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Die Erziehung für den Käfig

Im Käfig geboren, im Käfig aufgewachsen, der Käfig seine Welt!

Aber es war ein hübscher Käfig mit silbernem Gitter und goldenen Füßen, und wie Gold glänzte auch das Gefieder des kleinen Vogels.

Er hatte das ruhigste Dasein, er kannte keine Sorge. Alle seine Wünsche wurden erfüllt; runde Samenkörner, weiße Ameisenpuppen, frisches Wasser, alles ward ihm zugetragen. Er brauchte nicht zu suchen, er hatte nur den Schnabel aufzutun. Eins ließ sich freilich so nicht lernen, seine Flügel zu gebrauchen, er konnte nur zierlich hüpfen. Auch war es nicht nötig, die Augen zu öffnen und List und Klugheit anzuwenden – im Käfig gab es keine Feinde.

Und doch wohnte tief in dem Vogel eine leise Sehnsucht, ein Sehnen nach etwas anderem, was er nicht kannte. War es der Drang nach Freiheit, das Verlangen, aus den engen Grenzen des Gitters hinauszukommen in die unbegrenzte Ferne?

Es kam ein Tag, da hatte man vergessen, die Tür des Käfigs zu schließen. Er flog in die Stube. Wie herrlich, darin umherzuflattern! Aber auch das Fenster stand offen, und draußen strebten die Vögel leichtbeschwingt dem Himmel entgegen.

Soll er das auch einmal wagen? Ja, hinaus in die Freiheit! –

Aber bald versagen die schwachen Schwingen. Ermüdet, zitternd setzt er sich in eine Hecke. Zurück nach Haus, in den Käfig zurück! Aber niemand weist ihm den Weg, niemand nimmt sich seiner an. Hungrig und durstig ist er auch. Ach, wenn doch nur jemand kommen wollte! –

Und da kam ein Würger.

*


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