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Die Null

Auch Satanas hat seinen Teil an der Schöpfung der Welt. Er schuf zwar nicht viel, aber das Ding zieht sich lang wie ein Garn, das kein Ende nimmt. Er machte nämlich die Zahlen, und deshalb ist alles, was mit diesen zu tun hat, der Hölle verfallen. Das haben wir gefühlt, als wir in der Schule vor unserm Rechenlehrer saßen, und daß die Kassierer und Bankleute schließlich der Gottseibeiuns holt, das kann man jeden Tag in der Zeitung lesen. Der Böse machte sich damals seine Arbeit recht bequem. Er schuf der Zahlen neun, gab jeder ein besonderes Kleid und gebot ihnen dann, zu langen Reihen zusammenzutreten und so Gottes Welt brav zu verwirren. Als er nun alle ausstaffiert hatte, glaubte er fertig zu sein; aber da vernahm er eine feine, dünne Stimme: »Ich habe ja noch gar kein Kleid.«

Satanas verwunderte sich und fragte: »Wer bist du denn? Ich sehe dich gar nicht.«

»Und doch bin ich die wichtigste von allen,« lautete die Antwort, »ohne mich können die andern nichts Rechtes beginnen. Gib mir auch mein Gewand – ich bin die Null.«

Da lächelte Satanas, wie nur er zu lächeln versteht, und er meinte:

»Ja, alle Striche und Haken sind vertan! Doch wart einmal! Du bist zwar das Nichts, aber du sollst aussehen wie ein voller Sack.«

Und er gab ihr ein Kleid, das hatte weder Ecken noch Kanten, so daß sich kein Mensch daran stoßen oder ritzen konnte; es war überall rund und wich aus, wenn einer die Null greifen oder packen wollte. So trug sie ein wohlgenährtes Gemüt zur Schau und deutlich hütete sie sich, die Dinge schwarz zu sehen. In solcher Gestalt trat darauf die Null in die Welt, und bald bedeutete sie mehr als alle die andern. Sie war zwar nichts, und doch wohnte in ihr ein seltsamer Zauber. Sie war klug genug, niemals voranzumarschieren; ganz sacht trat sie hinter die Eins und ihre Gesellen, und diese gewannen dadurch zehnfach an Kraft und Wert. Das merkten die Menschen bald; es schien ihnen außerordentlich zu sein, und nun stellten sie die Null überall hin, um Wunder zu tun. Vor allem war sie dazu berufen, die Völker zu leiten und zu regieren. Man öffnete ihr die Pforten und Schlösser der Ministerien, sie bekam Zutritt zu den Lehrstühlen der Universität und sogar zum Rednerpult der Reichstage. Sie hat Heere angeführt, und wenn sie geschlagen ward, bekam die Eins die Schuld; aber bei den Erfolgen der Eins erntete sie mit Vergnügen Ruhm und Ehre. Kurz und gut, es geht ihr wohl, und sie bleibt immer satt und rund. Welch einen verhungerten Eindruck macht dagegen eine Eins! Man wende nicht ein, daß sie den Vorzug genießt, manchmal ein Denkmal zu erhalten. Ein Vorzug? Ach, nichts in der Welt wird öfter in Marmor ausgehauen oder in Erz gegossen als die Null! Nun wird uns auch klar geworden sein, weshalb die Null zuweilen oben ein scheinbar überflüssiges Anhängsel hat, jenen Bogen oder Haken, der so selbstbewußt und aufrecht in die Welt schaut. Sie muß doch etwas haben, woran sich gewisse Dinge auf- und aushängen lassen. Und es ist wirklich sehr nötig, denn nur selten gelingt es einem Orden oder einem Titel, an einer Null vorbeizukommen.

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