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Das goldene Rückgrat

Es war ein Mann, der brauchte sich vor niemand auf der Welt zu beugen; denn er hatte ein goldenes Rückgrat. Darauf war er sehr stolz. Nun ging er einmal spazieren; da kam ihm der König des Landes in den Weg, vor dem beugten sich alle Leute, er aber tat es nicht. Darüber wunderte sich der König, und er verlangte: »Beuge dich vor mir!« Da lächelte der Mann, aber er blieb gerade. Nun ward der König sehr zornig, und weil er die Macht dazu hatte, tat er ihn in die Acht und vertrieb ihn aus seinem Lande. Das tat dem Mann aber gar nicht weh; er dachte an sein goldenes Rückgrat und ging einfach in ein anderes Land und lebte, wie's ihm gefiel.

Nun geschah es einmal, daß er wieder spazieren ging; da begegnete ihm der Papst, vor dem beugen sich alle Christen, er aber beugte sich nicht. Als der Papst das sah, tat er ihn in den Bann, so daß er fortan keine Kirche mehr betreten durfte. Dazu lächelte der Mann; er hatte die Kirche gar nicht nötig, weil er ein goldenes Rückgrat besaß.

Das hatte der liebe Gott gesehen, und weil solcher Hochmut ihn verdroß, trat er dem Manne selber in den Weg und sagte: »Beuge dich vor mir; ich bin der liebe Gott.« Da lachte der Mann und sagte: »Vor dir beuge ich mich erst recht nicht. Ich gehöre zu den Leuten, die ein goldenes Rückgrat haben, und über die hast du nichts zu sagen.«

Auch der Herrgott wurde zornig; doch er ließ es sich nicht merken und ging ruhig fort. Bei sich selbst beschloß er aber, ihn ganz tief zu beugen. Weil er nun viel klüger ist, als Kaiser und Papst, fing er es auch geschickter an. Eigentlich tat er nichts Besonderes; er zog nur seine Hand von ihm ab, und da war der Mann verloren. Er nahm ein Weib. Freilich hat er sich auch nicht vor seinem Weibe gebeugt; aber wenn er schlief oder es sonst nicht merkte, nahm sie sein goldenes Rückgrat weg und feilte lächelnd ein Stücklein nach dem andern ab und vertat es. So schwand es dahin, ohne daß er es gewahr ward.

Als es nun ganz vertan war, ging er eines Tages wiederum spazieren. Da begegnete ihm des Königs Kammerdiener und sagte: »Beuge dich vor mir!« Da merkte der Mann, daß er sein goldenes Rückgrat verloren hatte, und nun fand er gar keinen Halt mehr und beugte sich vor des Königs Kammerdiener.

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