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Der Nagel

Eisen dauert länger als ein Menschenleben, wenn es der Rost nicht zerfrißt, und die Macht der Finsternis vergeht nicht von heute auf morgen.

Auf Golgatha. Der Spott und der Hohn seiner Feinde hat den gefangenen Nazarener zur Höhe geleitet, wo geschäftige Hände das Kreuz eingraben, das den Mann empfangen soll, der es wagte, mit der Geißel in der Hand den Tempel zu reinigen, der es wagte, »Wehe euch Pharisäern und Schriftgelehrten!« zu rufen.

Der Henker wartet gleichmütig und geduldig. Seine Rechte packt den wuchtigen Hammer, während seine Linke mit vier großen Eisennägeln spielt, daß sie knirschen. Da tritt Rabbi Manasse zu ihm, der dunkelste der Dunkelmänner im Hohen Rat. Er war es, der vor Pilatus zuerst das wüste »Kreuzige, kreuzige ihn!« rief. Auch er trägt einen Nagel in der Hand, nur einen einzigen, aber er ist klobig, rissig und rauh.

»Wenn du eine Handvoll Denare gebrauchen kannst, guter Freund,« sagt er zu dem Henker, »so nimm für seine rechte Hand diesen Stachel. Ich habe ihn selbst geschmiedet auf dem Amboß Jojakims, der da ein Waffenschmied ist und in der Breiten Gasse wohnt.«

Der Henker antwortet keine Silbe, aber er läßt die Denare in seine Tasche gleiten, und den einen seiner Nägel wechselt er aus gegen den rauhen, rissigen Stachel, den Rabbi Manasse geschmiedet hat auf dem Amboß Jojakims des Waffenschmieds.

Eisen dauert länger als ein Menschenleben. Aus dem rauhen, rissigen Stachel Rabbi Manasses ward ein heiliges Erbstück, das man Hunderte von Jahren in Ehrfurcht hütete. Aber dann kam eine Zeit, die solcher Dinge nicht mehr achtete und sie dem Trödler überließ. So geschah es denn, daß aus dem Stachel des Rabbi Manasse ein Stahl geschmiedet ward, der dazu diente, aus dem Stein Funken zu schlagen und Feuer und Licht zu geben. Licht – aber im Stahl wohnte noch immer die Seele des Mannes, der zuerst das »Kreuzige, kreuzige ihn!« geschrieen hatte, und so kam er wiederum in die Hände des Henkers.

Es ist am 17. Februar des Jahres 1600. Auf dem Campo di Fiore in Rom drängt sich die gierige Menge zum Autodafé. Ein Holzstoß ist aufgeschichtet, und am Pfahl steht straff und gestreckt ein Mann, der nicht widerrufen will, obgleich der Stellvertreter Christi es verlangt. Das ist der Nolaner, der in Paris, London und Wittenberg war, der Luther und den Kopernikus pries, es ist Giordano Bruno, der Dichter, der Philosoph, der Prophet des All-Einen.

Bedächtig gebraucht der Henker Stahl und Stein und schlägt Funken mit dem uralten Hasse, der aus der Macht der Finsternis geboren ist. Eine kurze Weile, und die Flamme schlägt empor, die den tapfern Verkünder eines neuen Glaubens verzehren wird. – –

Eisen dauert länger als ein Menschenleben. Wir brauchen nicht mehr Stahl und Stein, um Licht und Feuer zu schaffen. Aber der Stahl des römischen Henkers kam dennoch bis auf unsere Zeit; er geriet in eine Fabrik, und dort wurden – Federn daraus.

Jedoch der Geist des Rabbi Manasse, der einstmals den Stachel schmiedete auf dem Amboß Jojakims des Waffenschmieds, bleibt auch noch lebendig in diesen Federn. Sie wissen ihren Weg und kommen in die Hände von Männern, die an der Spitze von Orden und Kirchenräten prangen, und die Federn verabschieden und entlassen alle Männer, die auf dem Boden eines Amtes stehen und doch eine freie Meinung haben. Diese Federn gingen in alle Welt, und in ihnen ist kein Vergang. – –

Das ist das Erbe des Rabbi Manasse von Jerusalem, das ist die Macht der Finsternis. – – Kampf, Kampf! Er wird kommen, der Tag, der die Macht der Finsternis zerbricht!

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