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Die Blende

Ein Narr hatte seinem Könige die Wahrheit gesagt und sollte dafür sterben. Doch der König fühlte, daß es ein schlechter Ruhm wäre, wenn er den Henker darum riefe. Er fragte seinen ersten Minister um Rat, was man tun müßte, damit er langsam dahinschwände.

»Sperrt ihn in das dunkelste Verlies des Schlosses,« sagte der Minister. »Er darf die Sonne nicht mehr sehen und nichts von der schönen Welt, dann wird es kein Jahr dauern, und er ist tot.«

So geschah es, und er ward in eine Zelle gesperrt, die hatte ein Fenster, durch das nur ein wenig verlorenes Licht hereindrang; denn draußen saß eine Blende davor, so daß auch kein Fingerbreit von Himmel oder Erde zu sehen war.

Das Jahr ging vorüber, und da gedachte der König des Narren, und er ging mit seinem Minister hin, um zu sehen, wie weit der Tod mit ihm wäre. Aber siehe! er fand ihn frisch und munter, und sein Auge glänzte ordentlich. Da wunderte sich der König sehr; und er fragte ihn: »Wie kommt es, daß dein Auge glänzt und du so fröhlich bist, und siehst doch gar nichts von der Welt?«

Da lächelte der Narr und sagte: »Zwar hast du mir die Welt verschlossen, o König; aber weil ich sie nicht sehen kann, denk' ich auch gar nicht mehr daran, und ich habe mir dafür in meinem Kopf eine andere Welt erbaut. Die ist bunt und schön, und weil sie aus meinen eigenen Gedanken besteht, hat niemand Macht darüber, auch du nicht, o König!«

Da ging der König im Grimm, und als er draußen war, entließ er seinen Minister, weil sein Rat nichts getaugt hatte. Es stand dort aber ein kluger Höfling, der merkte den Kummer seines Herrn und sagte: »Wenn Ew. Majestät nur dem Hofschlosser befehlen wollen, mir für eine Viertelstunde zu Diensten zu sein, so soll der Verdruß meines gnädigsten Herrn bald aus der Welt geschafft sein.«

»Nein,« erwiderte der König, »es ist Gewalt dabei, und davon will ich nichts wissen.«

Dazu lächelte der Höfling nur und sagte: »Es ist gar keine Gewalt, es sieht aus wie eine Gnade, und niemand kann uns schelten.«

Als der König das hörte, war er zufrieden, und der Höfling befahl dem Schlosser, eine lange Leiter zu nehmen. Die hieß er ihn an die Mauer stellen, da, wo das Verlies des Narren war.

Und dann stieg der Schlosser hinauf und schlug die Blende los, die das Fenster verdeckte.

Von jener Stunde an saß der arme Narr jeden Tag vor dem Fenster und sah hinaus in das herrliche Land. Er sah ragende Berge, grüne Wälder und in der Ferne das schimmernde Meer, über das alles goß der helle Sonnenschein den Zauber der Schönheit. Und er sah tief unten auch Menschen, freie Menschen, die jauchzend hinauszogen, um all die Schönheit zu genießen. Da vergaß er die bunte Welt seiner Gedanken, und bevor ein halbes Jahr vergangen war, lag er eines Morgens tot in seiner Zelle.

Die Sehnsucht hatte ihn getötet!

Der kluge Höfling bekam einen großen Orden und wurde Minister.

*


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