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Stumme Sklaven

Sklaven müssen sein.

Freilich war einmal eine Zeit, wo es noch keine gab. Damals war die Erde jünger, und die Sonne schien noch heißer. Alle Menschen waren gleich, aber nicht wie freie Ritter, die auf hohen Burgen thronen, sondern wie die Affen, die lebenslang auf den Bäumen herumklettern und an nichts anderes denken, als nach den Früchten zu greifen. Es gab weder Höhen noch Tiefen, es gab das nicht, was wir Kultur und Fortschritt nennen.

Da kam eines Tages den Starken und Klugen ein erleuchteter Gedanke: sie fügten die Dummen und Schwachen ins Joch, und diese mußten für sie das Feld ackern, sie mußten Lasten tragen und Häuser bauen; später schmiedete man sie sogar an die Ruderbänke, und sie mußten Schiffe durch die Wogen treiben. Die andern aber behielten den Kopf frei, um Gedanken zu denken, und die Hände, um vielfache Künste zu üben. Die Kultur begann.

Aber aus der Horde der Sklaven kam dumpfes Stöhnen und herzzerreißende Klage: »Höre uns, Vater im Himmel! Unser Schweiß muß die Erde düngen, unser Blut die Pflanzen begießen. Wir sind keine Menschen mehr.«

Da war unter den Klugen einer, dem ging solches Leid zu Herzen, und er sagte: »Wart, ich will euch helfen! Ich will Sklaven schaffen, die keine Menschen sind.«

Und der Mann spannte das Pferd vor Pflug und Wagen, und dem Esel, dem Kamel und dem Elefanten lud er schwere Lasten auf. So ging der Fortschritt weiter, und sein Gang wurde freier und leichter.

Aber der Arbeit ward immer mehr auf Erden, und die Klagen der Sklaven verstummten nicht. Ja, in diese Klagen mischte sich jetzt das Stöhnen der abgetriebenen Tiere, und allen weichen Menschen schnitt es ins Herz.

Und siehe, da war wieder ein weiser Mann, der sagte: »Menschen und Tiere leiden, wenn man sie drückt, und sie schreien; denn sie haben Gefühl und Sprache. Aber Sklaven muß es geben; darum will ich stumme Sklaven schaffen.«

Da leitete er das Wasser zum Sturz in die Tiefe, und stürzend mußte es schwere Räder bewegen, und die Räder mußten Steine drehen, und die Steine mahlten mehr Korn, als hundert Sklaven es vermochten. Und dem Schiffe gab er stolze Masten, die trugen große Segel, und die Segel fingen den Wind, der führte das Schiff rascher vorwärts, als es die Fäuste von zweihundert Menschen konnten. Da gingen die Rudersklaven nach Hause und wurden frei.

So dienten die stummen Sklaven dem Menschen, und mit rascheren Schritten eilte der Fortschritt durch alle die Länder. Aber noch immer ertönte die Klage der Bedrückten und Gefesselten. Da nahm der Mensch zwei neue Diener, die waren wilder und zorniger als alle die andern. Es war der Dampf, den die Feuerkohle aus dem Wasser weckt, und der Funke, der in der Gewitterwolke schläft. Aber als sie gebändigt waren, taten sie mehr Arbeit, als Millionen von Sklaven.

So schreitet der Fortschritt von Sieg zu Sieg, freier erhebt die Menschheit ihr Haupt. Aber horch! Ertönt nicht noch immer der Klageruf der Unterjochten und Ausgesogenen?

Wir brauchen Sklaven. Laßt uns gehen und neue stumme Sklaven suchen!

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