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Die Wasser der Sündflut gießen herab, vierzig Tage, vierzig Nächte lang. Das Meer schwillt und schwillt und umbreitet die Berge, es überwindet die Berge, und zuletzt ragt nur noch ein einziger Gipfel hervor aus der Flut des Verderbens. Und zu diesem letzten Gipfel drängt sich der letzte Rest des Erdenlebens: Tiere heulen, Menschen beten! Es ist zu spät.
Siehe, da schiebt es sich langsam über dem Wasser daher, ein finsteres Ungetüm, die Arche, und darin die Lieblinge Gottes. Nahe am letzten verlornen Gipfel kriecht das plumpe Schiff vorbei, und hastig lösen sich Menschen und Tiere vom Lande und schwimmen der Rettung entgegen.
Noah sieht nicht, was da kämpft, ringt; sein Blick geht darüber hinweg und bohrt sich starr in die Ferne. Aber neben ihm steht Japhet, sein jüngster Sohn, und sein Herz bebt vor Mitleid.
»Vater,« flehte er leise.
»Mein Sohn?«
»Vater, es sind die Letzten! Darf ich die Brücke –?«
»Laß das, mein Sohn, sie sind dem Tode geweiht.«
Verzweiflungsvolle Rufe ertönen; Hände krallen sich mit letzter Kraft in das Plankenwerk des Schiffes ein – vergebens! Ächzen, Stöhnen, gurgelnde Laute – vorbei!
Mitleidlos zieht die Arche weiter. Aber viel länger als die Menschen ringt ein Hund, ein mächtiges, stolzes Tier, löwengleich, und im Maule hält er an seinem Kleidchen ein Kind, ein kleines blondes Mädchen.
»Vater!« fleht Japhet zum zweiten Male.
»Mein Sohn?«
»Vater, soll auch dies schuldlose Kind dem Verderben geweiht sein?«
»Brut der Sünde, mein Sohn!«
»Ich soll leben, wenn diese untergehen? Nimmermehr!«
Da will der Vater den Sohn hindern, Taten unüberlegten Mitleids zu beginnen – sie kämpfen und ringen. Aber der Sohn überwindet den Vater und stürzt zur Brücke – zu spät! Das ermattete Tier versinkt vor seinen Augen.
»Vater!« ruft Japhet zum dritten Male, und zornig stampft er mit dem Fuße auf.
»Ratschluß des Herrn, mein Sohn!« ruft Noah, und er keucht noch von dem heftigen Kampfe.
»Ratschluß Gottes, Vater? Warum? Warum? Die Fische dort im Wasser freuen sich ihres Lebens. Warum Sind sie besser als jenes treue Tier, das da Barmherzigkeit üben wollte?«
»Weil sie stumm sind, mein Sohn.« – –
Auch Japhet ist verstummt; lange blickt er seinen Vater an, und dann geht er schweigend hinab in das Schiff.
*