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Der Engel in Diensten

Einmal geschah das Wunder, daß ein Engel vom Himmel fiel, und weil ihm die Flügel noch nicht genugsam gewachsen waren, konnte er nicht wieder hinaufkommen. So dachte er sich denn auf Erden durchzuschlagen, und zuerst klopfte er bei einem Pfarrherrn an und fragte, ob er bei ihm in Nahrung kommen könne.

»Recht gern,« antwortete der geistliche Herr, »ich will dir jeden Tag drei Schalen mit Milch geben.«

»Und was muß ich dafür tun?« fragte der Engel.

»Nicht viel,« sagte der Pfarrer. »Ich habe da eine Kirche, und in der Kirche ist ein Altar, und auf dem Altar steht ein Kreuz von echtem Golde. Nun sind aber in der Luft so viele böse Fliegen; dem unheiligen Zeug sollst du wehren – denn du bist ja flink –, daß sie mir nicht den Altar und das Kreuz beschmutzen. Es will am Sonntag den Leuten gar nicht mehr so recht in die Augen blinken.«

Das erschien dem kleinen Engel etwas sonderbar; aber er dachte an die drei Schalen Milch und wehrte jeden Tag dem Geschmeiß und putzte auch das Kreuz, damit es am Sonntage recht blank erscheinen möchte. Doch als eine Woche um war, hatte er die Arbeit satt und sagte: »Mein lieber Herr Pfarrer, gegen die frechen Fliegen kann kein Engel vom Himmel an, und dein Kreuz zu scheuern habe ich nicht Lust; es ist zuviel plumpes Kupfer darin. Du tust wohl, auf reines Gold zu halten. Behüt dich Gott!«

So nahm der Engel Abschied und ging ein paar Straßen weiter; da wohnte der König. Der freute sich, einen der Himmlischen erwischt zu haben und sprach: »Ich will dich gern bei mir behalten, und jeden Tag bekommst du zur Labung drei Becher voll Wein.«

Das klang dem Engel in die Ohren, und er fragte abermals: »Was muß ich dafür tun?«

»Eine Kleinigkeit,« erwiderte der König. »Ich hab' einen alten Stuhl von meinem Urgroßvater geerbt. Darauf pflege ich zu sitzen; aber er wackelt etwas auf dem linken Hinterbein. Den sollst du stützen, damit er mir nicht umfällt.«

Der Engel machte sein bedenklichstes Gesicht; aber er dachte an die drei Becher goldigen Weins, und er stützte eine Weile eifrig den Sitz den Königs. Doch als eine Woche vergangen war, bekam er solche Arbeit satt, und er sagte zu dem König: »Dein Wein ist gut; aber wenn du glaubst, daß der Himmel dazu da sei, dir deinen wurmstichigen Schemel zu stützen, so irrst du dich. Ich danke; nächstens knackt er noch zusammen, und dann lieg' ich drunter. Laß ihm ein paar neue Beine machen. Gehab dich wohl!«

Damit ging der Engel weiter und suchte sich ein ander Quartier. Diesmal mied er die hohen Häuser und klopfte an eine bescheidene Tür; dahinter saß ein junger Spielmann.

»Junger Spielmann,« fragte der sonderbare Pilger, »ich bin ein Engel, der aus dem Himmel fiel. Darf ich bei dir bleiben?«

»Wenn du vorlieb nehmen willst, gern,« sagte der Spielmann. »Es gibt jeden Tag reine Luft und warmen Sonnenschein.«

»Und was muß ich dafür tun?« fragte der Engel zaghaft und leise.

»Ach was, tun!« rief der junge Spielmann. »Gar nichts wollen wir tun! Ich will spielen und du sollst tanzen. Bist du damit einverstanden.

»Von Herzen gern,« sagte der Engel und seine Augen leuchteten. »Ich will dir nur gestehen, daß ich von Haus aus ein lustiger Engel bin.«

Und nun begann ein seltsam Leben. Wenn der Jüngling die Saiten rührte, begann der himmlische Knabe zu tanzen, und er tanzte, leicht und anmutig. Seine Füße schienen die Erde kaum zu berühren. Es dauerte nicht lange, da war er an Kraft gewachsen, und er tanzte nicht nur, nein, er schwebte, und er flog höher und immer höher. Seine Flügel wurden stärker, und reiner und schöner ward seines Gesellen Lied. Jeden Tag sahen sie sich tief in Auge und Herz, und der eine wuchs an der Kraft des andern. Der Genius reckte fliegend seine Schwingen, und sie rührten an die Wolken, und bald nicht nur an die Wolken, nein, auch an die Sterne, und wer erst die Sterne erreicht hat, dem steht der ganze Himmel offen.

So gelangte der Engel in seine Heimat zurück, weil er einen Menschen gefunden hatte, der es begriff, was für Dienste man von solchen verlangen darf, die nicht aus dem Staub der Erde geboren sind. Aber in den Liedern des Meisters spürte man seit der Zeit noch immer den erhabenen Flug, und sie werden lebendig bleiben bis in jene späte Zeit hinein, wo längst alle unechten Kreuze von Rost gefressen und manche Stühle zusammengebrochen sind, die sich nicht im rechten Augenblick neue Beine machen lassen wollten.

*


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