Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der letzte Zahn

Ein berühmter Schriftsteller feierte seinen 70. Geburtstag. Die Zeitungen brachten lange Artikel über sein Leben und seine Werke, und viele von ihnen zeigten auch sein Bild. Natürlich gab es außerdem Briefe, Drahtungen, ein feierliches Festmahl und einen glänzenden Fackelzug. Das Ereignis des Tages aber war, daß zwei Sonnen schienen, des Herrgotts Sonne, die gewohnheitsmäßig am Himmel stand, und die Gnadensonne des Fürsten. Das war bei diesem Mann Außerordentliches; denn er hatte zu Zeiten eine sehr spitze Feder geführt.

Die Tatsache läßt sich nicht leugnen, daß im Hause des Gefeierten ein Wirklicher Geh. Rat erschien. Aus seinen Augen kam ein vielsagender Blick und aus seinen Händen eine zierliche Schachtel; darin war ein Orden.

Zwei Auguren standen einander gegenüber und lächelten sich an. Da schlug der Geheime einen leichten Ton an und sagte: »Verehrtester Herr Doktor, ich bin ein Feind vieler Worte. Nehmen Sie hin, Sie wissen selbst, wodurch Sie sich dies hier verdient haben.«

»Das weiß ich in der Tat,« sagte der Jubilar mit einem Anflug von Bosheit, »aber ich möchte wetten, Sie wissen es nicht, warum Sie gerade heute erscheinen.«

Der Geheimrat machte ein verdutztes Gesicht; jener aber zog etwas aus der Westentasche heraus. Es war ein hohler Zahn.

»Ich habe ihn gestern ziehen lassen,« sprach er wehmütig. »Es ist der letzte. Jetzt bin ich nicht mehr gefährlich. Und damit Sie sehen, daß es die lauterste Wahrheit ist, nehme ich das Ding da wirklich an.«

*


 << zurück weiter >>