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Die Meisterin

Ein Jüngling wollte die Harfe spielen lernen. Er ließ es nicht an Fleiß fehlen und übte unverdrossen jeden Tag, bis ihm die Finger wehtaten. Es war auch nicht ganz vergebens; er ward geschickter, und wer bloß Ohren hatte, der mochte glauben, daß es eine gute Musik sei, was er da zu hören bekomme. Er selber war aber nicht zufrieden und wähnte nicht, daß er ein Meister sei.

»Ach,« seufzte er einmal, als er sich allein befand, »wenn ich nur die rechten Lehrer hätte, so wollte ich schon durchdringen zur wahren Kunst.«

Kaum hatte er das gesagt, so ward die Tür seiner Klause geöffnet, und zwei Frauen traten ein, die waren ganz verschieden voneinander. Die eine war blond; ihr Antlitz glänzte wie die Sonne, und aus ihren Augen kamen warme Strahlen. Die andre dagegen war düster, und in ihr dunkles Haar mischten sich graue Fäden hinein. Ihr Angesicht erschien herb, und aus ihren tiefen Augen leuchtete es auf wie Blitz in dunkler Wetternacht.

»Wir haben dich und deinen Ruf gehört,« begann die Düstere, »wir wollen deine Lehrer sein und dir zeigen, wie man die Harfe spielen muß. Aber nur eine von uns darf bei dir bleiben. Wähle, wer dir die Hand leiten soll.«

Da sagte der Jüngling, ohne sich viel zu besinnen: »Du nicht, deine helle und freundliche Schwester soll mir die Finger führen.«

Diese lächelte, trat hinzu und unterwies ihn. Und siehe! Da kam Sonne in sein Herz und sein Spiel, und die Töne gewannen eine seelenvolle Kraft.

Als das Lied zu Ende war, bedankte sich der Jüngling und fragte: »Sage mir, wer du bist, holde Göttin?«

»Ich bin die Freude,« war die Antwort.

»Dich habe ich gern,« rief der beglückte Schüler. »Du mußt immer bei mir bleiben. Aber die andere mag gehen; ich kann ihren Blick nicht ertragen.«

»Ich werde gehen,« sagte diese mit ruhiger Stimme. »Doch eine Bitte habe ich. Gib mir deine Harfe, nur einen Augenblick, nur so lange, bis ich ein einziges Lied darauf gespielt habe. Dann will ich für immer Abschied nehmen.«

»Ein Lied darfst du spielen,« sprach der Jüngling und reichte ihr die Harfe.

Da begann das düstere Weib, und unter ihren Fingern quollen wundersame Töne hervor. Das bebte vor wilder Lust, das schluchzte vor Qual. Finsternis breitete weithin ihre Schwingen aus, aber aus der dunkeln Nacht leuchteten auch tausend Sterne herab. Meteore flammten auf, und dräuende Kometen zogen ihre Bahn. Feindliche Leidenschaften kämpften miteinander ihren riesenhaften Kampf. Das Antlitz der Meisterin war nicht mehr herbe; eine wundersame Schönheit lag darüber ausgebreitet, und aus ihren Augen fragten alle Rätsel des Daseins um Antwort.

Tränen liefen über die Wangen des Jünglings, und als sie geendet hatte, stürzte er ihr zu Füßen und rief: »Vergib mir, du Hohe, Herrliche! Du sollst, du darfst nicht gehen! Die Freude mag gehen, aber du nicht. Zwar möchte ich Sonne haben, aber es dünkt mich größer, das Tiefste und Gewaltigste aus meinen Tönen sprechen zu lassen. Sage mir deinen Namen, wundersame Zauberin.«

Da sagte das Weib und schlug die schweren Wimpern empor: »Ich bin das Leid.«

Und das Leid blieb bei ihm, und er ward ein Meister ohnegleichen.

*


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