede, wie es sehr oft der Fall ist, Veranlassungen eintreten jene Gemeinsätze über die unsterblichen Götter, über Frömmigkeit, über Eintracht, über Freundschaft, über das gemeinsame Recht der Bürger, der Menschen und Völker, über Billigkeit, über Besonnenheit, über Seelengröße, über jede Art der Tugend zu behandeln: so werden, glaub' ich, alle Gymnasien und alle Schulen der Philosophen laut erklären, dieses Alles sei ihr Eigentum, gar Nichts hiervon gehe den Redner an. 57. Wenn ich nun diesen auch zugeben will, daß sie diese Gegenstände in ihren Winkeln, um sich die Zeit zu vertreiben, erörtern; so werde ich doch das dem Redner zuertheilen und zuerkennen, daß, während jene diese Gegenstände in einer mageren und kraftlosen Sprache abhandeln, dieser die nämlichen mit aller Würde und Anmuth entwickelt. Dieß verhandelte ich damals zu Athen mit den Philosophen selbst. Denn dazu nöthigte mich unser Marcus MarcellusIst nicht weiter bekannt., der jetzt curulischer Aedil ist und unfehlbar, wenn er nicht jetzt die Spiele besorgte, unserer Unterredung hier beiwohnen würde; auch schon damals hatte er sich als angehender Jüngling diesen gelehrten Beschäftigungen mit bewunderungswürdigem Eifer ergeben. 58. Ferner in Betreff der Gesetzgebung, des Krieges und Friedens, der Bundesgenossen, der Staatsgefälle, der nach Verschiedenheit der Stände und Alter angeordneten Rechte der Bürger mögen die Griechen, wenn sie wollen, behaupten, Lykurgus oder Solon (wiewol diese wenigstens meines Erachtens unter die Zahl der Redner gerechnet werden müssen) hätten von diesen Gegenständen eine bessere Kenntniß gehabt, als Hyperides oder DemosthenesHyperides und Demosthenes waren die berühmtesten Redner der Athener zur Zeit des Philippus und Alexanders., Männer, die in der Beredsamkeit schon ganz vollkommen und fein ausgebildet sind; oder mögen die Unsrigen die DecemvirnDie Decemvirn faßten in den Jahren 452 bis 448 die zwölf Tafelgesetze ab. den Verfassern der zwölf Gesetztafeln, welche einsichtsvolle Männer sein mußten, in dieser Beziehung den Vorzug geben vor dem Servius GalbaS. zu Kap. 10. Note 99. und deinem Schwiegervater Gajus LäliusS. zu Kap. 9. Note 95., die sich bekanntlich durch Rednerruhm auszeichneten. 59. Denn ich will nicht leugnen, daß es gewisse Wissenschaften gibt, die das Eigentum derer sind, die der Erforschung und Behandlung derselben ihren ganzen Eifer zuwenden; aber ich behaupte, der erst ist ein vollendeter und vollkommener Redner, der über alle Gegenstände mit Fülle und Mannigfaltigkeit zu reden versteht.


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