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Die Bank der Auserwählten

Es gibt nichts, was trostloser ist als die Schule, jene Stätte, wo geradlinige Vorschriften und die Gebote des Einmaleins das Zepter führen. Schon wenn man sich den Lehrsaal wieder vorstellt und darin diese Reihen von gleichgerichteten hölzernen Bänken, so packt einen die Langeweile; und dennoch gab es in der Anstalt, die ich besuchte, eine Stätte, die von einem gewissen Zauber umwoben war, die Bank der Auserwählten, die Schlingelbank, wie man sie zu nennen pflegte.

Ich war zu gesittet und fromm und denke, daß ich meinen Lehrern immer Freude gemacht habe. Um aber auf die Schlingelbank zu kommen, mußte man sich in gewisser Weise auszeichnen, man mußte Mut und Tatkraft besitzen und des festen Entschlusses fähig sein, lächelnd die Leiden dieser Welt zu tragen. Ich konnte mich nicht andauernder Faulheit befleißigen, und das war immer die Grundlage, worauf man sich am frühesten die Berechtigung für die Schlingelbank erwerben konnte. Aber die Faulheit allein genügte auch noch nicht. Sie brauchte noch eine Zugabe, und die konnte man dadurch liefern, daß man den tadellosen Rohrstock des Lehrers vormittags ringelte, wenn man sicher war, nachmittags Schläge zu bekommen. Das verdutzte Gesicht, wenn dem strengen Richter der Träger der vollziehenden Gewalt in Stücke brach! Gelächter der Schüler – aber dann ward sofort untersucht, wobei durch niederträchtige Verräter alles heraus kam – Urteil: Vierzehn Tage auf die Schlingelbank! – Ich habe nie den Stock des Lehrers geringelt.

Sehr wirksam war es ferner, Maikäfer mitzubringen und an schönen warmen Tagen fliegen zu lassen. Ebenfalls bewährte sich ein Igel ausgezeichnet, den man unter die Bänke der Mädchen setzte. Auch die roten Knallplättchen machten viel Aufsehen, wenn man sie mit dem Absatz unter den Pulten abfeuerte. Die Urheber aller solcher Taten kamen stets heraus und wanderten auf die Schlingelbank. – Ich habe nie einen Igel mitgebracht; die Maikäfer zeigten sich zu schläfrig, und die Knallplättchen waren mir unterwegs ins Wasser gefallen.

Das sicherste Anrecht auf die Schlingelbank verliehen aber bildende Kunst und Witz, ganz entschieden Gaben, durch die man unsterblich werden kann. Mit ihrer Hilfe wurden auf die Wandtafel dramatische Szenen geworfen, worin eine gewisse Person die Hauptrolle spielte, und darauf ward die Tafel umgedreht. Klappte der Lehrer sie wieder zurück, so war große Freude. Aber dann pflegte die herrschende Gewalt rücksichtslos vorzugehen, und das Genie ward auf die Schlingelbank verbannt. Wie gesagt, ich habe nie darauf gesessen, ich hatte Glück: meine satirischen Versuche sind damals nicht herausgekommen.

Wer aber das erhabene Ziel erreicht hatte, der thronte dort stolz und unnahbar wie ein König, namentlich dann, wenn er alleiniger Stellenbesitzer war. Verachtungsvoll ließ er seinen Blick über die gewöhnliche Menge dahinschweifen, die solchen Helden mit unleugbarem Respekt betrachtete. Man erzählte sich scheue Sagen von ihm, was alles er sonst schon ausgesessen habe, und traute ihm erhabenste Taten zu. Weh aber dem Lehrer, wenn er mehrere zu gleicher Zeit auf die Bank der Auserwählten gebracht hatte! Alsdann bildete sich daraus die Bank der Verschwörer, und es wurden Streiche ausgeheckt, die es wert gewesen wären, im Reineke Fuchs oder Till Eulenspiegel aufbewahrt zu werden. Und das Beste war immer, daß keiner von den Galgenstricken bestraft werden konnte; denn es war nie herauszubringen, wer eigentlich der Übeltäter war. Auf dem Felde gemeinsamer Leiden erwuchs eine sehr schätzbare Tugend: das Redaktionsgeheimnis ward stets gewahrt. So blieb zuletzt nichts anderes übrig, als die schlimme Gesellschaft aufzulösen und die einzelnen an ihren Platz zurückzuversetzen. Vorher aber hatten alle zum bleibenden Ruhm tief ihren Namen eingegraben in die geliebte Stätte.

Man sollte die Schlingelbank nicht untergehen lassen. Es muß etwas geben, das sich emporhebt über die langweilige Tiefebene des Gewöhnlichen, und dazu eignet sie sich sehr gut. Auch die höheren Schulen, ja selbst die Universität, haben ihre Schlingelbank, den Karzer. Und diese Stätte schöner Einsamkeit, wo holde Träume und erhabene Gedanken geboren werden, ist von poetischem Zauber verklärt; ja, hier lernen die jungen Leute das, wozu sie sonst gar keine Neigung besitzen, nämlich arbeiten; sie sind darauf so versessen, daß sie zum Schreiben und Zeichnen sogar die Wände benutzen.

In meiner Stube hängt die Nachbildung eines Gemäldes »Die Eselsbank«, worauf elf Rangen vereinigt sind, denen die Unverfrorenheit aus dem Gesicht und die Zehen aus den Stiefeln gucken. Ich stehe zuweilen davor und erquicke mich an der köstlichen Szene, und immer wieder huscht es mir durch den Sinn: »Schade, daß du nicht auch einmal darauf gesessen hast, dann hätte noch etwas Ordentliches aus dir werden können!«

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