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Kleine Kunstgeschichten

 

Genie, Mitwelt und Nachwelt

Es gibt kein Geschöpf, das sonderbarer wäre, als das Genie. Da war eins, das konnte fliegen, leichter als eine Schwalbe, und es hob sich höher in die Luft als der Adler.

»Na ja, ein bißchen flattern kann es ja,« sagten die Menschen, »aber da oben ist es kalt, und man friert in Stücke. Gott sei Dank, daß wir auf der warmen Erde wandeln!«

Als es nun wieder herunterkam, waren sie doch etwas neugierig und sprachen: »Laßt uns einmal sehen, wie das Ding eigentlich beschaffen ist!« und sie betasteten es mit ihren Händen. Das ließ es sich nicht gefallen und stach.

»Au!« schrieen die Leute, »das hat einen Stachel, und giftig ist es auch. Das Untier muß ausgerottet werden wie die Schlangen.«

Und sie gerieten in große Aufregung, lasen Steine vom Wege auf, und das arme Genie ward totgeworfen. – – –

Aber die Sage von seinem Fluge ließ sich nicht unterdrücken; sie wirkte weiter wie mit Wunderkraft. Endlich kam auch der Tag der Sühne, ihm ward ein Denkmal gesetzt. Und da war ein großer Redner, der ließ sich so vernehmen: »Er ist ein Genie gewesen, der uns Wege zur Höhe gebahnt hat. Aber seine Zeitgenossen haben ihn nicht verstanden, haben ihn sogar gesteinigt. Wohl uns, daß wir in lichten Zeiten leben! Ich darf wohl sagen, wir hätten nicht so gehandelt!«

Der Narr! Käme wieder ein neuer Flieger, höbe er den ersten Stein.

Und dann hat er eins vergessen: Das Genie ist wie eine Biene; es sammelt zwar süßen Honig, aber es hat wirklich seinen Stachel.

 

Die Porzellaneier

Es ist noch nicht lange her, da lebte eine fromme Witwe, die hatte auf ihrem Hühnerhofe einen Hahn und eine ganze Reihe von Hennen. Darunter war ein treues, gutes Huhn, das legte mit löblichem Fleiß ein ganzes Nest voll Eier, und schickte sich dann an, sie auszubrüten. Aber der Sohn der Witwe war ein loser Schalk; als die Henne des Futters wegen vom Neste ging, nahm er ihr die echten Eier weg und legte Porzellaneier hinein. Die Henne war gerade so klug wie andere Hennen auch; als sie zurückkam, merkte sie nichts vom Austausch. Sie setzte sich auf das Gestein und brütete weiter, und wenn sie nicht gestorben ist, dann brütet sie heute noch.

Ein Künstler, der diese Geschichte hörte, lächelte bitter. »O, du falsches Schicksal,« rief er aus, »über wieviel Ideen hast du mich brüten lassen, und ich merkte es nicht, daß es nur – Porzellaneier waren!«

 

Die Opfer der Niederlage

Ein Dramatiker war mit seinem neuen Werke durchgefallen.

»Nun, wie ist Ihnen zumute?« fragten seine Bekannten mit sichtlicher Teilnahme.

»Wie einem Feldherrn, der eine Schlacht verloren hat,« erwiderte der Unglückliche mit schwachem Lächeln. »Doch das ist mein Trost: ein solcher Mann ist über Blut und Leichen geschritten; in diesem Strauß aber bin ich der einzige Blessierte.«

Ein zartfühlender Kritiker hörte das.

Er sagte: »Welch ein Irrtum, mein Teuerster, als heut' abend deine Schlacht zu Ende war, waren über tausend Menschen hin, ganz hin, so daß sich auch nicht eine einzige Hand mehr rühren konnte.«

 

Der Verkauf der Seele

Der Dichter Agathon wandelte tief in Sinnen versunken durch einen Hain. Da traf er Lais, die Hetäre.

»Siehe da,« sagte sie lächelnd, »der Meister, der an seiner neuen Tragödie schafft!«

»Störe mir meine Gedanken nicht,« antwortete jener grimmig, »ich will nichts mit dir zu schaffen haben; ich verachte dein Gewerbe.«

»Das solltest du nicht tun,« bemerkte Lais gleichmütig, »ich glaube, es steht kaum niedriger als dein eigenes.«

»Wie kannst du nur wagen, dich mit mir zu vergleichen!« rief Agathon. »Du weißt nichts von feiner, zarter Scham und enthüllst dich ohne Bedenken.«

»Ganz wie du!«

»Wenn man deine Schönheit genossen hat, sieht man über dich hinweg und kennt dich nicht mehr.«

»Ganz wie bei dir.«

Da ereiferte sich Agathon und schrie: »Ich lebe nicht davon, daß ich meinen Leib unter die Leute bringe!«

»Nein, aber deine Seele!« antwortete die andere, und damit ließ sie den verdutzten Dichter stehen. – –

An jenem Tage wollte dem großen Agathon kein einziger Vers mehr gelingen.

 

Patent und Einfall

Ueber einen tiefen Taleinschnitt sollte eine Brücke gelegt werden, und als man die Bewerbung ausschrieb, meldeten sich ihrer zweie, die sich vermaßen, das Ding zu bauen.

»Was für Papiere hast Du vorzuweisen?« fragte man den ersten.

»Ich kann gar nichts vorweisen,« erwiderte er. »Meine Papiere sind mir einmal verbrannt. Aber ich habe einen Einfall.«

»Weiter nichts?«

»Nein, weiter nichts.«

»Und was hast Du?« fragte man den zweiten.

»O, ich habe ganz ausgezeichnete Papiere,« entgegnete dieser stolz.

»Schön! Und hast Du auch einen Einfall?«

»Nicht nur einen! Ich beherrsche die Einfälle aller Meister, die vor mir gewesen sind. Seht her, dies mein Patent kann es mir bezeugen,« – und es war wirklich ein sehr gutes Zeugnis.

Schon wollte man diesem ausgezeichneten Manne die Brücke zu bauen geben; da war aber ein absonderlicher Pfiffikus, der sagte: »Ich schlage vor, doch noch eine Probe zu machen. Dieser soll sein Patent und jener seinen Einfall über die Kluft legen, da werden wir am besten sehen, wer bauen darf.«

So geschah es, und siehe, der Einfall reichte von dem einen Rande zum andern, aber das Patent war zu kurz.

*

 


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