Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Des Königs Kleider

Einem König war seine Macht zu Kopfe gestiegen, und er ließ bekanntmachen, wer ihm etwas auf Erden zeigen könnte, sei es ein Ding, mächtiger als er selbst, der solle tausend Taler haben.

Da kamen die Pflastertreter und alle anderen Leute, die sonst nichts zu tun haben, und wollten sich gern das gute Trinkgeld verdienen.

»Was ist denn mächtiger als ich?« fragte der König stolz.

Da wies ihm der eine das Meer, das die Dämme am Strande zerrissen und das Land überschwemmt hatte, der andere Feuer und Erdbeben, die eine große Stadt zerstörten, ein dritter einen fremden König, der hunderttausend Mann aufstellte, um gegen ihn in den Krieg zu ziehen; aber der König lächelte dazu, und er sandte zehntausend Arbeiter, die mußten die Deiche wiederherstellen, und höher als zuvor, er gab Millionen aus seinem Schatz und ließ die zerstörte Stadt wiederbauen, aber gegen den fremden König mit den hunderttausend Mann stellte er zweihunderttausend Krieger auf, und jener mußte sich zum Frieden bequemen. So kam noch manch einer; aber in hundert Prüfungen erwies es sich, daß der König wirklich über die Maßen mächtig war, und sein Stolz ward größer als vorher. Bevor er aber bis an die Sterne stieg, geschah etwas, das seinen Dünkel schweigen machte und ihn Bescheidenheit lehrte.

Eines Tages ging er in seinem Garten; da trat ihm ein Bettler in den Weg, der zog seine Kappe und neigte das Haupt. Der Herrscher griff in die Tasche und wollte ihm ein Almosen reichen. Jener aber wehrte lächelnd ab und sagte: »Nicht ein paar Pfennige, großer König, tausend Taler möchte ich haben, aber nicht geschenkt, verdienen will ich sie mir. Ich weiß etwas, das mächtiger ist als du selber, nur daß ich dir's nicht sagen kann. Wenn du mir in ein paar leichten Dingen zu Willen sein willst, so wirst du's erfahren.«

Der König nickte, und der Bettler fuhr weiter fort: »Setz deine Krone ab und zieh deine königlichen Kleider aus. Dann lege die Uniform eines deiner Söldner an, geh zur nächsten Stadt und befiehl den Bürgern, daß sie dir tausend Taler geben sollen für die Armen des Landes.«

Der König tat, wie der Bettler ihn geheißen hatte. Er legte Krone und königliches Kleid ab, zog das Gewand eines seiner Leibwächter an und wollte dann zu Rosse steigen, aber der Bettler verwies ihm das und sagte: »Du mußt zu Fuße gehen, sonst wirst Du nicht erfahren, was mächtiger ist als Du selbst.«

Als der König weggegangen war, tat der Bettler die königlichen Kleider an, setzte die Krone aufs Haupt, bestieg das Pferd und ritt, so schnell er konnte, auf einem Umwege nach derselbigen Stadt. Als er dort ankam, wurden die Tore vor ihm aufgetan; auf den Straßen neigte sich alles und riß die Mützen vom Kopfe. Vor dem Rathause erwartete der Bürgermeister ihn, führte ihn voller Ehrerbietung die Stufen hinauf in den Prunksaal und fragte: »Was ist Ew. Majestät Wunsch und Befehl?«

»Nicht viel,« erwiderte der Bettler, »ich bin gekommen, die Treue meiner Untertanen zu erproben. Wollt ihr mir Liebe erweisen, so gebt mir tausend Taler für die Armen meines Landes.«

Da wunderte sich der Bürgermeister, daß so wenig gefordert ward, ließ flugs tausend Taler holen, und dann lud er den Bettler zu einem Mahle ein. Der sagte nicht nein: er ließ es sich schmecken, denn so gut war es ihm nie geboten worden.

Unterdessen war auch der echte König in der Stadt angekommen. Er ging ebenfalls nach dem Rathause, ließ den Bürgermeister rufen, und. als der ihn fragte, was er wolle, rief er in befehlendem Ton: »Ich bin der König, gebt mir sofort tausend Taler für die Armen meines Landes!«

Der Bürgermeister sah ihn an von oben bis unten und sagte, er möge sich zum Kuckuck scheren; solche Leute wie er wären ihm schon längst bekannt. Dergleichen Reden wollte sich der König nicht gefallen lassen, und er zog sein Schwert. Da rief der Bürgermeister die Stadtknechte und ließ ihn ins Gefängnis werfen.

Nach allen diesen Vorgängen begab sich der Bürgermeister zurück zur Tafel, wo der Bettler noch immer wacker aß, und erzählte, was sich ereignet hatte. Als der Mann, der die Krone trug, das hörte, wischte er sich den Mund und stand auf. Dann befahl er, man solle den Menschen vor ihn bringen, der sich vermessen habe, ein König zu sein; er wolle ihn sprechen, aber jedermann habe hinauszugehen.

Es geschah nach seinem Willen, und es dauerte nicht lange, so stand der, der König war, dem gegenüber, der König schien. Da fragte der Bettler: »Wo hast du die tausend Taler?«

»Ich habe sie nicht,« war des Königs Antwort.

»Aber ich,« sagte der Bettler lächelnd. »Und nun will ich dir gleich wiedergeben, was mächtiger ist als du selbst.«

Er legte ihm seine Krone und sein königliches Gewand zu Füßen und zog den Rock des Soldaten an, und als der König wieder König war, bekam er ein neues Herz, darin war viel weniger Stolz als vorher.

*


 << zurück weiter >>