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588. Der Hollunder in Nortorf.

Zum Erscheinen des weißen Königs vgl. Nr. 561 und 575. Mitt. d. nordfr. Vereins 7, 84 f. Heim. 9, 66 (rote Kuh mit weißen Ohren). – Bei Agerskov steht ein Hollunder, an den der König von Dänemark einmal sein Pferd binden wird, wenn er zweimal umgehauen und wieder gewachsen ist: Kristensen 3, 1906 f. Ein Feld bei Bylderup darf nicht bebaut werden; geschieht es doch, dann wird Kriegsvolk in roten Hosen kommen, das seine Pferde »i Kornskokkene« bindet, und es entsteht eine große Schlacht: Kamp, Danske Folkem. 142 f.

Zu Osten der Nortorfer Kirche, wo es nach dem Kirchenstuhl hinaufgeht, steht seit undenklichen Zeiten ein Fliederbusch; er ist aus der Mauer selbst herausgewachsen. In der ganzen Mitte Holsteins ist er weit und breit bekannt, denn des Landes Schicksal knüpft sich an ihn. Einst nämlich, wenn der Strauch so hoch geworden ist, daß ein Pferd darunter angebunden werden kann, wird in der ganzen Welt Krieg ausbrechen und alle Völker werden wider einander streiten. Der König aber, der am Ende alle bezwingt, wird zuletzt mit seinem großen Heere von Süden her auch in unser Land kommen. Er wird sich lagern auf dem Thienbütteler Kamp im Westen Nortorfs. Da wird auch die große Schlacht geschehen, und zwar in den Monaten September und Oktober, wann eben der Dünger für die Roggensaat aufs Land gefahren ist. Zu der Zeit wird über unser Land ein König herrschen mit weißem Haar. Sobald nun eine rote Kuh über eine gewisse Brücke geführt ist, wird er, auf einem weißen Pferde reitend, mit seinem Heere von Norden daherstürmen in solcher Fahrt, daß die Leute, die auf dem Felde arbeiten, kaum Zeit haben, sich vor ihnen hinter die Düngerhaufen nieder zu ducken. Dann wird er sein Pferd an den Hollunder binden und die Schlacht beginnen; während derselben wird es unter dem Baume stehen. Es wird ein langer und fürchterlicher Kampf sein, also daß das Blut längs den Wagenspuren aus den Feldern rinnet und die Kämpfer darin bis an die Knöchel waten. Wenn aber der weiße König mit dem andern gekämpft und ihn erschlagen hat, wird er den größten Sieg gewinnen. Dann wird ihm die ganze Welt zufallen, und für lange Zeit überall auf Erden Friede herrschen. Von seinem eignen Herre aber werden dann nur so wenige nachgeblieben sein, daß jeder von einer Trommel essen kann, und der König selber wird nach der Schlacht an einer Trommel seine Mahlzeit halten.

In den Kriegszeiten vor dreißig, vierzig Jahren war nun der Holunderstrauch so hoch geworden, daß er ans Kirchendach reichte. Da sah man einmal Nachts in der Luft wunderbare Erscheinungen: zwei große Heere standen wider einander, viel schweres Geschütz sah man in den Wolken und Reiterhaufen rannten zusammen; man hörte deutlich Kriegsgetümmel und Schlachtgeschrei. Dadurch wurden die Leute so erschreckt, daß sie überallhin Boten aussandten, um sich Rat und Trost zu holen. Als endlich 1813 die Feinde hier ins Land kamen und gar nicht weit von Nortorf die Gefechte mit den Unsrigen vorfielen, da meinten viele, die alte Prophezeiung sei erfüllt, besonders da auch der verstorbene König einen weißen Kopf hatte. Sobald aber den Feinden die Prophezeiung zu Ohren kam, haben erst viele von ihren Offizieren den Baum in Augenschein genommen und ihn dann abhauen lassen, so daß er nun noch lange zu wachsen hat, ehe er wieder zu seiner alten Höhe kommt. Es kann also immer noch einmal etwas vorfallen.

Meyer, Darstellung aus Norddeutschland S. 308, und viele sich ergänzende mündliche und schriftliche Mitteilungen. Nach einigen scheint der weiße König gar nicht eigentlich Herr unseres Landes zu sein, sondern nur sein Erscheinen, wenn unser Heer schon wankt, bringt plötzlich den Sieg, sobald er sein Pferd anbindet. Es wird auch das Aufwachsen des Holluders als künftig dargestellt. – In der Gegend des Kanals nennt man Bornhöved statt Nortorf. Nördlicher nach Schleswig zu soll eine ähnliche Verkündigung sich an den Rosenbusch neben der Haddebyer Kirche knüpfen: die große Schlacht geschieht auf der Kropper Heide. – Diese überaus merkwürdige Sage ist, wie sie mir anfänglich mitgeteilt ward, schon in Jacob Grimms zweite Ausgabe der Mythologie S. 911 ff. aufgenommen. Die weitere Nachforschung führte zwar auf die Entdeckung mehrerer ähnlichen, s. die folgenden Nummern; zugleich aber überzeugte sie mich zu meinem Bedauern, daß ich das erstemal wohl getäuscht ward.

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