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Die Macht des Purpurs

Ein König ging unter sein Volk. Er zog seinen Purpurmantel aus und steckte sich in eine graue Jacke, die war nicht mehr neu. Da begegneten ihm drei seltsame Dinge.

Zuerst kam ein Wagen daher, der war prächtig aufgeputzt; aber es saß niemand darin als ein Kutscher auf dem Bock und ein Diener daneben.

»Aus dem Wege!« schrie der Diener dem König zu.

»Warum soll ich aus dem Wege gehen?« sagte der König erzürnt. »Er ist ja breit genug, und hinter Euch sitzt niemand, vor dem ich Ehrfurcht haben müßte.«

»Habe Respekt, Du Bettelsack!« schrie da der Kutscher. »Dies ist der Wagen des Königs! Und wenn Du noch nicht ausweichen willst –«

Damit schwang er drohend seine Peitsche, und so mußte der König aus dem Wege gehen vor seinem eigenen Wagen.

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Der Mann in der grauen Jacke ging weiter. Da kam er an einem Fenster vorüber, und in dem Fenster war eine neue Büste des Königs aufgestellt, von einem berühmten Künstler geschaffen. Viele Leute standen davor, und sie sprachen – über die Nase des Königs.

»Nein, der Künstler hat seine Aufgabe nicht verstanden,« sprach ein Nörgler. »Und zudem hat er sich an der Wahrheit versündigt; denn die Nase des Königs schaut nicht geradeaus, sie ist von Natur etwas nach rechts gebogen.«

»Nein, nach links!« rief ein anderer Nörgler, »aber schief ist sie tatsächlich.«

Da konnte der Mann in der grauen Jacke nicht mehr an sich halten, und es fuhr ihm heraus:

»Ihr irrt Euch beide, der König hat eine Nase, die ist genau so wie meine Nase.«

Als das die Leute hörten, wurden viele von ihnen sehr empört. Unter ihnen war ein Mann, der trug das Gefühl in der Brust, daß er fähig sei, jeden Augenblick für Thron und Vaterland zu sterben; der sagte:

»Wie darfst Du wagen, so etwas auszusprechen! Unser König hat eine erhabene Nase, Du aber hast eine gemeine Nase.«

»So ist es!« schrieen ein paar andere, die noch hitziger waren. »Er hat die Majestät gelästert. Haut ihn!«

Sie wollten über ihn herfallen; aber andere setzten sich dagegen, und so gerieten sich die Nörgler und die Königsfreunde in die Haare. Doch der Mann in der grauen Jacke war klug; er machte sich klein, und es gelang ihm, unbemerkt aus dem Getümmel zu entkommen.

Der den Purpur ausgezogen hatte, ging weiter, und am Rande der Stadt traf er auf ein kleines Haus, das stand allein. Bei diesem Hause war ein Garten, und in dem Garten ein Mann, der prügelte seine Frau. Das konnte der König nicht mit ansehen; er griff dazwischen, riß dem Wüterich den Stock aus der Hand und fragte ihn in strengem Tone: »Warum schlägst Du Deine Frau?«

»Das geht Dich garnichts an!« schrie der Mann, »das ist meine Frau, und hier ist mein Garten. Marsch, hinaus!«

»Ob mich das etwas angeht,« rief der König, »das werde ich Dir zeigen!«

Und damit nahm er den Stock und walkte den Uebeltäter durch. Da meinte das Weib, es ginge ihrem Manne an den Kragen, und sie fing an zu schreien und rief um Hilfe. Das hörte zufällig ein Häscher, der tat dem Einhalt und fragte mit barscher Stimme: »Im Namen des Königs! Was geht hier vor?«

»Der Henker hol' Deinen König!« rief der Mann in der grauen Jacke ganz erbost, »ich schaffe hier Gerechtigkeit, und Du sollst mich nicht daran hindern.«

»Er hat sich in den Frieden unserer Ehe gedrängt,« sagte die Frau. »Nehmt ihn fest!«

»Das kümmert mich nicht,« sprach der Häscher, »aber er hat den Namen unseres Königs gelästert, das habe ich selber gehört. Er muß mit in den Käfig.«

Der König sperrte sich und wollte nicht; aber weil der andere ein Schwert besaß, und er nicht, brachte der Häscher ihn in das Gefängnis, rief den Aufseher und tat ihm kund, was der Mann begangen hatte. Der mochte denken, es sei jetzt des Spiels genug, und er zog einen Ring aus der Tasche, darin war ein leuchtender Stein, und er fragte den Aufseher: »Kennst Du den?«

Da sagte der Aufseher: »Von dem Ringe habe ich gehört. Was darin leuchtet, das ist der Stern der Nacht, und der Ring gehört dem König.«

»So ist es,« sagte der Mann in der grauen Jacke würdevoll, »und ich bin der König selbst.«

»Du wärst der König?« rief der Aufseher. »Ich kenne unseres Königs geheiligte Züge, Ein gemeiner Dieb bist Du! Her mit dem Ring!«

Da ward ihm der Ring genommen. Man hängte Ketten an seine Glieder, und er ward in ein finsteres Loch getan. Der Aufseher aber eilte mit dem Ring in den Palast und dachte sich großen Lohn zu verdienen. Da fand er den Obersten der Leibwache und erzählte, was geschehen war. Der suchte seinen Herrn, aber er fand ihn nicht. Nur den Purpur fand er, den er ausgezogen hatte, und wußte nicht, was er davon denken sollte. Er nahm den Mantel über den Arm und folgte dem Aufseher in das Gefängnis. Nun löste man den Mann in der grauen Jacke von seinen Ketten und führte ihn an das Licht.

»Ist das der König?« fragte der Aufseher den Obersten, und der antwortete:

»Nein, so sieht kein König aus!«

Nun ward es dem Gefangenen zu bunt. Er zog seine graue Jacke aus und warf sie von sich, und dann riß er dem Obersten den Purpur aus der Hand und legte ihn an.

Da stürzten alle wie vom Blitz getroffen auf die Kniee, und der Aufseher und der Häscher riefen: »Gnade, Gnade!« und hatten das Gefühl, als ob ihnen ein scharfes Messer durch den Nacken gezogen würde.

»Steht auf!« sagte der König in kurzem Ton. »Euern Kopf sollt Ihr behalten; aber von dem, was Ihr heute gehört und gesehen habt, wird kein Wort gesprochen!«

Dann ging er zurück in seinen Palast. Er hatte den Tag viel gelernt; aber die graue Jacke zog er doch nicht wieder an.

*


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