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221. Die weinende Mutter.

Bolte 2, 486.

In Bornhövede lebte eine arme Witwe, die ihr einziges Kind über alle Maßen liebte. Doch das Kind ward krank und starb. Da wollte sich die Mutter gar nicht trösten lassen, sondern grämte sich und weinte Tag und Nacht. Erst nach vielem Zureden gestattete sie, daß das Kind begraben werde. Nach einigen Tagen, als die Frau, noch immerfort weinend, nach der Koppel ging, um ihre Kuh zu melken, bemerkte sie neben sich ein kleines Mädchen in einem weißen Kleide, das ihr immer zur Seite blieb, wohin sie sich auch wendete. Sie erschrak anfangs, erkannte aber bald ihr gestorbenes Töchterlein. Da sah sie, wie das Kind sich fortwährend bückte, um die Tränen, welche ihr aus den Augen fielen, in sein Händchen zu sammeln, die es dann, sie traurig anblickend, zum Munde führte und aufküßte. Nun erkannte die Mutter, daß durch ihre unmäßige Trauer sie dem armen Kinde keine Ruhe im Grabe lasse. Da kniete die Frau nieder, betete einmal inbrünstig zu Gott und weinte nicht mehr. Von dem Augenblick an war das Kind verschwunden.

Mündlich.

*

 


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