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Adler und Ochse

Ein Adler war gefangen worden. Eine Kette fesselte seinen Fuß, und er konnte sich bewegen, soweit sie reichte. Er hatte es versucht, sich loszureißen, aber als er sich dadurch nur vergeblich Schmerzen bereitete, ergab er sich in sein Schicksal, und er flog auch dann nicht mehr auf, als die gestutzten Schwingen wieder gewachsen waren. Er war gezähmt, er galt als sicher. Aber es geschah, daß der Rost die Kette fraß; dazu scheuerten die Glieder aneinander, und eines Tages rissen sie. Da durchzuckte die Seele des gefangenen Vogels ein unnennbares Gefühl, ein freudiger Schrecken. Alle Erinnerungen der Freiheit wurden wieder wach. Er regte seine Schwingen, entfloh der Knechtschaft und strebte stolz den Wolken zu.

Einen Ochsen traf das gleiche Schicksal. Auch er ward angebunden und war durch eine Kette an den Stall gefesselt. Er sollte nämlich fettgefüttert und dann geschlachtet werden. Auch bei ihm löste sich eines Tages die Kette. Er starrte verblüfft das Wunder an; aber er rührte sich nicht vom Fleck. Dann erhob er laut seine Stimme:

»Herr,« rief er, »Herr, die Kette ist losgegangen! Sie muß wieder festgemacht werden.«

*


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