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Die Hühnereier

Man sollte das nicht für möglich halten, aber es gab doch einmal eine Zeit, da war der Esel der König der Tiere, und sie mußten es sich gefallen lassen; denn der Affe war Kanzler und der Ochse Kriegsminister, und das ganze Heer seiner Vettern stand bei ihm. Der Hahn diente als Oberkammerherr, und alle Schreiberposten im Lande waren mit Hühnern besetzt; denn der Esel liebte die Hühner, weil sie so schöne Eier legten, nicht zu groß und zu klein, richtige normale Hühnereier, die ganz unschuldig sind, weil immer nur zahme Küken herauskommen. Als nun der König sah, daß er groß und mächtig war, schien ihm, er sei auch ein Herr über die Geister, und er wollte, daß alle Leute in seinem Lande einen Glauben und eine Meinung haben sollten. Deshalb befahl er, alle Tiere, ob groß oder klein, hoch oder niedrig, vier- oder zweibeinig, sollten fortan Eier legen, einerlei Eier, und zwar Hühnereier. Darob ward das ganze Reich der Tiere aufgeregt; aber weil auf allen Wachen die Ochsen in doppelter Anzahl ihre drohenden Spieße aufpflanzten, mußte man den Mund halten und versuchen, ob man dem Gesetze nachkommen könnte. Nur einer hatte die Frechheit, seine Stimme dagegen zu erheben, das war der kleine Sperling. Darob ward er vor Gericht gestellt, und das entschied, der Spatz sei schuldig, die Majestät beleidigt zu haben. Dafür ward er totgetreten und mußte fortan den Mund halten.

Danach ward der König noch kühner, und er befahl seinen Untertanen, nach der Hauptstadt zum Reichstage zu kommen, um kundzutun, ob sie Hühnereier legen wollten oder nicht. Und sie kamen getreulich, der Löwe und der Hund, das Schaf und das Schwein, die Taube und die Gans, und auch der Adler kam geflogen. Der König saß auf einem Thron, der war aus lauter Hasenschädeln aufgerichtet, und trug einen Purpur, den hatten die vereinigten Schafe seines Reiches ihm geschenkt. Ein leises Murmeln auf dem weiten Platze; zur Rechten des Thrones stand der Ochse mit gesenktem Haupt, in den Augen einen blutigen Schimmer. Zur Linken aber prunkte der Affe mit einem großen Stern und hielt ein Pergament in der Hand und las alle Namen vor. Zuerst ward der Löwe aufgerufen; der trat langsam an die Stufen des Thrones, und der Affe fragte: »Seid Ihr gewillt, dem Allerhöchsten Befehle zu gehorsamen und fürder Hühnereier zu legen?«

Dem schnürte der Grimm die Kehle zusammen. Erst nach einer Weile stieß er heraus: »Ich will ein Stündlein Bedenkzeit haben.« Damit ging er an seinen Platz.

Der Hund aber rief: »Ob Hühnereier oder Enteneier, das gilt mir gleich! Der König, mein Herr, befiehlt; folglich lege ich Hühnereier.«

Als das die Ochsen hörten, brüllten sie Beifall, und der König nickte gnädig ob der löblichen Gesinnung und senkte huldvoll seine Ohren. Nun gab es kein Halten mehr, der Hase, die Ziege, der Wolf, die Hyäne, das Schwein und das Kamel, alle eiferten dem ruhmvollen Beispiel des Hundes nach und gaben zu Protokoll, sie wollten Hühnereier legen.

Der Fuchs verneigte sich am tiefsten vor dem Thron und sagte: »Majestät, es wird mir eine Freude sein, Euch doppelten Tribut zu zollen; ich habe zu Hause ganze Nester voll.«

Auch das Schaf beschwor, des Königs Willen zu tun; aber es hatte keine Ahnung davon, was es eigentlich versprach. Nun kam die Reihe an die Vögel, doch diese stimmten nur mit leisem Widerstreben zu; denn sie dachten daran, daß sie fliegen könnten.

Die Taube meinte: »Ich finde, es ist reichlich viel von mir verlangt; aber ich will nicht widerstreben und ehrlich versuchen, das zu leisten, was man von uns fordert,« jedoch die Gans war sehr gekränkt und schnatterte: »Hühnereier? Wa – wa – was ist das? Das sind ga – ga – gar keine Eier!«

Als aber der Ochse mit den Hörnern drohte, rief sie ganz erschrocken: »Ba – Ba – Barmherzigkeit! Ich will mich ja zusammennehmen und auf mein Inneres einen Druck ausüben, und es sollen ganz gewiß Hühnereier werden.«

»Nun wurde der Adler vorgerufen. »Schwöre auch du, daß du Hühnereier legen willst,« sagte der Affe.

Der Adler wartete lange Zeit mit der Antwort, und manch einem begann das Herz zu schlagen. Die Brust des mächtigen Vogels hob sich, er schüttelte seine Flügel, reckte seinen Hals empor, und seine Augen funkelten.

»Nein,« rief er mit lauter Stimme, »ich will nicht! Es ist gegen die Natur eines Adlers, Hühnereier zu legen!«

Er wandte sich verächtlich ab, entfaltete seine Flügel und hob sich empor, dahin, wohin niemand ihm folgen konnte, den himmelhohen Felsen entgegen, wo er zu Hause war, und sein Gefieder bekam in der Sonne einen eigenen Glanz. Der Esel erschrak bis ins Herz hinein; aber der Löwe donnerte: »Der Adler hat recht, es ist unter unserer Würde, Hühnereier zu legen.« Jäh sprang er zum Thron empor, packte den König und zerriß ihn; die Ochsen konnten es nicht hindern, denn sie waren eben Ochsen und begriffen erst lange nachher, was eigentlich geschehen war.

Von der Zeit an war der Löwe König der Tiere, und wenn er auch manche seiner Untertanen fraß, er verlangte doch nicht von allen, daß sie Hühnereier legen sollten.

*


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