Cicero
Vom Redner
Cicero

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XX. 74. Da sich die Sache so verhält, so muß ich eine kleine Bitte für mich an euch richten und euch ersuchen das, was ich sagen werde, nicht auf mich selbst zu beziehen, sondern auf den Redner. Denn wiewol mein Vater mich in meiner Jugend mit der größten Sorgfalt hat erziehen lassen, und ich auch einige Naturanlage, wie ich mir bewußt bin, die aber von euch wol zu hoch angeschlagen werden mag, auf den Markt mitbrachte; so kann ich doch nicht behaupten das, was ich jetzt umfasse, in dem Umfange erlernt zu haben, wie ich es in meinem Vortrage verlangen werde. Denn ungemein früh übernahm ich die Führung öffentlicher Verhandlungen, und einundzwanzig Jahre alt klagte ich einen höchst angesehenen und beredten MannDen Gajus Carbo. S. über ihn zu I. Kap. 10. Anm. 101. gerichtlich an. Meine Schule war das Forum, meine Lehrmeister die Erfahrung, die Gesetze und Einrichtungen des Römischen Volkes und die Sitte der Vorfahren. 75. So sehr mich auch nach den Wissenschaften, von denen ich rede, dürstete; so habe ich doch nur wenig davon gekostet, als ich Quästor in Asien war, wo ich in einem Manne etwa von meinen Jahren, einem Akademiker, einen Lehrer der Beredsamkeit fand, jenem Metrodorus, dessen Gedächtniß Antonius erwähnteS. II, 88, §. 360., und dann auf meiner Rückreise von Asien in Athen, wo ich mich länger aufgehalten haben würde, wenn ich nicht den Athenern gezürnt hätte, daß sie die MysterienDen Geheimdienst der Eleusinischen Ceres. nicht wiederholen wollten, zu denen ich um zwei Tage zu spät gekommen war. Wenn ich also so viel Kenntnisse und einen solchen Reichtum der Gelehrsamkeit in meinem Vortrage verlange, so spricht das nicht für mich, sondern vielmehr gegen mich – nicht von meinen Leistungen rede ich hier, sondern von denen des Redners – und gegen alle diejenigen, welche Regeln der Redekunst ertheilen: recht lächerliche Menschen; denn sie wissen nur von den Arten der Streitsachen, von den Eingängen und Erzählungen zu schreiben. 76. Das Gebiet der Beredsamkeit aber hat einen so großen Umfang, daß sie den Ursprung, das Wesen und die Veränderungen aller Dinge, der Tugenden, der Pflichten und der ganzen Natur, soweit dieselbe die Sitten, die Gemüthsarten und das Leben der Menschen angeht, umfaßt, sowie auch die Sitten, Gesetze und Rechte anordnet, den Staat lenkt, und Alles, worauf es sich auch beziehen mag, mit Geschmack und Fülle vorträgt. 77. In dieser Rücksicht leiste ich, so viel ich kann, so viel ich nach meinen Gaben, nach meiner mäßigen Gelehrsamkeit und meiner Erfahrung vermag; und doch glaube ich den Männern, die in der Philosophie ausschließlich den Wohnsitz ihres Lebens aufgeschlagen haben, wenn es auf einen gelehrten Streit ankäme, nicht eben sehr nachzustehen.


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