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Der vergessene Dichter

Im Himmel pflegt's geruhig herzugehen; denn zufriedene Leut' machen kein Geschrei, ist deshalb auch nicht so viel Aufsicht nötig, wie in den Städten und Dörfern, wo die Menschen wohnen.

Nun könnte man meinen, des Himmels Schutzleute seien die Engel, aber nein, auch die gebraucht der Herrgott nur für die leidige Welt, wo so viel Tücke und böser Zufall herrschen. Da haben sie alle Hände voll zu tun, um zu verhüten und zu verhindern, schlüpft ihnen aber noch manches zwischen den zarten Fingern durch; denn sind der lieben Engel viel, der bösen Teufel sind mehr.

Also die Leut' im Himmel sind von selber fügsam und still; aber alle halbe Jahr schreitet der Herrgott durch die großen Säle und kleinen Stuben, um nach dem Rechten zu sehen, spricht hier ein Wort und spendet dort einen Blick, wie es großer Herren gute Sitte ist.

Einmal kam er in ein Kämmerlein, da saß ganz allein auf einer Bank im Winkel ein Mensch, der ließ den Kopf hangen, hob ihn auch nicht empor, als der Herrgott ihm leise seine Hand auf die Schulter legte.

»Na, das ist ja ganz was Rares,« sagte er, »eine betrübte Seele hab' ich hier lange nicht gesehen. Warum bist du denn eigentlich so traurig?«

»Ach, ich hab's gar zu schwer,« erwiderte der Mensch, »ich bin ein vergessener Dichter.«

Da lächelte der Herrgott ganz leise und meinte: »O je, das ist freilich sehr hart. Aber wenn dich keiner mehr weiß, ich kenne dich wohl. Michael Schmiedlein hast geheißen, und was du schriebst, das ruht in den Büchereien der Welt, aber tief unten in den Kellern oder oben auf den Böden, und da fressen's die Mäuse oder der Moder. Aber woher weißt du denn, daß du so ganz vergessen bist?«

»Ich habe gefragt, am Himmelstor hab' ich gefragt,« erwiderte der Ärmste, »gestern und heut' hab' ich alle gefragt, die heraufgekommen sind. Aber ich bin wirklich ganz vergessen: kein einziger hat meinen Namen gekannt.«

»Was ist ein Name bei euch Menschenkindern,« tröstete der Herrgott sanft, »der Enkel weiß nicht mehr, wie sein Ahn und Urgroßvater geheißen hat, wie soll er da euch eitle Dichter all im Kopf behalten können! Aber komm doch einmal mit.«

Da gingen sie wieder an das Tor des Himmels; das ward gerade aufgetan, und herein kamen unter anderm zwei Sachsen, ein Friese, drei Franken und gar ein halbes Dutzend Schwaben auf einen Hieb.

»Hört einmal,« sagte der Herrgott da, »kennt einer von euch den Michel Schmiedlein hier, und wer von euch weiß, was man dort unten von ihm sagt?«

»Nix sagt man, und keiner kennt ihn,« ist die Antwort gewesen, und als der arme Michel das hörte, ward er noch betrübter als vorher.

Das hat der Herrgott gesehen und gesagt: »Da wollen wir ihn einmal wieder munter machen und ihm eins singen,« und flüstert ihnen allen etwas ins Ohr, den Sachsen und den Schwaben und so weiter, und sie nicken und schauen vergnügt darein. Dann hebt der Herrgott den Finger, wie der Kapellmeister den Taktstock hobt, und darauf geht's los:

Das Lieben bringt groß' Freud',
Es wissen's alle Leut',
Weiß mir ein schönes Schätzelein
Mit zwei schwarzbraunen Äugelein,
Die mir mein Herz erfreut.

Alle singen das Lied mit heller Stimme, bis auf den Friesen, der brummt bloß, aber er denkt sich doch auch etwas dabei. Und als das nun so frühlingsfrisch durch den stillen Himmel klingt, da kommen aus allen Ecken und Winkeln die Seelen hervor, und als sie sehen, daß der Herrgott selber das Konzert gibt, fallen sie frisch ein und singen mit. Der Michel Schmiedlein ist aber darüber ins Knie gesunken und preßt seine Finger vor die Augen, aber die Tränen laufen dazwischen durch.

Das Lied ist zu Ende.

»Vergib mir, Herr,« flüstert der vergessene Dichter, »mag mein Name auch verklungen sein, ich bin zufrieden, weil noch ein Lied von mir lebendig blieb in den Herzen der Menschen.«

*


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