Cicero
Vom Redner
Cicero

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LX. 254. Was ferner deine BehauptungS. Kap. 45. §. 199. betrifft, unser Alter werde durch die Kenntniß des bürgerlichen Rechtes vor Einsamkeit bewahrt; so kann dieß vielleicht auch durch großes Vermöge bewirkt werden; doch wir fragen jetzt nicht, was uns nützlich, sondern was dem Redner nothwendig ist. Gleichwol will ich hier noch einer Aeußerung des Roscius gedenken, des nämlichen Künstlers, von dem wir schon so Manches entlehnt haben, das mit der Kunst des Redners in naher Beziehung steht. Er pflegte nämlich zu sagen, je weiter er im Alter vorrücke, desto langsamer wolle er die Anweisen des Flötenspielers setzen und die Musik sanfter einrichten. Wenn nun dieser, obwol gebunden an ein bestimmtes Maß der Takte und Füße, dennoch zur Erleichterung für sein Alter auf ein Mittel bedacht ist; wie viel leichter können wir die Tonweisen nicht nur herabstimmen, sondern gänzlich umändern? 255. Es ist dir ja bekannt, Crassus, wie viele und mannigfaltige Arten des Vortrages es gibt, und ich möchte behaupten, daß du dieses zuerst gezeigt hast; denn schon lange redest du weit gelassener und sanfter, als es früher deine Gewohnheit war, und doch findet die jetzige Sanftheit deines würdevollen Vortrages nicht weniger Befall, als dein früheres Feuer und Heftigkeit. Auch hat es viele Redner gegeben, wie wir dieß von ScipioScipio Africanus, der Jüngere. und Lälius hören, die ihre gewöhnliche Redeweise nur ein Wenig steigernd Alles ausrichteten, nicht aber, wie Servius Galba, alle Kräfte ihrer Lunge und Stimme anstrengten. Wenn du aber dieses nicht thun kannst oder willst, so hegst du, ein so wackerer Mann und Bürger, die Besorgniß, dein Haus möge, wenn es von streitsüchtigen Menschen nicht mehr besucht werde, von den Andern verlassen werden? Ich meinerseits bin so weit von dieser Ansicht entfernt, daß ich in der Menge derer, die, um sich Raths zu erholen, Besuche machen, nicht nur keine Stütze des Alters suchen zu müssen glaube, sondern vielmehr der Einsamkeit, die du befürchtest, wie einem Hafen der Ruhe, entgegensehe. Denn die Ruhe von Geschäften ist meines Erachtens die schönste Erleichterung des Alters. 256. Die übrigen Kenntnisse, die allerdings der Beredsamkeit behülflich sind, ich meine die Geschichte, das Staatsrecht, die KundeNach einer Muthmaßung Ellendt's: antiquitatis notitiam. Die Handschriften bieten sämmtlich antiquitatis iter. des Alterthums, die Kenntniß einer Menge von Beispielen, werde ich, wenn es Noth thut, von meinem Freunde LonginusEinem gelehrten und besonders in der Altertumskunde bewanderten Manne. S. Cicer. pro Planc. c. 24., einem wackeren und mit diesen Kenntnissen reichlich ausgerüsteten Manne, entlehnen. Auch werde ich Nichts dagegen einwenden, wenn unsere jungen Männer, wozu du zuvorKap. 34, §. 159. auffordertest, Alles lesen, Alles hören und sich mit aller höheren Menschenbildung beschäftigen; aber wahrlich sie scheinen mir hierzu nicht so viel Zeit zu haben, wenn sie anders das thun und ausführen wollen, was du ihnen, Crassus, vorgeschrieben hast. Denn fast allzu harte Gesetze, glaub' ich, hast du der Jugend auferlegt, wenn sie auch zur Erreichung des erstrebten Zieles fast nothwendig sind. 257. Denn die Uebungen aus dem Stegreife über vorgelegte Fälle zu reden, die mit Sorgfalt und Nachdenken ausgearbeiteten Abhandlungen und der von dir so gerühmte Gebrauch des Schreibgriffels, den du den Vollender und besten Lehrmeister der Beredsamkeit nanntestKap. 33, §. 150., kosten viel Schweiß; und jene Vergleichung der eigenen Rede mit fremden Schriften und eine aus dem Stegreife vorgetragene Erörterung über ein fremdes Schriftwerk, das entweder gelobt oder getadelt, entweder begründet oder widerlegt werden soll, erfordert eine nicht geringe Anstrengung hinsichtlich des Gedächtnisses sowol als der Nachbildung.


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